Warum war jener Mann, der am Montagabend in Wien vier Menschen ermordet und eine ganze Stadt in Angst und Schrecken versetzt hat, noch in Österreich? Warum hat man ihn nicht einfach ausreisen lassen, und warum war er nach nur acht Monaten Haft wieder frei? Der Jurist Ralph Janik, Experte für Völkerrecht, klärt im Gespräch mit Damita Pressl auf.
Der mutmaßliche Täter, der hinter den widerwärtigen Attacken in Wien steckt, war ein 20-jähriger Mann mit österreichisch-nordmazedonischer Doppelstaatsbürgerschaft. Er wurde im April 2019 verurteilt, weil er sich dem Islamischen Staat in Syrien anschließen wollte. Für viele unverständlich: Warum lässt man solche Verrückten nicht einfach ziehen und niemals wieder einreisen? Janik klärt auf: „Wir haben eine völkerrechtliche Verpflichtung, Dschihadisten nicht einfach so ausreisen zu lassen. Da gibt es Resolutionen vom UNO-Sicherheitsrat - westliche Staaten schulden es den anderen Staaten, nicht einfach so unsere ,eigenen‘ Dschihadisten ausreisen zu lassen.“
So weit, so logisch - der Täter wurde also in Österreich wegen terroristischer Vereinigung zu einer Haftstrafe von 22 Monaten verurteilt, kam aber bereits im Dezember 2019 wieder frei. „Das ist das alte Spiel zwischen Deradikalisierung und harten Strafen“, erklärt Janik. Die einen würden fragen, warum man nicht härter strafe, die anderen würden den Versuch einer Deradikalisierung befürworten. „Das ist nicht nur eine juristische, sondern auch eine soziale oder eine psychologische Frage.“ Der Strafrahmen, so Janik, sei allerdings bereits gegeben, denn es seien Höchststrafen von bis zu 15 Jahren möglich: „Da brauchen wir jetzt keine Anlassgesetzgebung.“ Der Jurist appelliert, die Emotionalität „herauszunehmen, so weit das möglich ist“, und weder politisches Kleingeld zu schlagen, noch blind zu verharmlosen.
Im Zuge des Verfahrens 2019 wurde auch versucht, dem mutmaßlichen Täter die österreichische Staatsbürgerschaft abzuerkennen. Der Mann mit albanischen Wurzeln wurde in Österreich geboren und besaß neben der österreichischen auch die nordmazedonische Staatsbürgerschaft. Das Aberkennungsverfahren sei allerdings im Sand verlaufen, gab Innenminister Karl Nehammer am Dienstag bekannt. Nach Ansicht der zuständigen Wiener Behörde habe es „zu wenig Hinweise auf aktives Tun“ in Richtung einer terroristischen Betätigung gegeben, erläuterte Nehammer.
Der 20-Jährige dürfte es überzeugend geschafft haben, den Behörden, die mit ihm zu tun hatten, nach seiner Haftentlassung vorzumachen, er sei geläutert. Termine beim Bewährungshelfer und dem Verein Derad soll er stets eingehalten haben, er dürfte seitens des Verfassungsschutzes auch nicht als besonderer Gefährder gegolten haben. Deshalb stand er auch nicht mehr unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. „Es gibt niemals einen absoluten Anspruch auf Sicherheit“ und „keine absolute Sicherheit, eine Person richtig einschätzen zu können“, so der Wiener Landespolizeipräsident Gerhard Pürstl.
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