Vier Wissenschaftler haben am Montag in einem dramatischen Appell die sofortige Schließung von Schulen gefordert. Caritas und SOS-Kinderdorf wollen „das mit aller Kraft verhindern“. Auch mehrere Ärzte und Institutionen sprechen sich dagegen aus - ebenso wie die Eltern.
„Wer Schulen schließt, riskiert die Zukunft unserer Kinder“, sagte Christian Moser, Geschäftsführer von SOS-Kinderdorf, am Montag. „Alle, die jetzt gegen Schulschließung reden, müssen dazusagen, dass sie damit für Triage spätestens ab 18. November sind“, sagen hingegen Mathematiker Peter Markowich, Informatiker Georg Gottlob und die Physiker Christoph Nägerl und Erich Gornik. Es sind dramatische Appelle von beiden Seiten, die an die Öffentlichkeit gerichtet wurden. Schule polarisiert. Ein Patentrezept gibt es nicht.
Aber zum Anfang: „Der ,Lockdown light‘ setzt im Gegensatz zum rigorosen Lockdown im Frühjahr teils auf die falschen Maßnahmen und ist viel zu locker“, meinen die vier Wissenschaftler in einer Stellungnahme. Sie fordern die sofortige Schließung aller Schulen, die „Pflicht zu Home-Office, wo immer möglich“, und die Erhöhung des Mindestabstands von einem auf zwei Meter - ansonsten würden überlastete Spitäler und Triage drohen. „Ich bin kein Virologe“, sagt Mathematiker Peter Markowich, „was ich kann, ist Zahlen lesen.“
Ein Blick auf die Zahlen zeigt, wir steuern auf eine Katastrophe zu, wenn wir jetzt nicht reagieren.
Peter Markowich, Mathematiker
Betrachte man die Infektionszahlen, die international in Schulen bemerkt werden, sei die Situation mehr als alarmierend. Denn „Schulen sind genauso Infektionsherde wie andere Plätze, wo viele Menschen sind“, betont Markowich. Der Mathematiker verstehe die gesamtpolitischen Aspekte von Schulschließungen - und das einhergehende Zögern, aber: „Ich weiß aus den Daten, dass wir sehenden Auges in eine Katastrophe laufen.“ Mit jedem Tag eines „weichen“ Lockdowns werde der Schaden für Wirtschaft und für Gesellschaft, inklusive der Kinder, größer. Laut den vier Forschern sind Schulen „einer der Treiber von respiratorischen Viren“ - das sei eine bewiesene Tatsache.
„Schließung sollte letzte, nicht erste Wahl sein“
Public-Health-Experte Hans-Peter Hutter sieht in dieser Aussage „ein Vermischen von richtigen und falschen Informationen“, denn bewiesen sei das nur bei Grippeviren, nicht aber Corona. Ganz im Gegenteil, „es gibt mehr Evidenz dafür, dass Kinder eine kleinere Rolle in der Übertragung spielen als Erwachsene“, sagt Hutter, der „die Schulschließung als Mittel der letzten, nicht der ersten Wahl“ sieht.
Auch die Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde sprach sich gegen Schließungen aus. Auf Basis zahlreicher Studien zeige sich, dass das Risiko, sich zu infizieren, für Kinder unter 14 Jahren halb so hoch (50 Prozent) ist wie bei Erwachsenen. Zudem würden Kinder wesentlich seltener und nur eine geringe Zahl von Kontaktpersonen anstecken.
Aus meiner Sicht haben geöffnete Schulen keinen relevanten Einfluss auf die Pandemie.
Hans-Peter Hutter, Umweltmediziner
Die psychosozialen Folgen von Schließungen seien aber enorm, sagt Hutter. Das sehen auch Caritas-Präsident Michael Landau und SOS-Kinderdorf-Chef Moser so: „Eine Schließung von Schulen und Kindergärten muss nach Möglichkeit verhindert werden“, sagt Landau. In der Krise müsse man beides schaffen - alte Menschen und Kinder zu schützen. Neben den Folgen für Kinder aus sozial benachteiligten Familien verweisen sie auch auf die Auswirkungen berufstätiger Eltern: „Offene Schulen helfen dabei, die Betreuung und Pflege älterer Menschen weiter aufrechterhalten zu können.“
Das Gesundheitsministerium wollte zur Diskussion am Montag nicht Stellung nehmen, aus dem Bildungsministerium hieß es, man evaluiere die Maßnahmen zwei Wochen nach Inkrafttreten. Es gebe keinen Grund, von dieser Vorgangsweise abzuweichen.
Anna Haselwanter, Kronen Zeitung
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