Das große Interview

Hat Österreich zu lange weggeschaut, Frau Zadic?

Politik
08.11.2020 06:00

Vorzeitige Haftentlassung, Ermittlungspannen im Vorfeld: Nach dem Terror-Attentat von Wien spricht Justizministerin Alma Zadić (36) über die Lehren aus dem Blutbad und ihre Botschaft an Radikalisierte. 

Freitagabend im barocken Palais Trautson, Sitz des Justizministeriums im siebten Wiener Gemeindebezirk. Nach einer Ellbogen-Begrüßung nimmt Alma Zadić ihre Maske ab und am riesigen, quadratischen Besprechungstisch im Stil der Achtzigerjahre Platz. Passend zu den traurigen Ereignissen trägt die Ministerin einen schwarzen Hosenanzug, dazu eine cremefarbene Bluse. Eine schwarze Masche hält die Jacke über dem Babybauch zusammen. „Er ist jetzt schon groß“, lächelt sie und lässt offen, ob sie den Bauch oder das Kind meint.

Ellbogen-Begrüßung nimmt Alma Zadic (Bild: Gerhard Bartel)
Ellbogen-Begrüßung nimmt Alma Zadic

„Krone“: Frau Ministerin, wo waren Sie in der Tatnacht?
Alma Zadić: Ich kam kurz vor 20 Uhr von der Arbeit nach Hause und bekam dann einen Anruf meines Kabinettschefs. Ab dem Zeitpunkt habe ich in enger Verbindung mit meinem Büro und mit dem Büro des Vizekanzlers die laufenden Nachrichten verfolgt.

Was ist durch Ihren Kopf gegangen?
Meine größte Sorge war, dass es mehrere Täter und somit noch viel mehr Todesopfer geben könnte. Und wie viele Bekannte und Freunde von mir habe ich mich in eine Zeit zurückversetzt gefühlt, in der ich selbst Krieg und Schüsse erlebt habe. Wir alle hätten es nie für möglich gehalten, dass sich das jemals wiederholt. Und dann läuft einer mit einem Sturmgewehr durch die Gassen von Wien und schießt wahllos auf unschuldige Menschen. Deshalb werde ich alles in meiner Macht Stehende tun, dass sich das nie wiederholt, dass wir alles aufklären und dass diese Terrororganisation und ihre Unterstützer zur Rechenschaft gezogen werden.

Waren Sie schon beim Tatort?
Nein, aber ich werde am Wochenende hingehen.

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Wie viele Freunde von mir habe ich mich durch den Anschlag in eine Zeit zurückversetzt gefühlt, in der ich selbst Krieg und Schüsse erlebt habe.

Alma Zadić

Kein Mensch versteht, warum der Attentäter aus Wien vorzeitig aus der Haft entlassen wurde. Sie haben es damit begründet, dass das gesetzlich so vorgesehen sei. Ist unser Gesetz für radikale Islamisten zu lasch?
Es wird niemand vorzeitig aus der Haft entlassen, weil man ihn begünstigen möchte. Wenn der unabhängige Richter aufgrund aller vorliegenden Informationen entscheidet, dass jemand nach zwei Dritteln der Haftstrafe bedingt entlassen wird, dann bekommt diese Person drei Jahre lang Auflagen und Weisungen. Das heißt, man kann sie viel länger kontrollieren und betreuen, als wenn sie die reguläre Haftzeit absitzen würde - beim Attentäter wäre das Juli gewesen. Zusätzlich wird dem Geheimdienst mitgeteilt, dass die Person entlassen wird, damit diese beobachtet werden kann.

„Betreuen“ klingt ein wenig zynisch für einen späteren Mörder.
Da geht es um Deradikalisierungsprogramme, um psychosoziale und ideologische Arbeit. In Zukunft brauchen wir eine wesentlich engmaschigere Betreuung, stärkere Kontrolle durch das Gericht und Beobachtung durch die Sicherheitsbehörden. Wesentlich wird sein - und da bin ich schon mit dem Innenminister in Kontakt -, dass der Verfassungsschutz und das Innenministerium eine Gefahreneinschätzung vornehmen. Und dann muss der Informationsfluss von den Geheimdiensten zu den Gerichten reibungslos funktionieren. Dann kann die Staatsanwaltschaft und das Gericht rasch handeln.

Aber gerade im Fall von Kujtim F. hat der Verfassungsschutz versagt. 
Deshalb ist die vom Innenminister angekündigte Neuaufstellung des BVT so wichtig. Voreilige Schuldzuweisungen bringen uns jetzt nichts. Nehammer hat ja eingeräumt, dass Fehler passiert sind. Jetzt geht es darum, dass alles im Detail gründlich aufgearbeitet und untersucht wird und die richtigen Schlussfolgerungen und Konsequenzen gezogen werden. Deshalb setzen wir eine Untersuchungskommission ein.

Trotzdem haben sowohl der Innenminister als auch der Bundeskanzler den Optimierungsbedarf bei der Justiz gesehen. Zu Recht?
Aus meiner Sicht - ich habe mir am Tag nach der Tat umfassend berichten lassen - haben sowohl die unabhängige Richterin als auch die Staatsanwaltschaft nach den ihnen zur Verfügung stehenden Informationen und nach der Gesetzeslage, also nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Unabhängig davon braucht es jetzt aber ein umfassendes Maßnahmenpaket zum Schutz der Bevölkerung.

Es gibt den Vorwurf, dass die Justiz sehr wohl darüber informiert war, dass der Täter eben nicht geläutert war und nach wie vor radikal sei. Wurde das übersehen?
Der Täter wurde nie als deradikalisiert eingestuft. Deshalb hat das Gericht über ihn strenge Auflagen verhängt und den Verfassungsschutz davon verständigt, damit der Verurteilte weiter beobachtet wird, wenn notwendig. Wenn er geläutert gewesen wäre, dann hätte er keine Auflagen und Weisungen bekommen.

Müssen diese Deradikalisierungsprogramme besser werden?
Ich werde mir auch diese genau anzuschauen. Wie können wir diese Programme engmaschiger gestalten? Es gibt derzeit 50 Personen, die nach terroristischen Straftaten verurteilt wurden und deshalb im Strafvollzug schon in Deradikalisierungsprogrammen sind. Hier wird es jetzt umfassende Screenings geben. Ich habe beim Innenminister bereits beantragt, dass zu diesen 50 Personen eine Gefährdungseinschätzung durchgeführt wird, damit wir jetzt schon vorbereitet sind und alle Informationen haben, wenn sie ihre Strafe abgesessen haben.

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Es wird niemand vorzeitig aus der Haft entlassen, weil man ihn begünstigen möchte. Sondern weil man ihn dann drei Jahre lang kontrollieren kann.

Alma Zadić

Sie haben sich hinter den Innenminister gestellt. Ist das der türkis-grünen Zusammenarbeit geschuldet?
Nein, es ist jetzt jedoch extrem wichtig, dass wir zusammenhalten, dass wir alles schonungslos analysieren. Deshalb rufen wir auch eine unabhängige Untersuchungskommission ins Leben, die Aufklärung bringen wird, und daraus werden wir die notwendigen Maßnahmen ableiten, damit so etwas nie wieder passieren kann. Das sind wir als Regierung den Menschen, für deren Sicherheit wir verantwortlich sind, schuldig. Das sind wir insbesondere auch den Opfern und deren Angehörigen schuldig.

Stimmt es, dass eine Razzia geplant war und das möglicherweise verraten wurde und es deshalb zu dieser Attacke gekommen sein könnte?
Das kann ich weder bestätigen noch verneinen, auch hier wird die unabhängige Untersuchungskommission für Aufklärung sorgen.

Hat Österreich zu lange weggeschaut? 
Es hat in der Vergangenheit in Österreich einige wichtige Reformen gegeben, aber wir sehen, es braucht mehr. Denn es sind vier unschuldige Menschen ums Leben gekommen. Was die Beobachtung von Gefährdern anbelangt, gibt es Verbesserungsbedarf.

„Schuldzuweisungen bringen nichts.“ Alma Zadić beim Gespräch mit Conny Bischofberger. (Bild: Gerhard Bartel)
„Schuldzuweisungen bringen nichts.“ Alma Zadić beim Gespräch mit Conny Bischofberger.

Am Freitag wurden zwei Moscheen und ein muslimischer Verein geschlossen. Begrüßen Sie diese „Aktion scharf
Der weitaus überwiegende Teil der Menschen in unserem Land, unabhängig von der Religion und von ihrer Herkunft, wollen in Frieden gemeinsam leben. Und dann gibt es ein paar wenige, die Gewalt verherrlichen und Gewalt verbreiten wollen. Dagegen müssen wir uns wehren. Diese Schließungen fallen nicht in meinen Bereich, aber ich bin sicher, dass hier nach den Rechtsgrundlagen gehandelt wird. Insofern begrüße ich das.

Sie stammen selbst aus Ex-Jugoslawien. Was ist Ihre Botschaft an Migranten, die sich gegen unsere Gesellschaft stellen?
Wir leben in einer Demokratie, in deren Zentrum die Menschenrechte stehen. Jeder Mensch ist gleich viel wert. Wir dulden als Gesellschaft keine Menschen in unserer Mitte, die Menschen erschießen, nur weil sie einen bestimmten Glauben haben oder von woanders kommen. Das ist im Kern die Ideologie, die dieser Täter vertreten hat, es ist die Ideologie des Faschismus, Extremismus und Islamismus. Gemeinsam müssen wir uns gegen dieses Gedankengut richten und dürfen uns nicht spalten lassen.

Sie waren die erste Ministerin, die Polizeischutz gebraucht hat. Gibt es immer noch Drohungen gegen Sie? 
Im Moment habe ich kaum Zeit, soziale Medien zu verfolgen. Aber ich bekomme nach wie vor Personenschutz. Ich hoffe aber stark, dass bald die Zeit kommt, in der ich das nicht mehr brauche.

Frau Zadić, Sie werden im Jänner Mutter. Haben Sie sich in den letzten Tagen die Frage gestellt, in was für eine Welt Ihr Kind hineingeboren wird?
Ja ... Das ist eine Frage, die einen als werdende Mutter immer wieder beschäftigt. Ich möchte nicht, dass mein Kind Terror und Gewalt erlebt. Auf der anderen Seite hat gerade das Attentat auch sehr viel Gemeinschaftsgefühl und Zusammenhalt ausgelöst. Wir müssen daher gemeinsam alles tun, um den Frieden in unserer Gesellschaft zu sichern.

Wie werden Sie Ihrem Kind, wenn es einmal alt genug dafür ist, Terror erklären?
Das ist eine wirklich sehr schwierige Frage. Ich ahne schon, dass mein Kind sicher mit vielen Fragen kommen wird. Ich werde mich damit beschäftigen, wenn es soweit ist. Da habe ich noch ein bisschen Zeit. Auf jeden Fall möchte ich mit dem nötigen Feingefühl antworten, aber auch ehrlich.

Wann ist der Geburtstermin?
Anfang Jänner.

Also vielleicht ein Neujahrsbaby?
Schauen wir mal.

TOP-KARRIERE EINER MIGRANTIN
Zur Person: Geboren am 24. Mai 1984 in der nordbosnischen Stadt Tuszla. Der Vater war Professor für Elektrotechnik, die Mutter Bauingenieurin (beide sind in Pension). Als Alma 10 ist, kommen sie und ihr Bruder als Kriegsflüchtlinge nach Österreich. Jus-Studium in Wien und an der Columbia University New York. 2007 kommt sie zur IOM (Internationale Organisation für Migration). 2011 bis 2017 arbeitet sie als Wirtschaftsanwältin bei „Freshfields“. Seit 2019 bei den Grünen, seit 2020 Justizministerin. Im Jänner erwartet Zadić ihr erstes Kind.

Conny Bischofberger, Kronen Zeitung

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