Ansteckung in Freizeit

Forscher: Distance Learning bremste Virus nicht

Österreich
10.11.2020 15:22

Distance Learning in den Oberstufen dürfte die Verbreitung des Coronavirus unter Schülern bisher nicht ausgebremst haben - darauf lassen jedenfalls Daten des Bildungsministeriums schließen. In Salzburg und Tirol ging nach der Umstellung der Oberstufen auf Fernunterricht der Anteil der 15- bis 19-Jährigen unter allen Covid-19-Fällen zwar zurück, allerdings weniger stark als der Anteil der Zehn- bis 14-Jährigen, die weiterhin normalen Präsenzunterricht hatten. Die Ansteckungen finden häufiger in der Freizeit statt, meinen Experten.

Für die Aufstellung hat das Ministerium die Kalenderwoche 43, in der in Salzburg und Tirol die Oberstufen ins Distance Learning geschickt wurden, mit der darauffolgenden Herbstferienwoche verglichen. In diesem Zeitraum gab es in beiden Bundesländern einen deutlichen Anstieg der Covid-19-Positiven. Unter den Zehn- bis 14-Jährigen, die normalen Präsenzunterricht hatten, fiel er jedoch deutlich geringer aus als unter den 15- bis 19-Jährigen und blieb laut Ministerium insgesamt „deutlich unter dem Durchschnitt“. Konkret gab es in Salzburg bei den älteren Schülern einen Anstieg von 119 auf 150, bei den Jüngeren von 83 auf 87. In Tirol stiegen die Zahlen bei den Älteren von 134 auf 169, bei den Jüngeren von 130 auf 134.

Ausbreitung offenbar bei außerschulischen Treffen
„Es gibt derzeit keinen Hinweis, dass die Umstellung auf Distance Learning etwas bringt“, betonte dazu Volker Strenger von der Grazer Universitätsklinik für Kinder und Jugendheilkunde. „Kontakte von Kindern und Jugendlichen finden ja nicht nur in den Schulen statt.“ Bei Freizeitkontakten gebe es allerdings im Gegensatz zu den Schulen keinen kontrollierten Ablauf, der noch eher vor Ansteckungen schütze. Der Leiter der Arbeitsgruppe Infektiologie der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ) verwies in diesem Zusammenhang auch auf Daten aus Kärnten, wo in Zusammenhang mit den Schulferien die Zahl der Freizeitcluster unter Jugendlichen gestiegen sei.

Hände desinfizieren gehört mittlerweile schon zum Alltag in den heimischen Schulen. (Bild: Markus Tschepp)
Hände desinfizieren gehört mittlerweile schon zum Alltag in den heimischen Schulen.

Kinder geben Virus seltener weiter als Erwachsene
Strenger betonte, dass Kinder und Jugendliche sich deutlich seltener mit dem Coronavirus anstecken würden als Erwachsene - bei den Unter-14-Jährigen liege die Wahrscheinlichkeit einer großen Metastudie zufolge bei 50 Prozent - und nicht nur deutlich seltener symptomatisch erkranken, sondern das Virus auch seltener und an weniger Personen weitergeben würden als Erwachsene. Eine große Studie aus Indien belege, dass Ansteckungen vor allem innerhalb derselben Altersgruppe erfolgen und Kinder deutlich öfter von ihren Eltern angesteckt werden als umgekehrt. Eine große Studie aus Großbritannien wiederum habe gezeigt, dass Erwachsene, in deren Haushalt Kinder leben, sich nicht häufiger mit dem Erreger SARS-CoV-2 infizieren.

Ländervergleich zeigt: Distance Learning stoppt Virus nicht
Auch in den Schulen ist dies trotz der zahlreichen Kontakte nicht anders, so Strenger. So habe es im Frühjahr keine Unterschiede bei den Infektionen unter Kindern in Schweden und Finnland gegeben, obwohl in Schweden Kindergärten und Volksschulen offen waren, während in Finnland auf Fernunterricht umgestellt wurde. Ähnliche Belege gebe es auch für Österreich, wo der Anteil der Schulkinder an allen Covid-19-Fällen mit den Sommerferien gestiegen und seit dem Schulbeginn wieder zurückgegangen sei. Das Gegenbeispiel Israel ist laut Sprenger wegen der Unterschiede bei Schulsystem und Gesellschaft schlicht nicht mit mitteleuropäischen Schulen vergleichbar.

Wenig Nutzen, aber großer persönlicher und gesellschaftlicher Schaden
Schulschließungen hätten keine bewiesenen positiven Auswirkungen auf das allgemeine Infektionsgeschehen, fasste Sprenger zusammen, aber viele negative Auswirkungen auf die Bildung der Kinder, auf deren psychosoziale Gesundheit, auf ihre Familien und die gesamte Gesellschaft und Wirtschaft. Weil geschlossene Schulen und Kindergärten auch dazu führen würden, dass ein Teil der Eltern für die Kinderbetreuung auf Großeltern zurückgreifen müsse, steige damit zudem die Infektionsgefahr für diese Risikogruppe. Wenn wegen Schulschließungen Gesundheitspersonal zu Hause bleiben müsse, könnte dies sogar dazu führen, dass die Mortalität durch Corona steige, warnte ÖGKJ-Generalsekretär Reinhold Kerbl vom LKH Hochsteiermark in Leoben.

(Bild: © Fabio Principe - stock.adobe.com)

Gruppe von Eltern will rechtlich gegen Corona-Verordnung vorgehen
Kerbl betonte, dass sich mittlerweile eine „Allianz der Besorgten“ gebildet habe, die die Schließung von Schulen im Kampf gegen das Coronavirus als letzte Möglichkeit betrachten. „Das ist ein Experiment, für das es keine wissenschaftliche Grundlage gibt“, sagte er und richtete eine Spitze gegen jene Gruppe von Wissenschaftlern, die am Montag eine sofortige Schließung der Schulen gefordert hatten. 

Auch die Arbeiterkammer, der Dachverband der Elternvereine für die Pflichtschulen sowie der Familienverband forderten in der Debatte, dass Bildungseinrichtungen offen bleiben. Eine Gruppe von Eltern von AHS-Oberstufenschülern kündigte sogar eine Klage gegen die Covid-19-Schutzmaßnahmenverordnung an - sie sieht Religion gegenüber dem Recht ihrer Kinder auf Bildung unrechtmäßig bevorzugt.

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