Deutsch suspendiert
EVP mit erneutem Kniefall vor Viktor Orban
Die EVP schloss am Mittwochabend den Delegationsleiter der ungarischen Fidesz, Tamas Deutsch, wegen eines Gestapo-Vergleichs nicht aus der Fraktion aus, sondern suspendierte ihn. Deutsch sollen demnach Redezeiten im EU-Parlament und alle Posten innerhalb der EVP-Fraktion gestrichen werden. Die EVP entschied sich für Machterhaltung um jeden Preis und gegen Identitätswahrung zum Preis der Verkleinerung.
Ein Ausschluss von Fidesz-Delegationsleiter Deutsch aus der EVP hätte auf alle Fälle einen Rattenschwanz nach sich gezogen. So schiebt die EVP eine direkte Konfrontation mit Ungarns Ministerpräsident Orban in Form eines Ausschlusses von Deutsch oder der ganzen ungarischen Fidesz-Fraktion vor sich her. Obgleich Orban keinerlei Anstalten unternimmt, seine Partei in das wertepolitische Fahrwasser der EVP zurückzubringen. Will er auch nicht, er hat den konservativen Wertekanon der EVP längst verlassen und strebt einen europaweiten Rechtsruck an.
Manfred Weber, Chef der EVP, ruft die Fraktion dazu auf, über den endgültigen Status von Fidesz zu entscheiden, sobald die Gesundheitssituation dies wieder zulasse. Diese ist seit März 2019 suspendiert. Und Richtung Fidesz-Abgeordneten meint er, sie sollen „darüber nachdenken, ob ihre grundsätzlichen politischen Überzeugungen noch mit den Werten und wichtigsten Inhalten der EVP-Fraktion vereinbar sind“. Ein Kniefall vor Orban.
Andere Delegationen würden Fidesz folgen
Das Dilemma der EVP: Orban kann sich einen Ausschluss eher erlauben als die Fraktion den Verlust von 13 ungarischen Parlamentariern. Ohne die man zwar weiterhin die größte Fraktion bleiben und somit auch beispielsweise weiter den Kommissionspräsidenten stellen würde. Aber Fidesz hat Einfluss. „Würde Fidesz ausgeschlossen und sich dann der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) anschließen, stünden wohl auch die Mitgliedschaften der bulgarischen, kroatischen und anderer osteuropäischer Parteien in der EVP zur Disposition“, sagt Andreas Maurer, Politologe von der Uni Innsbruck.
Oder die Orban-Kritiker wie Othmar Karas verlassen über kurz oder lang die EVP. Hier geht es um 40 Parlamentsplätze. So oder so würden sich die Konservativen spalten.
Fidesz hätte die freie Wahl: Neben der EKR gäbe es auch noch die rechtsextreme Fraktion Identität und Demokratie, zu der etwa die AfD und die italienische Lega gehören. „Diese Fraktion würde plötzlich Zugriff auf Ressourcen haben, die nach Aufnahme von Fidesz entsprechend angepasst würden - zu Lasten der EVP. Und eine durch Fidesz gestärkte EKR könnte die dann geschwächte EVP vor sich hertreiben“, analysiert der Europa-Experte. Weswegen sich die EVP am Mittwochabend für den Machterhalt entschied - und gegen eine Konfrontation mit Orban.
Doch welche Möglichkeiten hätte die EVP? „Sie könnte einen möglichen Verlust kompensieren, wenn es ihr gelänge, aus dem Lager der Liberal-Zentristen (RENEW) Parteien für die EVP zu gewinnen. Und würde Fidesz in die EKR abwandern, stünde die EVP auch als Auffangbecken für diejenigen Konservativen bereit, denen ein Zusammenschluss des Visegrader Rechtsblocks aus polnischer PiS, der tschechischen ODS und der ungarischen Fidesz zu weit ginge“, sagt Experte Maurer.
Selbstreinigungsprozess bei EVP dringend nötig
Die EVP müsste einen Selbstreinigungsprozess starten, wie ihn die Europäischen Sozialdemokraten bereits vollzogen haben. „Also analog zu den Grünen und Linken gegenüber den Sozialdemokraten käme es zu einer Herausbildung eines rechten Blocks rund um die EKR und der ID gegenüber der EVP“, so Maurer. Die Parteienlandschaft im europäischen Parlament würde bunter werden.
Clemens Zavarsky, Kronen Zeitung
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.