Was nichts kostet, ist nichts wert, und wer billig kauft, kauft zweimal, heißt es. Aber stimmt das auch? krone.at-Redakteur Sebastian Räuchle hat sein privates Handy für mehrere Wochen gegen Wikos vermeintliches „Billig-Smartphone“ View 5 Plus getauscht - und am Ende wenig bis gar nichts vermisst.
Besonders günstigen Smartphones haftet ein Stigma an: dass sie eben nicht nur billig im Preis sind, sondern auch in der Verarbeitung und Ausstattung. Sozusagen minderwertig, zumindest im Vergleich zur sogenannten Oberklasse. Die Schwelle zu dieser liegt, rein statistisch betrachtet, allerdings deutlich niedriger, als die meisten vermuten würden: Laut einer Umfrage der deutschen Gesellschaft zur Förderung der Unterhaltungselektronik, Veranstalterin der jährlichen Branchenschau IFA in Berlin, gaben Nutzer im vergangenen Jahr durchschnittlich 489 Euro für ihr Smartphone aus. Lediglich 14 Prozent lassen sich ihr Smartphone zwischen 600 und rund 800 Euro kosten, und nur sieben Prozent der Befragten gaben an, mehr als 800 Euro zu bezahlen. Die Mehrheit (48 Prozent) dagegen gibt in der Regel 100 bis 400 Euro für ein neues Smartphone aus - unter 100 Euro zahlen 14 Prozent, 19 Prozent investieren zwischen 400 und 600 Euro.
Billiger gleich schlechter?
Und doch, diesen Vorwurf müssen sich auch Medien gefallen lassen, wird meist nur wenigen, dafür deutlich teureren Smartphones fast die gesamte Aufmerksamkeit zuteil: Samsungs Galaxy S20, Huaweis P40 und vor allem Apples neuem iPhone 12, dessen Einstiegspreis hierzulande bei 899 Euro liegt und damit deutlich über dem, was die Masse der Menschen zu bezahlen bereit oder finanziell überhaupt in der Lage ist. Für die Pro-Variante des aktuellsten iPhones werden sogar 1149 Euro fällig, für das iPhone 12 Pro Max 1249 Euro. Das View 5 Plus des französischen Herstellers dagegen ist derzeit für günstigstenfalls rund 186 Euro erhältlich und kostet damit fast nur ein Siebtel des teuersten Apple-Smartphones. Aber ist es deswegen auch siebenmal schlechter als das iPhone 12 Pro Max?
Verarbeitungsqualität
Als zuverlässiges Unterscheidungskriterium zwischen „billig“ und „gut“, was zugleich implizierte, dass nur besser ist, was teurer ist, galt über viele Jahre die Verarbeitungsqualität. Große Spaltmaße, viel Plastik und knarzende Geräusche trennten quasi die Spreu vom Weizen. Doch inzwischen fällt die Unterscheidung schwerer, haben doch auch preiswerte Hersteller in puncto Design und Verarbeitung in den vergangenen Jahren viel dazugelernt und aufgeholt. Das View 5 Plus mag zwar nicht aus einem einzelnen Alublock gefräst worden sein und die Rückseite besteht auch nicht aus Glas, sondern ist lediglich „glasartig“ (was immer das genau bedeuten mag), mit seinem nahezu randlosen Display, in das die Frontkamera elegant eingelassen wurde, und der bunt schimmernden Kunststoffrückseite mit Verlaufseffekt lässt es sich jedoch zumindest optisch kaum etwa von einem Huawei P40 unterscheiden. Die Haptik überzeugt jedenfalls, einzig der Fingerabdrucksensor fühlte sich nicht ganz so gut an, und wie bei vielen teureren Modellen auch, hinterlassen die Finger auf der glänzenden Rückseite unschöne Fingerabdrücke.
Dass immer mehr günstige Smartphone-Modelle so aussehen wie die teureren, mag übrigens daran liegen, dass sie aus denselben Fabriken stammen, und die stehen mehrheitlich in China, wo neben Wiko auch Apple und alle anderen namhaften Hersteller ihre Geräte fertigen lassen. Der hohe Aufpreis für die Flaggschiff-Modelle lässt sich demnach nicht durch die Herkunft rechtfertigen. Und wohl auch nicht durch vermeintlich bessere Arbeitsbedingungen in den Fabriken, sah sich doch auch Apple in den vergangenen Jahren immer wieder mit Vorwürfen der Zwangs- und Kinderarbeit in seiner Zulieferkette konfrontiert.
Viel günstiger, aber nicht viel schwächer
Von Kosten für Marketing und Werbung einmal abgesehen, sind es am Ende also vor allem die verbauten Komponenten, die ausschlaggebend für den Preis sind. Aber bietet das View 5 Plus, von Wiko wohlgemerkt als „Einsteiger-Smartphone“ deklariert, deswegen gleich eine um ein Vielfaches geringere Leistung? Klare Antwort: nein. Mit seinem 1,8 Gigahertz schnellen Achtkern-Prozessor von MediaTek (MT6765) und seinen vier Gigabyte Arbeitsspeicher ist es wahrscheinlich nicht schlechter ausgerüstet als viele Bürorechner in Österreich und damit gängigen Arbeitsaufgaben problemlos gewachsen. Mails lassen sich eben, polemisch formuliert, auch nicht schneller tippen, nur weil in anderen Smartphones mit acht Gigabyte vielleicht doppelt so viel Arbeitsspeicher und ein paar Rechenkerne mehr vorhanden sind.
Apps starten auf dem View 5 Plus jedenfalls zügig, einfache Spiele laufen flüssig - und für die Mehrheit der Nutzer ist das völlig ausreichend. Das gilt auch für den 128 Gigabyte großen internen Speicher, der sich im Gegensatz zum Teuer-Phone aus Kalifornien mittels microSD-Karte problemlos um 256 Gigabyte erweitern lässt. Mit Dual-SIM-Slot, Fingerabdruckscanner und Gesichtserkennung wird das Gerät weiteren Ansprüchen gerecht.
Weniger Pixel und Konnektivitätsmöglichkeiten
Aber, um nicht alles schönzureden: Verständlicherweise müssen beim View 5 Plus im Vergleich zu den Flaggschiff-Modellen neben der Leistungsfähigkeit des Prozessors gewisse Abstriche in Kauf genommen werden. Doch auch hier stellt sich die Frage, ob diese den Preisunterschied rechtfertigen. So ist das Display des Wiko im schlanken 20:9-Format mit einer Diagonale von 6,55 Zoll beispielsweise angenehm groß und dank IPS-Technologie auch von allen Seiten her schön anzusehen, dafür allerdings mit 1600 x 720 Pixeln (267 ppi) vergleichsweise niedrig auflösend, woran sich vor allem Viel-Videoseher und Gamer stören dürften. Mit Bluetooth 4.2 wird zudem nicht die neueste Version des Funkstandards unterstützt, NFC und der mobile Datenturbo 5G sind gleich gar nicht an Bord.
Lange Laufzeit
Die geringere Auflösung und weniger Stromfresser bedeuten aber auch eine längere Akkulaufzeit, und die zählt zweifelsohne zu den großen Stärken des Wiko: Der fest verbaute 5000-mAh-Akku liefert laut Hersteller, bestätigt durch ein unabhängiges Testlabor, garantierte Energie für 3,5 Tage - ein Wert, der sich mit den persönlichen Praxiserfahrungen deckt und bei zurückhaltender Nutzung (E-Mails, soziale Medien, gelegentliche Videos) sogar problemlos überschritten werden kann. Geladen wird das View 5 Plus, für ein Einsteiger-Gerät überaus fortschrittlich, mittels USB-C - ohne dass Nutzer dafür übrigens im Gegenzug, wie andernorts üblich, auf den klassischen 3,5-Millimeter-Kopfhörereingang verzichten müssten.
Fortschrittliche Vierfachkamera
Angesichts des günstigen Preises überraschend ist auch die mit 48, 8, 5 und zwei Megapixeln auflösende Vierfachkamera, die dank Software - wie bei den „Großen“ - Porträts mit künstlichem Bokeh, Superweitwinkel-, Makro-, Nacht- und alle möglichen Aufnahmen anderer Art ermöglicht. Frontseitig steht eine mit 8 Megapixeln auflösende Selfie-Kamera zur Verfügung. Sehen die Farben genauso realistisch aus wie auf iPhone & Co. und sind die Aufnahmen genauso rauscharm? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Können Videos in 4K gefilmt werden? Nein, bei 1080p ist Schluss. Doch welche Rolle spielt das, wenn am Ende Facebook, Instagram und Co. mit ihren Algorithmen die 48-Megapixel-Fotos auf wenige Pixel und Kilobyte zusammenschrumpfen und beschneiden, und Nutzer dann diese auch noch mit Filtern bis zur Unkenntlichkeit „verschönern“? Ich war mit meinen Schnappschüssen jedenfalls mehr als zufrieden, und das zählt.
Gleiches lässt sich über die Bedienbarkeit sagen, setzt Wiko doch auf Googles Android in der Vorjahresversion 10.0 und lässt dieses bis auf einige wenige Funktionen wie einen eigenen Launcher, einen Spiel-, Einfach- sowie Einhandmodus nahezu unverändert. Diese sehen zwar nicht gar so „fancy“ aus, wie man das von teureren Modellen unter Umständen gewohnt ist, erfüllen dessen ungeachtet jedoch ihren Zweck. Für den Zugriff auf Googles Assistant bietet das View 5 Plus sogar eine eigene Taste.
Fazit: Wie viel Smartphone braucht der Mensch? Und was soll es kosten? Diese beiden Fragen sind individueller Natur und können demnach auch nur persönlich von jedem selbst beantwortet werden. Der Blick auf Wikos View 5 Plus zeigt jedoch eindrucksvoll, wie stark bis vor wenigen Jahren noch ausschließlich teureren Modellen vorbehaltene Extras und Funktionen inzwischen selbst bis zu den günstigsten Geräten vorgedrungen sind. Zugleich wird deutlich, dass an der Spitze bei den Flaggschiff-Modellen nicht im selben Maße neue Innovationen nachkommen, wodurch der technologische Vorsprung der Ober- gegenüber der Mittel- und sogar Einsteigerklasse schwindet. Kein Wunder also, dass seit einigen Jahren „Billig-Anbieter“ vornehmlich aus Fernost, wie Huawei, Oppo, Xiaomi, Realme und Vivo, oder eben auch Wiko kontinuierlich Marktanteile gewinnen. Ganz abgesehen davon, dass es für die meisten von uns im Alltag inzwischen herzlich egal sein dürfte, ob unser Smartphone nun vier oder acht Gigabyte RAM hat und seine Prozessoren mit 1,8 oder 2,3 Gigahertz takten. Smartphones, und das gilt für andere Gerätegattungen wie zum Beispiel Digitalkameras auch, sind mittlerweile derart ausgereift, dass selbst vermeintlich einfache Geräte den gängigsten Ansprüchen gerecht werden. Sie sind schlichtweg „übermotorisiert“.
Als gewöhnlicher Smartphone-Nutzer, der täglich seine E-Mails checkt, Facebook und WhatsApp nutzt, ab und zu ein YouTube-Video schaut und Netbanking betreibt, wüsste ich jedenfalls nicht, was mir beim View 5 Plus sonderlich abgehen sollte. Für 186 Euro ermöglicht das Wiko all dies, hübsch verpackt und ebenso anzuschauen. Oben drauf gibt es eine gute Kamera, die mit 48 Megapixeln sogar höher auflöst als meine damals mehrere tausend Euro teure Spiegelreflexkamera, und einen dicken Akku, der viele der um ein Vielfaches teureren Flaggschiff-Modelle alt aussehen lässt.
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