„Alarmierende“ Studie

Immer weniger Schüler wollen im Lockdown lernen

Österreich
11.01.2021 11:45

Die brennende Frage, ob die Schulen am 18. Jänner wieder geöffnet werden, soll laut Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) bis spätestens Mitte der Woche feststehen. Für eine Öffnung am kommenden Montag plädiert jetzt die renommierte Bildungspsychologin Christiane Spiel. Die Expertin beruft sich dabei auf aktuelle Daten. In einer Studie der Universität Wien wurde erhoben, wie es den Schülern im Lockdown ergeht. Die Ergebnisse seien „alarmierend“, viele vor allem ältere Schüler hätten die Lernfreude verloren, seien verzweifelt und machten sich ernste Sorgen um ihre Zukunft, warnte Spiel. Deutlich gestiegen im Vergleich zu den früheren Lockdowns: Die tägliche Anzahl an Stunden, die zu Hause mit schulischen Aktivitäten verbracht wird.

Der Bildungsminister hatte am Wochenende angesichts der „sehr unterschiedlichen“ Infektionszahlen in den Bundesländern auch eine „regionale Lösung“, also eine Öffnung der Schulen nur in Regionen mit niedriger Infektionszahl, in den Raum gestellt. Beide Modelle hätten aber dem Minister zufolge Vor- und Nachteile. Die Entscheidung über die Öffnung der Schulen soll jedenfalls „zeitnah, bis spätestens Mitte der Woche“ erfolgen, so Faßmann am Sonntagabend in den ORF-Nachrichten.

Die Schüler kehren am 18. Jänner in die Schulen zurück, der Unterricht per Distance Learning startet am 7. Jänner. (Bild: AFP )
Die Schüler kehren am 18. Jänner in die Schulen zurück, der Unterricht per Distance Learning startet am 7. Jänner.

13.000 Schüler in aktuellem Lockdown befragt
Wie dringlich die Öffnung der Schulen ist, macht die neue Studie „Lernen unter Covid-19-Bedingungen“ mehr als deutlich. Die Ergebnisse seien „alarmierend“ und „wesentlich dramatischer“ als beim Lockdown mit Distance Learning vor dem Sommer, wie Bildungspsychologin Spiel am Montag sagte. Für die nunmehr vierte Online-Befragungswelle seit Beginn der Corona-Krise wählte das Forschungsteam der Fakultät für Psychologie um Spiel, Barbara Schober und Marko Lüftenegger den Zeitraum von 23. November bis 6. Dezember. Zu diesem Zeitpunkt waren die Oberstufenschüler seit 3. November im Distance Learning, die Pflichtschüler seit 16. November.

13.000 Schülerinnen und Schüler zwischen zehn und 21 Jahren wurden befragt. Wobei die Stichprobe der Befragung nicht repräsentativ war - so konnten etwa Schüler ohne entsprechende Geräteausstattung nicht teilnehmen. Es sei daher davon auszugehen, dass Risikogruppen unterschätzt werden, so die Autoren.

Bildungspsychologin Christiane Spiel (Bild: APA/HELMUT FOHRINGER)
Bildungspsychologin Christiane Spiel

„Die Schülerinnen und Schüler (der Oberstufe, Anm.) sind ja schon seit 3. November zu Hause, und es ist für sie nicht klar, wann sie wieder in die Schule kommen.“ Eine Reihe von ihnen habe zudem Abschlussprüfungen wie die Matura vor sich, „und das macht sie schon verzweifelt“, so Spiel im Ö1-„Morgenjournal“.

Immer weniger Schüler wollen im Lockdown lernen - auch wenn das Arbeitspensum gestiegen ist. Im ersten Lockdown im Frühjahr verbrachten die Kinder und Jugendlichen demnach durchschnittlich fünf Stunden pro Tag mit schulbezogenen Aktivitäten. Im Vergleich dazu lag der Mittelwert beim zweiten Durchgang des Distance Learning bereits bei durchschnittlich 7,1 Stunden pro Tag. Rund die Hälfte wendete täglich sogar acht Stunden oder mehr für die Schule auf, ein Drittel fünf bis sieben Stunden und 15 Prozent zwei bis vier Stunden. Je älter die Schüler, desto mehr Zeit verbrachten sie auch mit Lernen.

Ältere stärker betroffen als Jüngere
Vor allem ältere Schüler würden allerdings zugleich häufiger eine Verschlechterung ihres Wohlbefindens und auch ihrer Lernfreude beklagen. Rund 70 Prozent der Pflichtschüler stimmten der Aussage „Ich fühle mich gut“ ganz oder ziemlich zu, an den Oberstufen waren es hingegen nur 46 Prozent. Umgekehrt stimmte die Aussage „Ich fühle mich gut“ an den Pflichtschulen für 13 Prozent nicht oder eher nicht, an den Oberstufen für 28 Prozent. Gestiegener Leistungsdruck, zu viele Stunden vor dem PC und die Ungewissheit, wann es zurück in den Präsenzunterricht geht, seien laut der Bildungspsychologin die Gründe dafür.

(Bild: Hubert Berger)

Im Vergleich zum ersten Lockdown empfanden 44 Prozent der Pflichtschüler mehr oder etwas mehr Spaß am Lernen, aber nur 24 Prozent der Oberstufenschüler. Umgekehrt hatten 23 Prozent der Pflichtschüler und 41 Prozent der Oberstufenschüler etwas weniger oder weniger Freude (Rest „gleich viel“ oder „weiß nicht“).

Die Schulaufgaben gelangen laut der Studie im aktuellen Distance Learning hingegen gleich gut oder besser als im ersten Lockdown. Die Schüler hätten mittlerweile Selbstorganisation, ihr Lernen zu strukturieren und die Nutzung der digitalen Medien gelernt, merkte Spiel dazu an. Auch die Lehrkräfte hätten dazugelernt. Dennoch gelangten beim Aufgabenlösen ältere Schüler zu einer schlechteren Einschätzung. In der Pflichtschule sagen laut Studie 48 Prozent, dass es ihnen beim Home Schooling besser gehe, aber nur 30 Prozent in der Oberstufe.

(Bild: Christoph Hardt)

Matura auf keinen Fall auslassen: „Ein wichtiges Ritual bei uns“
Spiel plädiert dafür, die Leistungsbeurteilung nicht nur an Schularbeiten festzumachen. Sie schlägt eine Art „Lernportfolio“ vor, in dem jeder Schüler einträgt, welche Aufgaben im Rahmen des Lehrstoffes, die auch die eigenen Interessen widerspiegeln, gemacht werden. Die Matura sollte man hingegen auf keinen Fall ausfallen lassen. „Sie ist so ein wichtiges Ritual bei uns“, so Spiel im ORF-Radio. Wobei die Expertin hervorhebt, wo Schüler in der Corona-Krise dazugelernt hätten: in der Selbstorganisation und im selbstständigen Strukturieren ihres Lernens. In ihrer Zukunft, beispielsweise bei Umschulungen und Weiterbildung, seien das „wichtige Kompetenzen“, so Spiel.

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