Top-Arzt optimistisch

„Ich hoffe, dass wir mit blauem Auge davonkommen“

Österreich
21.11.2020 06:00

Bernd Lamprecht ist Vorstand des Linzer Kepler Universitätsklinikums für Lungenheilkunde. Der Arzt, der an vorderster Front um das Leben von Covid-19-Patienten kämpft, über die drohende Triage, Optimismus und die Definition von Eigenverantwortung.

„Krone“: Herr Lamprecht, wie ernst ist die Lage wirklich?
Bernd Lamprecht: Sie ist ernst. Sie stellt sich in den Bundesländern unterschiedlich dar, aber die Ressourcen werden in sehr hohem Ausmaß in Anspruch genommen.

Das heißt?
Wir haben bei uns in Oberösterreich 250 Intensivbetten. Zumindest 100 brauchen wir für die Versorgung anderer Patienten.Wir haben also noch 150 für Covid-Patienten übrig, davon sind 138 belegt.

Es schwebt das Damoklesschwert Triage über den Spitälern …
Es gibt zum Glück vorher noch Zwischenschritte. Etwa die Stellschraube beim Personal. Eine Intensivschwester kümmert sich um ein bis zwei Patienten, ein Arzt um acht bis zehn. Das kann man in Ausnahmesituationen erweitern. Oder auch die Hilfe aus anderen Bundesländern.

(Bild: APA/OÖG)

Doch wenn all das ausgeschöpft ist, müssen Ärzte entscheiden, wer noch intensivmedizinisch behandelt wird und wer nicht: Was heißt Triage in der Praxis?
Die Triage kommt aus der Katastrophenmedizin, etwa bei Großschadensereignissen, wo mit knappen Ressourcen möglichst vielen geholfen werden soll. Entscheidend ist hierbei die klinische Erfolgsaussicht.

Konkret: Es kommen zwei Patienten, die ein Beatmungsgerät brauchen. Es gibt aber nur eines. Wer bekommt es?
Derjenige mit einer höheren Erfolgsaussicht. Da spielen aber noch weitere Faktoren mit, etwa der Wille des Patienten. Es geht auch um die Angemessenheit der Behandlung und ob es ein realistisches Therapieziel gibt.

Können Sie das anhand eines Beispiels erklären?
Für manche Patienten bringt eine intensivmedizinische Behandlung nicht unbedingt eine Besserung. Einem schwer vorerkrankten Patienten, der nur eine begrenzte Lebenserwartung hat und für eine intensivmedizinische Behandlung auch gar nicht die körperliche Verfassung mitbringt, hilft das Anschließen an Geräte vielleicht nicht mehr. Das heißt, seine klinische Erfolgsaussicht ist nicht gut.

Vorerkrankungen zählen also mehr als das Alter?
Das Alter ist nicht ausschlaggebend, es ist die Erfolgsaussicht der Behandlung, die entscheidet.

Das Kepler Universitätsklinikum (KUK) in Linz (Bild: Harald Dostal)
Das Kepler Universitätsklinikum (KUK) in Linz

Wer muss über Leben und Tod entscheiden?
Es gilt das Mehraugenprinzip. Mindestens zwei Fachärzte und im Idealfall eine diplomierte Pflegekraft priorisieren und entscheiden, wo die höchste Erfolgsaussicht ist.

Das klingt nachvollziehbar, doch Menschen werden Ärzte, um Leben zu retten - was macht das mit ihnen, wenn das nicht mehr geht?
Niemand, der sich für diesen Beruf entschieden hat, wird diese Situation jemals als einfach bezeichnen. Wir nennen das in der Intensivmedizin eine Dilemmasituation. Das kann man niemals gutheißen. Die Triage kann auch nur in einer Notsituation und über einen begrenzten Zeitraum stattfinden. Ich hoffe, dass wir es nicht erleben müssen.

Es widerspricht auch unserem Umgang mit Menschenleben - droht es uns in Österreich trotzdem?
Ich bin optimistisch, dass es nicht eintritt, weil jetzt Maßnahmen gesetzt wurden, die wirksam sind, und wir ein ausgesprochen gutes Gesundheitssystem haben. Wir haben 29 Intensivbetten auf 100.000 Einwohner - in Italien, wo die Situation im Frühling dramatisch war, gibt es 8,6 Betten. Es ist aber eine enorme Kraftanstrengung in den Spitälern nötig, um mit einem blauen Auge davonzukommen.

Wenn wir das schaffen - wie geht es weiter?
Planbare Operationen müssen nachgeholt werden, aber auch da muss man priorisieren. Doch durch die Krise entsteht auch gerade eine ganz neue, fächerübergreifende Zusammenarbeit. Da entwickelt sich etwas, auf das man künftig aufbauen kann.

Die letzten „Hamsterkäufe“ vor dem Lockdown in einer Mediamarkt-Filiale in Innsbruck (Bild: Christof Birbaumer)
Die letzten „Hamsterkäufe“ vor dem Lockdown in einer Mediamarkt-Filiale in Innsbruck

Was macht es mit Ihnen, wenn Sie Bilder aus Einkaufszentren sehen, wo sich massenweise Menschen tummeln?
Natürlich ärgert man sich, weil es nicht von besonders viel Eigenverantwortung zeugt. Aber Eigenverantwortung heißt eben, nicht nur auf sich selbst, sondern auch auf andere zu schauen. Ich warne auch sehr davor, dass sich diese Bilder nach dem 7. Dezember wiederholen.

Anna Haselwanter, Kronen Zeitung

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