Ein Gespräch mit Ivica Osim ist stets purer Genuss! Der schwarze Trainer-Philosoph und Jahrhundert-Coach über die Pandemie, den Sturm-Komplex, eine Welt am Abgrund und besondere Momente.
Den vorbereiteten Fragenkatalog kann man - diese Einsicht kommt rasch - getrost beiseitelegen. Und das ist auch gut so. Stattdessen ist man mittendrin in einem fesselnden Monolog. Wenn der Gesprächspartner Ivica Osim heißt, zieht man sich nur allzu gern in die Rolle des Stichwortgebers zurück.
Corona: „Ich bin gesund und habe einen großen Schlüssel, mit dem ich zusperren kann. Wir müssen lernen, mit der Gefahr zu leben. Corona hat uns gezeigt, dass es Dinge gibt, die der Mensch nicht kontrollieren kann. Die Welt hat schon zu viele Probleme, man muss retten, was noch zu retten ist. Es gibt so viele Kriege, aber sie sind keine Lösung. Doch alle wollen herrschen, eine Armee haben, mächtig sein. Es muss ein Stopp her, anders geht es nicht mehr weiter.
Osim sitzt mit der Familie in seinem Haus in Graz. Erst wenn die Pandemie vorbei ist, will der 79-Jährige in seine Heimatstadt Sarajevo zurückkehren. Im Fernsehen läuft nebenbei ein Match aus der Konserve. „Roma gegen Torino, 3:1. Mit Gojak und Dzeko spielen auch zwei bosnische Teamspieler. Dzeko hat schon für zehn Klubs gespielt, aber egal. Er ist ein guter Knabe, macht seine Tore.“
Fußball: „Ich schaue mir rund um die Uhr Spiele an, Hauptsache, es gibt einen Ball und zwei Mannschaften mit verschiedenen Leiberln. Das viele Geld im Fußballgeschäft ist mittlerweile aber ein Problem, es verdirbt alles und macht nur kurze Zeit glücklich. Heute ist es einfacher eine Mannschaft zu komponieren - man kann alle Spieler kaufen. Schauen Sie sich Real Madrid an. Dort holt der Präsident jene Spieler, die das Publikum will. Geld ist der größte Gegner des Fußballs, aber mit ihm ist das Leben interessanter. Einige Mannschaften spielen aber nicht Fußball. Und wer nur läuft, kann nicht gewinnen. Man glaubt, viel über dieses Spiel zu wissen - und dann sieht man am Ende die Resultate und man weiß, dass man doch nichts darüber weiß.“
Ich schaue mir rund um die Uhr Spiele an, Hauptsache ein Ball und zwei Mannschaften mit verschiedenen Leiberln.
Sturms Jahrhunderttrainer Ivica Osim
In Graz fand Osim eine zweite Heimat. „In einer schlechten Stadt kann man nicht schön leben. Noch während Hannes (Anm.: Kartnig) mir alles gezeigt hat, war für mich klar: Hier gefällt’s mir, da kann ich gleich unterschreiben. Graz war Liebe auf den ersten Blick. Meiner Familie geht es gut, das ist wichtig. So ein schönes Leben zu haben, das habe ich nicht erwartet.“
Sturm: „Wenn ich früher im Stadion war, hat Sturm verloren und ich war traurig. Jetzt hab ich einen Komplex, schaue die Spiele zuhause an. Es war eine schöne Zeit bei Sturm und ein Genuss, hier zu arbeiten. Spieler, Fans - alle waren korrekt. Schade nur, dass wir das Team zu spät verjüngt haben. Wir haben so viele Überraschungen geschafft, die Leute konnten und wollten es oft nicht glauben. Ich kann mich noch gut an den 3:1-Sieg bei Rapid erinnern. Schöne Pässe, Tore, Kombinationen - das ganze Stadion hat applaudiert. Wir hätten noch mehr erreichen können, das stimmt mich traurig. Gegen ganz große Teams fehlte uns das Vertrauen. Aber Spieler müssen lernen, dass sie gegen jede Mannschaft gewinnen können.“
Burghard Enzinger, Kronen Zeitung
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