Infektionen verringern

Spitalsvertreter: „Bevölkerung hat es in der Hand“

Österreich
10.12.2020 10:54

Es ist ein flammender Appell, den Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) sowie Vertreter aus österreichischen Spitälern am Donnerstag an die Bevölkerung gerichtet haben. So machten sie deutlich, wie ernst die aktuelle Lage auf den Krankenstationen des Landes seien. Man sei an den Grenzen der Belastbarkeit - der derzeitige Zustand in den Spitälern könne nicht mehr über viele Monate aufrechterhalten werden. „Die Bevölkerung hat es in der Hand“, so die eindringliche Bitte, weiter bei einer Verringerung der Neuinfektionen mitzuhelfen. Eine weitere, dritte Welle wäre nur sehr, sehr bedingt verkraftbar. 

Der Trend stimme, die Reproduktionszahl liege aktuell konstant um 0,8 - doch das Ziel sei klar, so Anschober - nämlich weiterhin unter 0,9 zu bleiben, denn das bedeute, dass das Infektionsgeschehen langsam abklinge. Bei der Sieben-Tages-Inzidenz jedoch gebe es Nachholbedarf - aktuell liege dieser Wert bei 229, doch: „Ein Einser vorne muss das nächste Ziel sein“, so Anschober.

Das Wichtigste sei, die Kapazitäten des Gesundheitssystems nicht zu überfordern, dass „es nicht zur ganz großen Katastrophe kommt“, und zu „keiner Triage“, erklärte der Gesundheitsminister. Keine Intensivstation der Welt habe so viel Reservekapazitäten, erinnerte Anschober, daher müssten aktuell OPs verschoben werden, um Ressourcen und Platz zu bekommen. Denn es stehe fest: Zwar sei der Höhepunkt bei der Auslastung der Intensivbetten im Land überschritten und aktuell wieder etwas zurückgegangen. Die Schwere der Aufgaben jedoch „hat sich nicht reduziert“, und sei nur „durch sensationellen Einsatz der Belegschaft“ bewältigbar. Die aktuelle Situation in den Spitälern könne auf Dauer nicht zu bleiben. „Wir müssen runter mit den Zahlen“, betonte Anschober einmal mehr.

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Bild: APA/HANS KLAUS TECHT)
Gesundheitsminister Rudolf Anschober

Notwendige Ziele
Die erklärten Ziele seien, die Neuinfektionen am Tag deutlich unter 2000 und in Richtung der 1000 zu reduzieren, zudem den Reproduktionsfaktor konstant bei 0,8 bzw. 0,9 zu halten. Und weiters die Zahl der von Covid-Patienten belegten Intensivbetten auf unter 300 zu drücken. 19 Tage verbringen Covid-19-Intensivpatienten im Schnitt auf der Intensivstation. Dies alles sei Grundvoraussetzung dafür, dass es in den Spitälern nicht zum „Dauerstress“ wird, so der Gesundheitsminister. Er erinnerte zudem an das notwendige Nachholen von OPs und auch die noch nicht abschätzbare Intensität der heurigen Grippewelle, wofür ebenfalls zusätzlich Ressourcen nötig sind. „Heute entscheiden wir mit unserem Verhalten über die nächsten drei bis vier Wochen“, so der Appell Anschobers.

AKH Wien: Durchschnittsalter auf Intensiv bei 55 Jahren
Der Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Anaesthesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI), Klaus Markstaller, gewährte am Donnerstag einen Blick auf die Situation im Wiener AKH. Aktuell würden dort auf Intensivstationen hauptsächlich die schwersten Fälle behandelt werden, also Patienten, „die an der Herz-Lungen-Maschine“ angeschlossen seien. Zum Alter der dort Behandelten erklärte er, dass es sich um ein Durchschnittsalter von 55 Jahren handele, also Menschen, die noch im Berufsleben stehen. Die Patienten seien von Ende 20 bis 70 Jahre alt, so Markstaller.

Impfung: „Das wird die Lösung sein“
Das Gesundheitspersonal sei „sehr stark belastet“, denn neben Covid gebe es ja auch weitere Patienten, die ebenfalls behandelt werden müssten, erinnerte Markstaller an die Dauerbelastung des Personals. „Die Bevölkerung hat es in der Hand“, hinsichtlich ihres Verhaltens mitzuhelfen, die Situation weiter zu entlasten. „Wir haben Impfungen in Aussicht“, so der ÖGARI-Präsident, „das wird die Lösung sein“, zeigte er sich überzeugt. Es sei noch eine „Durststrecke von wenigen Monaten, die vor uns liegt“, appellierte er an die Bevölkerung, weiter die Maßnahmen mitzutragen.

(Bild: APA/HANS KLAUS TECHT)

„Wir haben keinen Spielraum mehr“
Prim. Priv.-Doz. Dr. Bernd Lamprecht, Vorstand der Klinik für Lungenheilkunde an der Kepler-Universität Linz, zeichnete ebenfalls ein dramatisches Bild der Lage hinsichtlich der Auslastung der Kapazitäten. Von insgesamt 150 Covid-Betten im Land seien aktuell 82 Prozent belegt. „Die 150 Betten sind auch nur zustande gekommen, weil man Betten-Ressourcen für Covid-Patienten umgelegt hat.“ Und diese Zahl sei dann nochmals auf 150 aufgestockt worden, betonte Lamprecht. „Wir haben keinen Spielraum mehr, um steigende Infektionszahlen zu tolerieren“, verdeutlichte er.

Gesundheitsminister Rudolf Anschober und Bernd Lamprecht, Vorstand der Klinik für Lungenheilkunde am Kepler Universitätsklinikum Linz (Bild: APA/HANS KLAUS TECHT)
Gesundheitsminister Rudolf Anschober und Bernd Lamprecht, Vorstand der Klinik für Lungenheilkunde am Kepler Universitätsklinikum Linz

„Wichtig wäre Verständnis der Bevölkerung“
Es gebe seitens des Personals „enormen Einsatz und großes Engagement“, doch „der Zustand kann nicht über viele Monate aufrechterhalten werden“, so der Mediziner. 
„Wichtig wäre Verständnis der Bevölkerung, zu verstehen, dass man mit kleinen Einschränkungen im Leben, damit das Krankenhauspersonal unterstützt.“ Pflegedirektorin Simone Pammer bestätigte die enorme Belastung, unter der das Spitalspersonal seit Monaten stünde, und berichtete auch von der Erkrankung einer Mitarbeiterin des Spitals an Covid-19, deren Kollegen sie in der Folge durch den Krankheitsverlauf auf der Intensivstation „begleitet haben“. Letzte Woche sei sie dann verstorben, was für das Personal neben körperlicher auch eine überaus große seelische Belastung sei. 

In puncto Belastbarkeitsgrenze in den Spitälern betonte Herwig Ostermann, Geschäftsführer der Gesundheit Österreich: „Eine weitere, dritte Welle verkraften wir nur sehr, sehr bedingt.“

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