Eineinhalb Jahre - vom April 2019 bis wenige Tage vor dem Anschlag in der Wiener Innenstadt - ist der am Montagabend von der Polizei erschossene Attentäter im Auftrag der Justiz vom auf Deradikalisierung spezialisierten Verein Derad betreut worden. Alle zwei Wochen fand ein 90-minütiges Gespräch statt - auch während des Corona-bedingten Lockdowns im Frühjahr. In dieser Zeit wurden die Konferenzen per Video abgewickelt.
„Er war zurückhaltend, nicht sehr gesprächig. Im Gegensatz zu anderen Klienten wurde er auch nie emotional oder aufbrausend. Er hielt keine Monologe, wenn ihm Aussagen von mir einmal nicht passten“, verriet der für den 20-Jährigen zuständige Betreuer dem Nachrichtenmagazin „profil“. Der junge Mann war im April 2019 in Wien wegen terroristischer Vereinigung zu 22 Monaten Haft verurteilt worden, nachdem sein Versuch gescheitert war, gemeinsam mit einem Gesinnungsgenossen nach Syrien zu reisen, wo sich die beiden der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) anschließen wollten.
„Hatte naive Vorstellung von Religion“
Nach seiner Verurteilung und vorzeitigen Entlassung sei es in den Gesprächen vor allem um die Frage gegangen, wieso die „Bittgebete“ des jungen Mannes nicht erhört wurden. „Er hatte eine völlig rudimentäre, naive Vorstellung von Religion. Er glaubte, dass bei einem wahren Muslimen jedes Gebet erhört würde. Deshalb zweifelte er auch an sich selbst. Er verstand nicht, wieso er trotz seiner Gebete im Gefängnis saß“, zitierte „profil“ den Betreuer von Derad, jenem Verein, der sich kürzlich gegen Kritik seitens des Innenministeriums wehrte.
Als ihm die bedingte Entlassung aus dem Gefängnis in Aussicht gestellt wurde, habe sich der Mann geläutert gegeben und positive Signale ausgesandt, etwa indem er ankündigte, seinen HTL-Abschluss nachholen zu wollen: „Er ist unauffälliger aufgetreten, kein markanter Bart, keine hochgekrempelten Hosenbeine.“
Rückkehr in radikales Umfeld als zentrales Problem
Nach seiner Enthaftung Anfang Dezember habe der 20-Jährige jedoch wieder an sein früheres soziales Umfeld angedockt, unter anderem im Wirkungsbereich zweier Einrichtungen, die nun geschlossen werden. Dies stelle grundsätzlich ein zentrales Problem für die Deradikalisierung dar, betonte der Derad-Betreuer: „Wir sehen unsere Klienten nur alle zwei Wochen, ihre Freunde treffen sie alle paar Tage. Da entstehen Echokammern, die sich gegenseitig bestärken und beeinflussen.“
Derad habe in der Vergangenheit bei der Betreuung von Klienten auch eine Begleitung bei Moschee-Besuchen oder anderen für die Betroffenen wichtigen Plätzen vorgeschlagen. Doch habe es dafür an den nötigen finanziellen Mitteln gefehlt. Eine gelungene Deradikalisierung liege jedenfalls erst dann vor, wenn sich die Personen über längere Zeit aus ihrem alten Umfeld lösen. Erst dann werden auch die Intervalle der Betreuungstermine ausgeweitet. Beim 20-Jährigen sei die Betreuung bis zuletzt engmaschig gewesen, bekräftigte sein Betreuer.
Letztes Treffen vier Tage vor Attentat
Eine Sitzung mit dem späteren Attentäter fand - wie man mittlerweile weiß - im Juli zwei Tage nach dessen Fahrt in die Slowakei statt, wo sich dieser Munition hatte besorgen wollen. Zu diesem Zeitpunkt war er geringfügig für ein Security-Unternehmen beschäftigt. Ende September schickte Derad den letzten, quartalsmäßig vorgesehenen Zwischenbericht an die Justiz. Darin wurde laut vermerkt, der 20-Jährige würde pünktlich zu allen Sitzungen erscheinen und „ein Mindestmaß an Akzeptanz“ in Bezug auf Rechtsstaat und Demokratie zeigen.
Am 29. Oktober - vier Tage vor dem Attentat - traf der 20-Jährige zum letzten Mal seinen Betreuer. Dabei ging es um seinen Stellungstermin in der darauf folgenden Woche. Der Bursch habe dem Derad-Betreuer zufolge Interesse am Bundesheer gehabt, ein potenzielles Problem aber darin gesehen, im Konfliktfall gegen Muslime kämpfen zu müssen. Gesprächsthema waren zuletzt auch die Mohammed-Karikaturen in Frankreich, die der 20-Jährige abgelehnt habe. Die jüngsten, aufgrund der Karikaturen verübten Attentate habe er aber nicht gutgeheißen.
Nach dem islamistischen Terroranschlag in Wien wurde Freitagmittag die Schließung von radikalen Moscheen bekannt gegeben. Der Attentäter von Wien war in zwei derartigen Einrichtungen in der Bundeshauptstadt aktiv und dürfte sich dort auch radikalisiert haben.
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