Der zweite zweisprachige Bischof in der Geschichte Kärntens, Josef Marketz, spricht über die Nachwehen des Kirchenskandals, schwarze Schafe und die Frohbotschaft unmittelbar vor dem dritten Lockdown.
Die bischöfliche Residenz in Klagenfurt, wo die Tochter der Kaiserin, Erzherzogin Maria Anna, bis zu ihrem Tod lebte. Der neue Bischof Josef Marketz (65) ist nicht in das barocke Palais mit Schlossgarten übersiedelt, sondern in seiner Wohnung im Pfarrhof geblieben. 18 Kerzen mit Tannenzweigen leuchten, vorbei an den gemalten Porträts seiner Vorgänger, den Weg über die Steinstiege in den ersten Stock. Neben dem Computer auf dem Schreibtisch Seiner Exzellenz steht eine Statue der Schutzpatronin Kärntens, Hemma von Gurk. „Exzellenz nennt mich kaum jemand“, lacht Josef Marketz, der ehemalige Caritas-Manager, und nimmt am Holztisch vor dem Bücherregal Platz. „Danke, dass Sie sich die Mühe gemacht haben, von so weit zu kommen.“ Der milde Schein von vier dunkelvioletten Kerzen verleihen dem Gespräch eine friedlich-feierliche Note.
„Krone“: Vor einem Jahr und drei Wochen hat Papst Franziskus Sie zum Bischof ernannt. Können Sie sich noch an den Moment erinnern, in dem Sie davon erfahren haben?
Josef Marketz: Wenn ein Anruf aus dem Vatikan kommt, kann man sich schon vorstellen, was das bedeutet. Da war nicht nur Freude… Die Situation in dieser Diözese war ja keine, die man sich wünscht. Ich bin dann nach Rom gefahren, wo es mir offiziell mitgeteilt wurde. Sagen wir so: Ich habe mir das nicht gewünscht. Das ist eine sehr große Verantwortung.
Ihr Vorgänger Alois Schwarz hat hier einen Scherbenhaufen hinterlassen: Steuerstrafverfahren, Betrugsverdacht, Kritik an seiner Amts- und Lebensführung. Wie lange wird es dauern, das Vertrauen des Kirchenvolks wiederzugewinnen?
Das weiß ich noch nicht. Das Vertrauen hat bei vielen gelitten, einerseits aufgrund der Unregelmäßigkeiten, andererseits gab es auch einen Streit um die Ausrichtung der Nachfolge, den man mit Kirche nicht unbedingt verbinden möchte. Insofern war und ist es schwierig. Aber schon bald, nachdem ich angetreten bin, ist der Coronavirus gekommen und dann hatten wir plötzlich ein größeres Problem.
Apropos Kirchenvolk: Mögen Sie das Bild mit dem Hirten und seinen Schäfchen?
Es passt natürlich nicht mehr in unsere Zeit. Ich finde dieses biblische Bild trotzdem schön. Weil es symbolisiert, dass es keinen Menschen gibt, der es nicht Wert wäre, dass man ihn beachtet, ihm zuhört, ihm hilft. Der Hirte kümmert sich auch um das letzte Schaf, das schwarze Schaf, wenn Sie so wollen. Vielleicht noch mehr als um die andern.
Sie gelten als bodenständig und bescheiden.Sie sind auch nicht in diese barocke Residenz gezogen. Warum nicht?
Weil ich hier ganz allein wäre! Alle unsere kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehen am Abend nach Hause. Was würde ich in diesem großen Haus machen? Ich glaube, da würde ich krank werden.
Aber all Ihre Vorgänger haben hier gewohnt …
Mit dem Vorvorgänger haben noch geistliche Schwestern gewohnt, Bischof Schwarz hatte auch noch einen bischöflichen Haushalt mit Angestellten hier… Ich wohne lieber mitten in der Stadt. Mein Selbstverständnis ist es, aufmerksam zu bleiben für die Welt draußen. Ich möchte nicht der Versuchung verfallen, in einer kirchlichen Blase zu leben. Dazu gehört auch, mit möglichst vielen Beteiligten zu sprechen, bevor ich eine Entscheidung treffe. Synodal nennt man das in der Kirche. Mit allen anderen gemeinsam zu Lösungen kommen. Das dauert manchmal etwas länger (lacht).
Auch im größten Leid gibt es nicht nur Tränen, sondern auch Dankbarkeit, dass es immer Menschen gibt, die für einen da sind.
Bischof Josef Marketz
Heute ist Christtag, der letzte Tag vor dem nächsten Lockdown. Wie kann uns Weihnachten nach diesem schwierigen und seltsamen Jahr froh machen?
Die Frohbotschaft steht in der Bibel. Wir sehen eine Mutter, einen Vater und ein Kind in der Krippe. Obwohl ihre Situation alles andere als positiv ist, tauchen Engel auf, es ist große Freude spürbar. So ist es auch heute, wenn Menschen einander beachten, wahrnehmen und lieben. Der Papst spricht in diesem Zusammenhang von Zärtlichkeit. Wenn wir zärtlich miteinander umgehen, kommt tiefe Freude auf. Auch im größten Leid gibt es nicht nur Tränen, sondern auch Dankbarkeit, dass es immer Menschen gibt, die für einen da sind. Das ist die Frohbotschaft.
Seit die Pandemie ausgebrochen ist, können wir einander nicht einmal mehr die Hände geben oder uns umarmen. Was meinen Sie mit Zärtlichkeit?
Zärtlichkeit im Sinne von Zartheit. Wenn wir beide uns im Gespräch in die Augen schauen, dann würden wir trotz der Masken das Wohlwollende in unseren Blicken und Worten sehen. Manchmal ist es besser, von der Umarmung einen Schritt zurückzugehen, da sieht man dann den ganzen Menschen und kann ihn vielleicht noch besser annehmen und lieben. Nicht nur in Umarmungen und Küssen steckt Zärtlichkeit, sondern auch in der Gestik und in der Sprache.
Viele glauben nicht an Gott oder haben eine andere Religion. Was kann Weihnachten für sie bedeuten?
Nicht umsonst wird Weihnachten von fast allen gefeiert, fast jeder sagt, dass er irgendwas glaubt. Ich finde, es liegt so was Heiliges in der Luft, etwas, das mein normales Wissen und Fühlen übersteigt. Etwas Transzendentes, aber das Wort versteht ja keiner (lacht).Es haben sich Traditionen herausgebildet, die im kirchlichen Rahmen entstanden sind, aber wir haben kein Copyright darauf. Der Weihrauch, die Kerzen, das Licht. Das ist doppelt wichtig in dieser dunklen Zeit. Und natürlich die Geschenke. Es wäre vielleicht gut gewesen, dieses Jahr gar nichts zu schenken, gar nicht einkaufen zu gehen bei all den Menschenmassen, aber trotzdem haben wir es gemacht, aus einem Instinkt heraus, einem inneren Bedürfnis. Die Leute möchten ihren Liebsten einfach etwas schenken. Schenken heißt auch Wertschätzen. Alle Menschen wünschen sich Wertschätzung, aber wir haben die Sprache dafür verloren. Es ist gar nicht so einfach zu sagen: „Du, ich mag dich. Das ganze Jahr hast du so viel für mich getan.“ Weihnachten wäre ein Anlass, genau das zu sagen. Diese Worte werden wie Geschenke sein. Und man kann sie auch noch am 26. oder 27. Dezember nachholen.
Marketz erzählt die Geschichte einer Weihnachtsfeier in einem Obdachlosenheim. Gemeinsam mit Pater Georg Sporschill seien sie nach der Mette zusammengesessen, jeder Obdachlose habe ein kleines Geschenk mit einem persönlichen Brief bekommen. Keiner habe das Packerl zuerst aufgemacht, sondern alle den Brief mit der wertschätzenden Nachricht.
Was ist Ihre prägendste Erinnerung an das Weihnachtsfest Ihrer Kindheit?
(Der Bischof dreht das Holzkreuz an seiner Kette hin und her und überlegt. Ob er jetzt Slowenisch denkt?) Ich sehe den Großvater mit uns durch das Haus und in den Stall und ums Haus herum gehen. Auch damals lag etwas Heiliges in der Luft…Wir haben geräuchert, hatten Weihwasser und haben dabei den Rosenkranz gebetet. Als wir zurückgekommen sind, war das Christkind da. Wir haben wir die Kerzen des Christbaums angezündet und „Stille Nacht“ gesungen. Nachdem am Vormittag gefastet wurde, gab es dann Räucherwurst mit Sauerkraut.
Keine Geschenke?
Wir hatten ein sehr bescheidenes Dasein auf unserem kleinen Bauernhof. Die Geschenke waren Dinge, die man sowieso hätte kaufen müssen. Ein neues Paar Schuhe, oder eine Hose. Das hat mir und meinen zwei Geschwistern nicht immer gefallen.
Wie oft sprechen Sie noch Slowenisch?
Zu Hause spreche ich bis heute kein Deutsch. Ich habe hier Mitarbeiter, die Slowenisch sprechen, mit denen spreche ich Slowenisch. Ansonsten spreche ich natürlich hauptsächlich Deutsch.
Wenn Österreich sich jetzt mit aller Kraft dagegen wehrt, was werden wir da bewirken? Also sollte man das Herz sprechen lassen.
Bischof Josef Marketz auf die Frage, ob Österreich Flüchtlinge aufnehmen sollte
Verschiedene Bischöfe haben sich positiv zur Frage der Aufnahme von Kindern aus den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln geäußert. Zuletzt sprach sich sogar der Bundespräsident dafür aus, 100 Familien von dort aufzunehmen. Wollen Sie das auch?
Ja. Ich komme ja von der Caritas und daher sage ich ganz klar: Wenn irgendwo die Not so groß ist, wenn die Menschenwürde verletzt wird, dann darf ich nicht mehr verhandeln, dann muss ich handeln. Wenn jemand im Meer ertrinkt, verhandle ich in dem Moment ja auch nicht die weiteren Schritte, weil sonst ertrinkt er. Ich verstehe, dass ein sogenannter „Pull-Effekt“ entstehen könnte und ich verstehe auch, dass Leute sich fürchten. Wenn Österreich sich jetzt mit aller Kraft dagegen wehrt, was werden wir da bewirken? Also sollte man das Herz sprechen lassen.
Genau das will die türkis-grüne Regierung nicht. Glauben Sie, man könnte den Kanzler umstimmen?
Glauben tu ich an Gott (lacht). Ich finde, die Regierung müsste es ermöglichen. Wenn es Menschen gibt, die diese Familien aufnehmen wollen, dann soll man wenigstens nicht gegen sie polemisieren. Man soll die Guten gut sein lassen… Dieses ganze Gutmenschen-Gerede ist ja wirklich beleidigend.
Was wäre Ihre Botschaft an die Bundesregierung?
Ich bitte sie einfach, auf Menschen zu hören, die helfen wollen. Es geht um Solidarität. Unsere Solidarität wird nie ausreichen, dass alle Menschen auf der Welt so leben können, wie wir und wie sie es verdienen würden. Da braucht es Zeichen und die Aufnahme von diesen Familien wäre so ein Zeichen.
Sie bitten. Wäre fordern nicht deutlicher?
Nein, fordern will ich nicht. Dann müsste ich zuerst einmal dieses Haus hier füllen. Mein Bischofsspruch ist: „Deus caritas est“ - Gott ist Liebe. In jedem, der Not leidet, ist Gott. Also das ist eine schwierige Aufgabe, der ich auch nicht immer gerecht werde. Aber versuchen tu ich es. Unsere Diözese würde natürlich auch Familien aufnehmen.
Wann war das letzte Mal der Moment, wo Sie sich gedacht haben, dieses Schaf muss jetzt auch noch mit, obwohl es schwierig ist?
Ich kenne eine Frau, die auch im Winter, bei der größten Kälte, draußen schläft. Sie will einfach nicht, dass ihr geholfen wird. Und das ist das Interessante bei den Schafen und beim Hirten. Wenn ein Schaf davonläuft, hat er keine Chance. Er schickt zwar den Hund hinterher, aber letztlich muss ich dieser Frau auch die Freiheit lassen und immer noch Gott in ihr sehen und sie lieben, auch wenn sie einen ganz anderen Weg geht.
Von Johannes XXIII erzählt man sich, dass er ein guter Bischof, ein guter Mensch war. Und das möchte ich auch sein.
Bischof Josef Marketz
Was soll man einmal über Bischof Marketz sagen?
Das ist wirklich eine schwere Frage. Von Johannes XXIII erzählt man sich, dass er ein guter Bischof, ein guter Mensch war. Und das möchte ich auch sein.
Woran wird man erkennen, dass Bischof Marketz Slowene war?
Daran, dass er im Dom immer auch auf slowenisch gebetet hat. Die Sprache ist ein ganz wichtiges Identitätsmerkmal des Menschen und wenn ich seine Sprache zur Seite schiebe, dann schiebe ich letztlich den Menschen zur Seite. Das habe ich oft genug gespürt in meinem Leben.
Wie feiern Sie eigentlich Weihnachten?
Ich kann weder unsere Obdachlosen-Einrichtung noch ein Pflegeheim und die Haftanstalt besuchen, wie ich es geplant hatte, sondern bin in meiner Wohnung. Ich habe das erste Mal einen Christbaum selbst geschlägert und aufgeputzt. Auch die Rauchwürste aus meiner Kindheit hab ich mir gekocht mit Kraut. Ich bin also ganz allein, aber im Gebet verbunden mit all jenen, denen es dieses Jahr genauso ergeht.
VOM CARITASDIREKTOR ZUM BISCHOF
Zur Person: Geboren am 30. Juli 1955 in St. Philippen ob Sonnegg /Št. Lipš in Kärnten. Studium der Theologie in Salzburg und Laibach, Diakonatsjahr in Ecuador. Priesterweihe 1982. Ab 2014 ist Marketz Bischofsvikar für die Caritas und soziale Dienste, danach Caritas-Direktor in Kärnten. Am 3. Dezember 2019 ernennt Papst Franziskus ihn zum 66. Bischof der Diözese Gurk. Im Dom zu Klagenfurt wird er am 2.2.2020 zum Bischof geweiht, er ist der zweite slowenische in 200 Jahren. Der Gottesdienst fand auf Deutsch und Slowenisch statt.
Conny Bischofberger, Kronen Zeitung
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