Vom eisigen Norden in die milderen Gefilde „Englalands“: „Assassin‘s Creed: Valhalla“ schickt Gamer auf eine Reise voller Abenteuer, von denen manche mehr, manche weniger herausfordernd sind. In jedem Fall macht der neueste Spross der Ubisoft‘schen Open-World-Serie vieles anders als seine Vorgänger.
„Assassin‘s Creed Valhalla“ lässt Gamer in die Rolle des Wikings Eivor schlüpfen. Oder der Wikingerin Eivor, denn zum ersten Mal in der Serie darf das Geschlecht der Hauptfigur gewählt werden. Wer sich nicht entscheiden kann, überlässt die Geschlechterfrage einfach der Erzählung, was Ubisoft auf der nach wie vor vorhandenen Meta-Ebene mit sich irgendwie kreuzenden DNA-Strängen im Animus, jenem Wunderwerkzeug der Technik, mit dem Spieler bereits seit 2007 in die Vergangenheit bestimmter Personen zurückreisen können, erklärt. So löblich das Ganze im Jahr 2020 auch ist, es lässt Eivor ein wenig beliebig erscheinen. In der Tat besitzt die Figur, ob männlich oder weiblich, weniger Charisma, Witz und Ausstrahlung, als dies etwa noch bei Alexios und Kassandra aus dem Vorgänger „Odyssey“ der Fall war. Vielmehr steht Eivor nicht selten im Schatten anderer Charaktere, die ihm/ihr die Schau stehlen. Beispielsweise Ivar, ein blutrünstiger Wikinger, wie er im Buche steht und Erinnerungen an „Far Cry 3“-Schurke Vaas weckt.
Auf zu neuen Ufern
Ihren Anfang nimmt die Geschichte im hohen Norden, aus dem sich Eivor, als Kind seiner Eltern beraubt, allerdings recht bald zusammen mit seinem Bruder Sigurd verabschiedet, um in „Englaland“ einen Neuanfang zu wagen. Dass es in dem - je nach Spielweise - gut zwei- bis vierstündigen Prolog in Norwegen vordergründig um Rache geht, ist weder sonderlich originell noch für den weiteren Spielverlauf von Bedeutung, denn in den milderen Gefilden des damals noch nicht so vereinigten Königreichs gilt es, andere Prioritäten zu setzen. Die eine ist, Bündnisse zu schließen und damit neue Regionen zu erobern; die andere, aus der kümmerlichen Ansammlung von Zelten, mit denen man angelandet ist, eine stattliche Siedlung zu machen. Für Letzteres braucht es allerdings Rohstoffe, die man durch Raubzüge und das Absolvieren anderer Aufgaben gewinnt.
Schaffe, schaffe, Häusle baue
Der Siedlungsaufbau ist zwar prinzipiell optional, wer sich ihm jedoch verweigert, bringt sich um bestimmte Missionen und Fertigkeiten - und somit eine gehörige Portion Spieltiefe. Ohne Fischer im Dorf kann Eivor etwa nicht angeln, ohne Stall dem Pferd nicht das Schwimmen beibringen (sehr praktisch, weil sich dann auch breitere Flüsse ohne absteigen zu müssen durchqueren lassen) und ohne Schmied oder Händler zumindest vor Ort keine neuen Waren erwerben bzw. verkaufen. Wohl am wichtigsten aber ist die Hütte der Bruderschaft, die die Jagd auf die Templer, hier „Orden der Ältesten“ genannt, eröffnet, sowie die Hütte der Seherin, mit der sich im Spielverlauf ein paar, nennen wir es mystische Orte freischalten lassen. Über die Sinnhaftigkeit anderer Häuser lässt sich dagegen streiten. Wer etwa die Kaserne ausbaut, kann einen eigenen Wikinger erstellen, der von anderen Spielern als nicht spielbarer Charakter rekrutiert werden kann. Ein nettes Gimmick, aber eben auch nicht mehr.
Weg von den Wurzeln
Das Schließen von Bündnissen in den einzelnen Regionen Englands bildet dagegen den Kern der Geschichte. Anders als in früheren Teilen, die eine weitgehend lineare Story erzählten, bietet jede Region eine in sich geschlossene Handlung mit ihren ganz eigenen Charakteren und Aufgaben, die dem Kern der Serie, nämlich Objekte möglichst leise zu infiltrieren oder bestimmte Zielpersonen entsprechend auszuschalten, noch am nächsten kommt. Die meiste Zeit allerdings, und das ist mit Sicherheit einer der größten Kritikpunkte, bewegt sich Eivor brandschatzend und raubend durch „Assassin‘s Creed: Valhalla“ und entfernt sich damit ein gutes Stück von den Wurzeln des Franchise. Zwar darf Eivor hier und da noch die Kapuze überwerfen, um „unterzutauchen“, oder Besoffene anheuern, um Wachen abzulenken, die Stealth-Elemente sind aber deutlich rarer gesät als in der Vergangenheit.
Weniger Belohnungsanreize
Stattdessen wird vornehmlich lautstark und zumeist mit der Rammbock-Methode gekämpft - wahlweise einhändig, etwa mit Schwert und Schild, beidhändig, beispielsweise mit einer schweren Axt, oder aus der Ferne mit Pfeil und Bogen. Timing ist dabei entscheidend, um Angriffsmuster zu durchbrechen und einen Treffer zu landen. Im Gegensatz etwa zu „Odyssey“ oder „Origins“ wurde die Zahl der verfügbaren Waffen bzw. Rüstungs-Items deutlich zurückgeschraubt, in der Regel gibt es diese nur nach erfolgreicher Absolvierung einer Quest oder etwa Bosskämpfen. Das macht das virtuelle Wikinger-Leben einfacher und übersichtlicher, aber auch ein wenig langweiliger, weil der Belohungsanreiz oftmals ausbleibt. Zumal es neue Waffen und Rüstungen eigentlich gar nicht braucht: Wer fleißig Rohstoffe sammelt, kann seine Lieblingswaffe bzw. -rüstung immer wieder verbessern und sich den ganzen anderen Kram schenken.
Futter für die Axt
Verbessert werden sollte zuallererst jedoch der Proviantbeutel, denn Eivors Gesundheit regeneriert sich neuerdings nicht mehr selbstständig, wodurch die Kämpfe etwas mehr Tiefgang bekommen und ein umsichtigeres Vorgehen vonnöten ist. Theoretisch. In der Praxis ist die Mehrheit der Gegner jedoch so dumm, dass die gute alte Hau-drauf-Methode alias Button-Smashing ausreicht, um voranzukommen. Quantität statt Qualität, scheint hier die Devise der Entwickler gewesen zu sein, und so gleichen viele Gegner auf Raubzügen durch Kloster und Festungen simplen Kanonen- bzw. Axtfutter. Immerhin darf man so schneller in der Stufe aufsteigen und fleißig im äußerst „breit“ angelegten Fertigkeitenbaum Punkte verteilen. Die eindeutig spannenderen Fähigkeiten erlernt man allerdings durch das Lesen sogenannter Bücher des Wissens, die überall in der offenen Spielwelt darauf warten, gefunden zu werden.
Beschäftigungstherapie
Abseits des zur Rohstoffgewinnung nötigen Schlachtgetümmels und der Hauptmissionen stellt dies nicht die einzige Möglichkeit der Beschäftigungstherapie dar. In Ortschaften darf Eivor um die Wette saufen, einem durchaus komplexen, aber daher auch langwierigen Würfelspiel frönen oder sich in einem Wettstreit der Worte neues Charisma verdienen, was wiederum neue Dialogoptionen eröffnet. Darüber hinaus darf Jagd auf Kreaturen oder - ähnlich den Kopfgeldjägern in „Odyssey“ - „Eiferer“ gemacht werden. Und natürlich gibt es unzählige Neben- und Sammelmissionen, deren Qualität leider oft zu Wünschen übrig lässt („Finde Gegenstand X“, „Befördere Gegenstand Y von A nach B“). Da sie allerdings optional sind, haben wir sie eher als Ausgleich bzw. Ergänzung zum sonstigen Geschehen betrachtet.
Fantastische Kulisse
All die Aufgaben laden zudem dazu ein, die wunderschöne und mit Überraschungen gespickte freie Welt von „Valhalla“ zu entdecken und kennenzulernen. Sie darf, wie schon bei den Vorgängern, als der heimliche Star des Spiels bezeichnet werden. Abgesehen von den eher wenigen großen Städten wie London sind es vor allem die mit viel Liebe zum Detail gestalteten Landschaften, die das Auge verzücken und zu ausgedehnten Ritten und - seltener - Bootstouren einladen. Wenn die Sonne durch den Morgennebel in den Highlands bricht, darf das durchaus als atemberaubend bezeichnet werden - erst recht in 4K und bei 60 Frames die Sekunde, wie in unserem Test auf der neuen Xbox Series X.
Fazit: Ein eindeutiges Urteil über „Assassin‘s Creed Valhalla“ zu fällen, fällt nicht leicht. Vielleicht ist genau dies das Problem des Spiels: Für reichlich Abwechslung und die eine oder andere Neuerung ist zwar gesorgt, allerdings bleibt Vieles in der wunderschön gestalteten Spielwelt beliebig und nicht konsequent genug zu Ende gedacht. Wer sich am altbekannten Themen- bzw. Aufgaben-Mix nicht stört, kommt auf seine Kosten. Anders als etwa „Odyssey“ bleibt „Valhalla“ aber gerade in puncto Storytelling hinter den Erwartungen zurück. An Dialogen mangelt es dem Spiel nicht, dafür jedoch an einer schillernden Hauptfigur und wirklich originellen Herausforderungen wie sie beispielsweise ein „The Witcher 3“ zu bieten hat. Am schmerzlichsten dürfte für Fans allerdings wiegen, dass der Anteil für die Serie typischer Stealth- und allgemein Assassinen-Elemente deutlich reduziert wurde und damit zur Makulatur verkommt. Unter der Marke „For Honor“ oder als Fortsetzung zu „Far Cry Primal“ wäre „Valhalla“ eventuell besser aufgehoben gewesen.
Plattform: Xbox One/Xbox Series X (getestet), PS4/PS5, PC, Stadia
Publisher: Ubisoft
krone.at-Wertung: 7/10
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.