Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) musste sich in den vergangenen Monaten öfter dem Willen des Bundeskanzlers beugen. Im „Krone“-Interview spricht er über Überzeugungsarbeit, negative Bilder und wie das Aus für das Distance Learning gelingen soll.
„Krone“: Herr Minister, viele Bildungsexperten warnen vor einer verlorenen Generation, die unglaubliche Bildungsdefizite anhäuft. Wie dramatisch sehen Sie die Situation?
Heinz Faßmann: Mir sind manche Aussagen zu fatalistisch und zu pessimistisch. Lernen ist ein dynamischer Prozess und man kann sehr viel wieder aufholen. Auch im Distance Learning ist viel gelernt worden. Abgesehen davon, gab es in der Geschichte eine Generation, die wirklich bildungsbenachteiligt war, und zwar die Kriegs- und die Nachkriegsgeneration. Da muss man schon die Kirche im Dorf lassen.
Nach dem Ende des heurigen Schuljahres wird es zwei Corona-Maturajahrgänge geben. Befürchten Sie nicht, dass diese Matura weniger wert ist?
Nein, definitiv nicht. Die meisten Maturanten werden, so wie diejenigen in den Jahren davor, eine Hochschule besuchen. Ich bin ein wirklicher Gegner davon, zu sagen, das ist alles verloren und bringt eine Stigmatisierung fürs ganze Leben.
Derzeit herrscht viel Verunsicherung in den Schulen, nach den Ferien gibt es wieder Home-Schooling, vor der Rückkehr in die Klassen soll es Massentests geben, es herrscht Maskenpflicht. Können Sie die Skepsis und Kritik nachvollziehen?
Ich will Stabilität im Bildungssystem, wir haben zu viel Auf und Zu, Hin und Her. Alles ist mir recht, um die Stabilität herzustellen, etwa der Mund-Nasen-Schutz oder vermehrtes Testen. Es wird nun eine große Testwelle von 15. bis 17. Jänner geben.
Werden diese Tests jetzt eigentlich verpflichtend sein? Zuerst hieß es ja, dann wieder vielleicht ...
Bei den Lehrern muss das noch geklärt werden, für die Verpflichtung bedarf es einer rechtlichen Grundlage, die wir so nicht haben. Das ist nicht mehr Aufgabe des Bildungsministers, sondern des Gesundheitsministers.
Die Lehrergewerkschaft wehrt sich gegen Zwang, verlangt aber schon seit einiger Zeit Tests an jedem Schulstandort. Wieso wird das nicht angeboten?
Tests an jedem Standort, niederschwellig und dezentral ist sicher unsere Perspektive, unser Ziel. So nach dem Motto „Montag ist Testtag“. Dort müssen wir aber erst hinkommen, das hängt auch von den technischen Testmöglichkeiten ab und braucht gewisse organisatorische Voraussetzungen.
An den Schulen findet erst ab 18. Jänner wieder Präsenzunterricht statt. Wäre jetzt nicht genügend Zeit, dies vorzubereiten?
Das geht sich nicht aus, um alle 5800 Schulstandorte zu erreichen. Nur zum Vergleich: Bei der vergangenen Testwelle hatten wir 200 Teststandorte. Was wir aber erreichen wollen und werden, sind einfache Antigen-Schnelltests, die jeder für sich machen kann. Dafür ist kein Nasenabstrich aus dem hinteren Rachenbereich mehr nötig, sondern es reicht ein Abstrich im vorderen Nasenbereich. Es fehlt nur noch die Zertifizierung. Wenn wir das erreicht haben, bin ich sehr optimistisch, weil dann können wir tatsächlich dezentral und wöchentlich solche Tests machen.
Ab wann soll es denn diese neuen Schnelltests geben?
Nach den Semesterferien sollte es so weit sein. Ein neuerlicher Wechsel ins Distance Learning wird dann immer unwahrscheinlicher.
Kommen wir noch einmal zur Lehrergewerkschaft. Diese beklagt mangelnde Information aus dem Ministerium.
Information ist eine kostbare Ressource, die nicht überall gleichzeitig vorhanden ist. Natürlich haben wir regelmäßige Jour fixes mit den Funktionären aller Lehrergewerkschaften, es gibt ja viele. Aber freilich ist die Information nicht immer gleich überall, wo sie vielleicht auch sein sollte.
Viele kritisieren, dass es in der Schule mit Tests, Corona-Maßnahmen, etwa der Ausstattung von Lehrern mit FFP2-Masken viel zu langsam geht. Hätte man nicht viel schneller reagieren müssen?
Nun ja, wenn die Schule ein Kleinbetrieb wäre mit 15 bis 20 Mitarbeitern, würde ich Ja sagen. Aber das Bildungssystem ist ein großer Tanker mit 123.000 Lehrern, da kann man das Ruder und den Kurs nicht so schnell umschlagen. Aber auf der anderen Seite haben wir in vielen Dingen reagiert, gerade im Bereich der Digitalisierung ist so viel geschehen wie seit Jahren nicht.
Das ist aber auch nicht schwer, in den vergangenen Jahren ist nichts passiert.
Aber jetzt ist viel passiert. Dass heute eine Lernplattform ein gebräuchliches Instrument darstellt, ist akzeptiert. Wir statten Schüler mit digitalen Endgeräten aus, wenn diese daheim nicht vorhanden sind.
Man hat den Eindruck, dass es einen Kampf zwischen Ihnen und dem Bundeskanzler über die Öffnung der Schulen gibt. Sie ziehen immer den Kürzeren.
Erstens ist es kein Kampf, wir diskutieren über die Fragen nach den Prioritäten. Ich möchte schon festhalten, dass im letzten Lockdown die Schulen die Letzten waren, die zugesperrt, und die Ersten, die wieder aufgesperrt haben. So gesehen ist es eine gegenseitige Überzeugungsarbeit.
Jetzt werden aber die Weihnachtsferien verlängert, dafür haben die Skigebiete geöffnet. Wie geht es Ihnen damit, dass Sie gegen die Seilbahnlobby verlieren?
Man kann das eine nicht mit dem anderen vergleichen. Das nützt einem Kind auch nichts, wenn die Seilbahnen zugesperrt hätten. Da verstehe ich den kausalen Zusammenhang nicht.
Es gibt vielleicht keinen kausalen Zusammenhang, aber das Bild, das vermittelt wird, ist doch eigenartig. Die Schulen haben geschlossen, die Pisten geöffnet. So wie man kein Buch aus der Buchhandlung abholen durfte, aber die Waffengeschäfte geöffnet hatten.
Ja, man müsste auf diese Gesamtbilder wohl verstärkt Rücksicht nehmen.
Interview: Doris Vettermann, Kronen Zeitung
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