Album & Interview

Sleaford Mods: Der Klassenkampf geht weiter

Musik
14.01.2021 06:00

Auf dem neuen Album „Spare Ribs“ befasst sich Sleaford Mods-Mastermind Jason Williamson mit dem Brexit, der britischen Politik, der Corona-Pandemie und seiner eigenen Kindheit. Ein Spagat, wie ihn nur das Anarcho-Duo aus Nottingham authentisch hinkriegen kann. Im „Krone“-Gespräch zeigt sich das sympathische Raubein einmal mehr offen, ehrlich und ungeschönt.

(Bild: kmm)

Als wir Mitte November bereits zum zweiten Mal im Jahr 2020 zoomen, hat Mastermind Jason Williamson freilich noch keine Ahnung, wie der Brexit denn nun wirklich über die Bühne gehen wird. Der regierungskritische und bewusst offensive Lad aus der Arbeiterhochburg Nottingham schimpft und wütet seit Dekaden gegen die Verwerfungen der britischen Politik an und versammelt mit seiner Band Sleaford Mods von Mal zu Mal mehr Gehör hinter sich. Unabhängig von der finalen Brexit-Entscheidung, die schlussendlich erst fünf vor Zwölf über die Bühne gehen sollte, hat Williamson eine klare und unmissverständliche Haltung: „Boris Johnson heult sicher herum, denn der steckt doch tief in Donald Trumps Arsch“, lacht er im Videochat laut auf, „ich hoffe, dass sich durch die Veränderungen in den USA zumindest der nationalistische Bullshit eindämmen lässt. Der Karren ist sowieso hochgradig verfahren, aber für die Weltpolitik ist es völlig egal was nach Trump kommt. Alles andere ist besser.“

Hart gearbeitet
Die mittlerweile fast schon ein Jahr andauernde Pandemie hat Williamson dazu genutzt, die Füße still zu halten. Die Kids in die Schule bringen, ein bisschen in der Küche werken um dann im Sommer, als es die Maßnahmen ermöglichten, mit Partner in Crime Andrew Fearn unter allen Sicherheitsrichtlinien ins Studio gehen um das brandneue Album „Spare Ribs“ aufzunehmen. Die ersten Songs hat Williamson im Jänner 2020 verfasst, eine Corona-Färbung hat das Album natürlich trotzdem genommen. Das hätten die beiden Briten aber sowieso nicht verhindern können. „Wir haben das meiste im Frühling geschrieben, teilweise gemeinsam. Im Juli haben wir den größten Schwung der Songs aufgenommen.“ Frei nach dem Motto „Zeit ist Geld“ haben sich die Sleaford Mods dabei als echte Arbeitstiere erwiesen und das gesamte Album in nur drei Wochen fixfertig aufgenommen. „Wir haben gesamt 24 Songs geschrieben und am Ende aussortiert. Wir haben dieses Mal wirklich hart gearbeitet. Auch weil wir nicht unnötig Zeit zusammen verbringen wollen, wenn es nicht notwendig ist.“

Der Albumtitel „Spare Ribs“ spielt auf zwei grundlegende Dinge an. Im politischen Kontext darauf, dass sich die herrschenden Eliten schon viel zu weit vom kleinen Mann entfernt haben. „Der Mensch kann auch überleben, wenn ihm ein paar Rippen fehlen“, präzisiert Williamson, „so funktioniert der Kapitalismus. Er überlebt in der Gesellschaft auch, wenn er dafür immer wieder Menschen opfert. Wenn du dir die Corona-Todeszahlen der letzten Monate ansiehst, dann kommst du unweigerlich zum Schluss, dass der Regierung die Wirtschaft wichtiger war als das Leben der Menschen. Wir alle sind für die Mächtigen nur lästige Kollateralschäden.“ Andererseits geht es Williamson um einen nostalgischen Ausflug in die Kindheit, der tatsächlich mit der Mahlzeit an sich zu tun hat. „Als kleiner Junge bekam ich das oft zu essen. Der Titel ist dahingehend eine Hommage an diese Zeit.“ Nostalgie und Politkritik halten sich auf „Spare Ribs“ die Waage. Ebenso die bekannt zügellose Wut und der Versuch, inmitten all der Regierungsverachtung einen verträumten Blick in die Vergangenheit zu wagen. Ein mutiger, aber überraschend gelungener Spagat.

Kampf ums Überleben
„Der Großteil unserer Songs basiert auf Gefühlslagen wie Unsicherheit, Neid, Bitterkeit, Hass und Aussichtslosigkeit. Ich fühle einen permanenten Zustand zwischen Verblödung und Wut“, lacht Williamson, „in der Gesellschaft geht es doch immer nur darum, solange den Kopf über Wasser zu halten, bis dich das nächste Problem in Bedrängnis bringt. Als normaler Bürger hast du konstant das Gefühl, ums Überleben zu kämpfen, weil sich für dich nichts verbessert. Bewegst du dich einmal einen Schritt nach vorne, machst du gleich darauf wieder zwei zurück. Man ist umgeben von Inkompetenz und Empörung. Es ist ein grauenhafter Kreislauf und meine Art damit umzugehen ist, mir den Frust von der Seele zu schreiben und ihn auf die Bühne zu bringen. Da ich das gerade nicht machen kann, geht halt noch mehr Wut in die Texte. Manchmal habe ich das Gefühl, dass es das einzige ist, was ich wirklich machen muss, bevor ich irgendwann sterbe.“

Wer sich mit den Sleaford Mods generell und Williamson im Speziellen genauer befasst, der erkennt viel Ironie und Sarkasmus hinter der pointierten Ernsthaftigkeit. Gerade die sozialen Netzwerke benutzt der Frontmann gerne, um seinen Frust in humoriger Art und Weise freien Lauf zu lassen. „Es ist wichtig, Spaß zu haben und sich über sich selbst lustig zu machen. Selbstironie ist das Wichtigste überhaupt. Da draußen gibt es genug Arschlöcher die glauben, sie wären der Nabel der Welt.“ Williamsons Wut auf die britische Politik geht weit in seine Kindheit zurück, denn als er aufwuchs, führte Margaret Thatcher ein eisernes Regiment und ließ den von ihm verhassten Neoliberalismus florieren. „Damals haben sich die Leute immens verändert. Geld wurde immer wichtiger und das soziale Gewissen und die Gemeinschaft gingen stark zurück. Mit dem Leitspruch ,Gier ist gut‘ wurde damals quer durchs Land geworben. Wir Briten wurden vom System zwar nicht unterdrückt, aber die mächtige Präsenz Thatchers habe ich schon als Kind gespürt. Aus dem Strudel sind wir nie wieder rausgekommen. Selbst die ach so liberale Labour-Regierung war doch nichts anderes als eine etwas harmlosere Form von Konservativen.“

Reise in die Vergangenheit
Zwei Songs reichen besonders tief in Williamsons Kindheit zurück. „Fishcake“ dreht sich um sein Alter von eins bis zehn, die ohrwurmträchtige Hit-Single „Mork N Mindy“ mit der Post-Punk-Newcomerin Billy Nomates als Gast behandelt des Sängers zwischen 12 und 15. „Das waren zwei immens prägende Perioden. Als ich zehn war wurde ich operiert und mir wurde ein Tumor aus dem Rücken entfernt. Die Heilungschance lag damals 50 zu 50 und die zweite Option neben einem normalen Leben wäre ein dauerhaft gelähmtes linkes Bein gewesen. Ich musste heuer eine Routine-OP über mich ergehen lassen und habe dabei an diese Zeit zurückgedacht. Die Erinnerungen daran waren sehr präsent und ich habe sie dann zu einem Song verwandelt.“ Mit „Out There“ und „Top Room“ gibt es zwei Songs, die Corona aus zwei Perspektiven betrachten. „In ,Out There‘ geht es um die ersten Tage im Lockdown, als die Leute plötzlich zu kochen begannen und sich heimlich im Park besoffen. Eine seltsame und apokalyptische Zeit, die wir wo nie wieder erleben werden. ,Top Room‘ geht mehr ins Private und befasst sich mit dem persönlichen Chaos und der Ungeduld, die damit einhergehend aufkamen.“

Für die Ungeduld der jungen Menschen hat der „berufsjugendliche“ Williamson vollstes Verständnis. „Kids gehören in die Schule und vor allem gehören sie zu Leuten, die im gleichen Alter sind wie sie. Es tut niemandem gut die ganze Zeit mit den Eltern abzuhängen. Wäre ich jetzt 18, ich würde durchdrehen.“ Seine eigene Kindheit hat Williamson nicht besonders romantisch in Erinnerung. „Ich fand die meiste Zeit restriktiv, langweilig und oft richtig widerwärtig. In den 80er-Jahren in England jung zu sein war verlorene Zeit, ich wünsche mich nicht dorthin zurück. Den einen Ratschlag, den ich mir geben müsste, habe ich ohnehin immer beherzigt: Gehe deinen eigenen Weg, triff deine eigenen Entscheidungen, lass dich von nichts abbringen.“ Was schon der famose Vorgänger „Eton Alive“ 2019 angedeutet hat, wird auf „Spare Ribs“ noch augenscheinlicher - die Sleaford Mods werden vielleicht nicht inhaltlich, aber musikalisch immer zugänglicher und bekömmlicher. „Das passierte zufällig, aber es stört uns nicht. Vielleicht klingen wir ein bisschen kommerzieller, aber wir haben immer noch Ecken und Kanten.“

Kein Platz für Glitzer
Die Angst, Williamson und Fearn würden vielleicht doch noch zu Popstars mutieren, quittiert das sympathische Raubein mit einem lauten Lacher. „Wenn das Album jemand als zugängliche Popmusik betrachtet, dann soll das so sein. Wir können das nicht ändern. Andrew und ich wollen uns aber nicht wiederholen und sind uns bewusst, dass man uns als anarchische Punk-Rocker kennt, die gerne ihr Maul aufreißen. Ich werde jedenfalls niemals etwas schreiben, nur damit es anderen Leuten deshalb besser geht.“ Die proletarische Ursprünglichkeit in seinen Texten und auch in Interviews bringt Williamson immer wieder Ärger ein. Damit kann der Familienvater ungebrochen gut umgehen. „Wir sind zumindest keine Lügner die Scheiße reden, so wie die meisten anderen. Wir sind auch keine glitzernden Popstars. Wer braucht denn noch mehr von denen? Wir sind ehrlich und sagen offen heraus, was uns nervt und beschäftigt. Scheißegal, ob das den Leuten gefällt oder nicht.“ Authentisch über die Kindheit, den Brexit, Corona und manchmal auch das Älterwerden zu singen, ohne dabei Schiffbruch zu erleiden - Mission gelungen. Die Sleaford Mods haben es mit „Spare Ribs“ wieder einmal geschafft, die Sorgen und Nöte des Durchschnittsbürgers in kreative Kultur zu gießen. Der Kampf geht weiter.

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