Wie zum Teufel kann Han Solos Millenium Falcon in Star Wars so wendig durchs All zischen, obwohl er so plump aussieht wie ein Trumm Weltraumschrott? Auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigen sowieso, und zwar in Nullkommanix. Keine Ahnung, aber beim BMW X6 M ist es ähnlich.
Okay, der Vergleich mit Weltraumschrott wäre in dem Fall gemein, der X6 M wirkt schon eine Spur elefanter (kein Witz, ich hab mich an der Stelle tatsächlich vertippt, es sollte „eleganter“ heißen. Schwöre!). Mehr wie ein Wal oder ein Seelöwe, die ja bekanntlich großes Ballettschwimmen veranstalten, sobald sie in ihrem Element sind.
Unsinnig? Vielleicht auch, ja
Aber gut, wir haben hier eine Art schwangeren Weltraumwal, laut Zulassung exakt 2295 Kilogramm schwer, mit einem 625-PS-Biturbo-V8 unter der Haube, der ab 1800 Touren 750 Nm liefert und an den Walzen reißt, als wollte zum Sprung im den Hyperraum ansetzen. Übertrieben, stimmt, aber das ist das Auto auch. Ist man damit mal unterwegs, verschwimmen die Verhältnisse jedoch. Zu groß, zu mächtig, zu stark, zu unsinnig gibt‘s dann nicht mehr.
SUV-Coupé mit der Wirkung eines Heilsteines
Was soll auch sinnvoller sein an einem klassischen SUV-Heck im Gegensatz zum Coupé-Heck des X6? Nichts, wenn man im Kofferraum nicht hochstapeln will. Gut, man fällt im X6 M mehr auf und es greifen mehr Menschen wahlweise zum Smartphone oder sich an den Kopf, vor allem wenn das gute Stück in Ametrin metallic lackiert ist.
Fragen Sie sich an dieser Stelle, was „Ametrin“ ist? Jedenfalls keine Phantasiebezeichnung. Ametrin ist laut Wikipedia „eine seltene Kombination aus violettem Amethyst und goldgelbem Citrin in einem einzigen Stein“. Wer an eine Wirkung von Edelsteinen (abseits der wirtschaftlichen oder ästhetischen) glaubt, wird sich freuen, dass dem Amethyst die subjektive Wirkung zugeschrieben wird, „dichte Blockaden zu lösen, Schmerz zu lindern, bei Depression, Stress, Verdauungsproblemen und Schlaflosigkeit zu helfen, Ängste abzubauen und die Abwehr zu stärken“. Das kann der BMW X6 M kraft seiner Lackierung mit der gleichen Wahrscheinlichkeit. Wissenschaftliche Belege gibt es hier wie dort nicht.
Was aber jeder, der die Gelegenheit dazu bekommt, selbst erfahren kann, ist die stimmungsaufhellende Wirkung dieses Giganten von einem Sportwagen. 3,8 Sekunden für den Sprint von null auf 100 km/h beschreibt nur unzureichend, was abgeht, wenn man das Gaspedal durchdrückt. Denn es ist einem immer bewusst, in was für einem Koloss man hier sitzt. 13,5 Sekunden, nachdem die Räder angerollt sind, hat man die 200er-Marke am Tacho bereits hinter sich gelassen. Kurz danach stürmt das Monster derart vehement bei offiziell abgeregelten 250 in den Begrenzer, dass man glauben könnte, es möchte die Sperre einfach durchbrechen (aber das lässt sich nur durch Mitbestellen des M Driver‘s Package bewerkstelligen, wodurch 290 km/h zugestanden werden). Auffällig war am Testwagen übrigens, dass er das persönliche Tempolimit offenbar nach Lust und Laune variierte. Die GPS-Messung ergab mal 247, mal 249, mal sogar 253 km/h. Hm.
Nein, BMW, das ist kein adäquater Tacho
Zum genauen Ablesen der Fahrgeschwindigkeit muss man die Digitalziffernanzeige oder das Head-up-Display bemühen, diesbezüglich ist der X6 M ein BMW wie fast jeder andere aktuelle auch. Der Digitaltacho ist längst zum reinen Designfeature verkommen, der Versuch, die Geschwindigkeit am stilisierten digitalen Halbrundinstrument abzulesen, lenkt mehr ab, als ein zwanzigzeiliges E-Mail am Handy zu tippen. So weit sind sie gekommen bei BMW, dass der Tacho in Wahrheit keine relevante Funktion mehr hat. Aber gut, anderswo schrauben sie Auspuffattrappen ans Heck, das machen sie bei BMW zum Glück nicht.
Und weil ich gerade beim Bediensystem bin: Warum, BMW, zeigt mir das Zentraldisplay beinahe formatfüllend, dass ich eine Funktion, die ich vom Lenkrad aus per Knopf auslösen kann, auch per Fingerwisch durch die Luft abrufen könnte? Spart euch die unnötige Gestensteuerung. Und wenn ihr sie einbauen wollt, lasst den Fahrer in Ruhe damit und verdeckt ihm nicht das Display. Schlimm genug, dass immer wieder die Musik lauter oder leiser wird, wenn man während der Fahrt der mitfahrenden Person etwas gestikulierend erzählt.
Die Sache mit den Assistenzsystemen
Aber ich schweife ab. Dabei ist Aufmerksamkeit das Um und Auf im BMW X6 M. Kurz nicht aufgepasst, schon bekommt man Post. Man kann natürlich auch die Systeme aufpassen lassen. Der teilautonome Lenkassistent hat mich diesmal nicht in brenzlige Situationen gebracht, und der Adaptivtempomat hält brav den Abstand, wenn man diese Funktion nicht abgeschaltet hat. BMW gehört noch immer zu den wenigen Herstellern, die diese Möglichkeit bieten. Das Elektronengehirn kann auch das aktuelle Tempolimit übernehmen (mit der üblichen Fehlerquote), wobei man sogar einen Aufschlag voreinstellen kann, sodass man zum Beispiel statt 130 immer 139 km/h fährt, wenn man glaubt, damit straffrei durchzukommen.
Natürlich gibt es auch so etwas Profanes wie einen aktiven Spurhalteassistenten. Wenn man den abgeschaltet hat, kann trotzdem der Eindruck aufkommen, dass er aktiv ist und ins Lenkrad eingreift. Das täuscht. Der Eindruck kommt daher, dass die riesigen Gummiwalzen jeder Asphaltwelle hinterherlaufen. Je schlechter die Straße, desto mehr. Ernsthaft, ich habe mehrfach kontrolliert, ob der Lane Assist tatsächlich abgedreht war. Zum Competition-Paket gehören (neben der von 600 auf 625 gesteigerten Motorleistung) vorne 21 Zoll, hinten 22 Zoll große Felgen, mit 295er- bzw. 315er-Reifen. Da muss man schon nachfragen, bevor man in die Waschanlage hineinfährt.
Fahren und Federn
Komfort darf man sich nicht in ausgiebigem Maß erwarten. Der BMW X6 geht auf schlechten Straßen eher ruppig mit seinen Insassen um. Dafür kann man aber auch durch Kurven pfeilen, und zwar auf eine Art, die man bei dem Fahrzeuggewicht eigentlich nicht zwingend erwarten würde. Willkommen beim nächsten Track Day! Für diesen Einsatz hält das Competition-Modell sogar einen eigenen Track Mode bereit.
Fürs echte Schnellfahren empfiehlt es sich aber auf jeden Fall, die Adaptivdämpfer sportlich einzustellen. Nicht nur auf der Rennstrecke, auch auf unlimitierten deutschen Autobahnen. Das macht die Fahrerei präziser. Man kann sich zwei Setups auf den roten M-Tasten am Lenkrad abspeichern, sehr praktisch! Die Lenkung ist okay, dürfte aber gerne etwas mehr Gefühl vermitteln. Wie schnell und hart oder komfortabel die Achtgangautomatik schaltet, lässt sich extra einstellen.
Nicht so ganz komfortabel sind auch die Windgeräusche, man merkt, dass die Seitenscheiben ohne Rahmen auskommen müssen. Ist ja auch cool und schaut gut aus. Aber wenn man fast 220.000 Euro ausgibt, hätte man es unterwegs vielleicht gern etwas ruhiger.
Unterm Strich
Der BMW X6 M ist ein wahnsinniges Monster, das richtig viel Spaß machen kann, mit dem man sich aber auch viel Kritik einhandelt. Politisch und klimatechnisch ist man da auf der dunklen Seite unterwegs. Aber: Man leistet dafür auch einen heftigen Obolus. Der Basispreis für den BMW X6 M liegt in Österreich bei 165.150 Euro, für den BMW X6 M Competition bei 182.851 Euro. Der Testwagenpreis summiert sich auf 218.166 Euro. Der NoVA-Satz liegt übrigens bei 32 Prozent. Das ist der Höchstsatz, der würde auch dann nicht steigen, wenn man den Testverbrauch von 16,5 l/100 km zur Berechnung heranziehen würde.
Dinge, über die Han Solo nie nachdenken musste. Der hat mit seinem Millenium Falcon aber zur Rettung einer Welt beigetragen das wird mit dem BMW X6 M eher nicht passieren.
Warum?
Weil dieses absurde Ding einfach Spaß macht
Weil die Wirkung eines Ametrin metallic lackierten Über-SUVs eher wiederholbar ist als die eines reinen Ametrin-Steines
Warum nicht?
Das ist wohl selbsterklärend.
Oder vielleicht ...
... Audi RS Q8, Mercedes-AMG GLE 63. Lamborghini Urus
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