Triage droht

Gesundheitssystem jetzt „vollkommen ausgelastet“

Österreich
14.11.2020 13:50

Die Situation in Österreichs Spitälern ist überaus besorgniserregend. So droht im gesamten Land „in den nächsten Tagen die Situation der Triage“, sollte keine Trendumkehr hinsichtlich der Infektionszahlen gelingen, warnten Experten am Samstag eindringlich. So seien bereits jetzt mehr als ein Viertel der insgesamt 2000 Intensivbetten belegt. „Die Seuche ist unter uns“, so Susanne Rabady, Vizepräsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin.

Das Gesundheitssystem in Österreich ist angesichts der Corona-Pandemie „jetzt vollkommen ausgelastet“, so Rabady bei einer Pressekonferenz im Bundeskanzleramt in Wien. Würde keine Trendumkehr gelingen, gäbe es „in den nächsten Tagen die Situation einer Triage“, warnte Klaus Markstaller, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesie, Reanimation und Intensivmedizin. Das bedeutet: Ärzte müssen entscheiden, welchen Patienten sie intensivmedizinisch zuerst behandeln. Ausschlaggebend ist dafür, bei welchem Patienten die Wahrscheinlichkeit des Überlebens höher ist.

Triage bei mehr als einem Drittel Covid-Patienten auf Intensiv
Aktuell seien bereits rund 550 von 2000 Intensivbetten belegt, hieß es weiter - also ein Viertel. Wenn allerdings mehr als ein Drittel der Betten mit Covid-19-Patienten belegt sind - derzeit sind es rund 27 Prozent - beginne die Triage. Dann werden die verfügbaren Betten an Patienten mit der besten Prognose vergeben. „Wenn mehr als 50 Prozent der Betten nicht mehr zur Verfügung stehen, haben wir eine veritable Gesundheitskrise“, sagte Markstaller. Aber: Auch wenn jemand nicht auf die Intensivstation käme, werde er nicht vergessen, wurde betont.

Die Situation sei eine „enorme Belastung“. Im Sommer habe man ein „ethisches Papier“ geschrieben, die als Hilfestellung in Triage-Situationen dienen könne. Man habe das als Vorsorge getan, in der „Hoffnung, es nicht zu brauchen“, berichtete Markstaller. Er betonte, dass für den Fall des Falles keine persönliche oder finanzielle Entscheidung getroffen werden dürfe. „Es muss eine möglichst ethisch nachvollziehbare Entscheidung sein, wen man behandelt“, sagte der Experte.

Susanne Rabady, Klaus Markstaller, Herwig Ostermann (Bild: APA/HERBERT NEUBAUER)
Susanne Rabady, Klaus Markstaller, Herwig Ostermann

„Wirkliche Limitation ist das Fachpersonal“
Auch Rabady unterstrich die dramatische Situation. Man sei zwar so gut vorbereitet gewesen „wie man nur sein kann“, aber das „Gummiband“ würde irgendwann reißen. „Die wirkliche Limitation ist das Fachpersonal“, sagte dazu Markstaller. Die Behandlungen in Intensivstationen sei komplex. Jahrelange Ausbildung und Erfahrung sei dafür notwendig. „Damit ist diese Ressource per se limitiert“, erläuterte der Mediziner.

Anstieg von „20 bis 30 Prozent im Fallgeschehen“
Befürchtet werden laut Experten Mitte der nächsten Woche österreichweit etwa 700 Intensivpatienten. „Wir wissen, dass einige Bundesländer bereits auf ihr Reservepotenzial zurückgreifen“, sagte Herwig Ostermann, Geschäftsführer der Gesundheit Österreich (GÖG). Die weitere Zeit sei sehr schwer vorherzusehen, sagte er. Klar sei, dass es zu einem weiteren Anstieg kommen werde. Denn in den letzten Wochen habe es keine beachtliche Bremswirkung gegeben. Ostermann prognostizierte einen Anstieg „von 20 bis 30 Prozent im Fallgeschehen“. „Wir wissen jedenfalls, die nächsten zwei, drei, vier Wochen werden für das Gesundheitssystem belastend“, sagte er.

„Kann diese Dinge nicht eigener Entscheidung überlassen“
Mit Blick auf die überfüllten Einkaufsstraßen und Einkaufszentren am Samstag erklärte Rabady, es gehe ihr „schlecht“, wenn sie auf diese Menschenmassen blickt. „Ich kann nur sagen, dass es - leider - Maßnahmen braucht. Und dass man diese Dinge - leider - nicht der eigenen Entscheidung überlassen kann“, konstatierte die Ärztin. Allerdings zeigte Rabady auch einen Hoffnungsschimmer auf. Die Pandemie werde - so wie jede zuvor - „vorübergehen“. Daran hätte aber jeder Einzelne einen „großen Anteil“ beizutragen.

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