„Für Teenager ist der Präsenzunterricht besonders wichtig“, fordert die Bildungspsychologin Christiane Spiel. Und auch Bildungsexperte Andreas Salcher meint: „Die Schule ist eine soziale Institution.“ Direkter Kontakt zu Lehrern sei unverzichtbar.
Bildungspsychologin Christiana Spiel sagt: Präsenzunterricht ist vor allem für ältere Schüler wichtig.
„Krone“: Wie lief das Distance Learning bis dato?
Christiane Spiel: Die Ergebnisse unserer Erhebung im zweiten Lockdown (die vierte Erhebung unserer Studie) zeigen, dass die Schüler über die Zeit mit dem Distance Learning immer besser zurande kommen. Etwa 80% der Schüler haben angegeben, dass ihnen die Aufgaben gleich gut oder besser gelingen als im ersten Lockdown. Allerdings gibt es Unterschiede zwischen Schülern der Unterstufe und der Oberstufe. Oberstufenschülern gelingen die Aufgaben schlechter, und sie geben auch häufiger Verschlechterungen im Vergleich zum ersten Lockdown an. Gleichzeitig arbeiten sie aber deutlich mehr für die Schule (über 60% mehr als acht Stunden pro Tag) und berichten von gestiegenem Leistungsdruck, Überforderung und zu vielen Stunden vor dem Computer.
Warum ist ein baldiger Präsenzunterricht aus Ihrer Sicht für Schüler so wichtig?
Präsenzunterricht strukturiert das Lernen von Schülern in anderer Weise, als wenn diese ständig von zu Hause aus lernen. Es ermöglicht das Treffen, den Austausch mit Freunden und das gemeinsame Lernen. Das ist für die älteren Schüler besonders wichtig. Jüngere Kinder sind noch mehr in der Familie aufgehoben und an den Eltern orientiert als Jugendliche. Außerdem ist es viel leichter für Lehrpersonen, im Präsenzunterricht die Leistungen und das Lernverhalten der einzelnen Schüler zu beobachten und direkt Feedback zu geben, als wenn der Unterricht über eine Videokonferenz läuft, was auch viel anstrengender ist, sowohl für Schüler als auch für Lehrpersonen. Gerade für Risikoschüler, die zu Hause keine Unterstützung bekommen können, ist der Präsenzunterricht wichtig. In unserer Studie ist diese Gruppe sicherlich unterschätzt, da alle diejenigen, die keinen Internetzugang und kein Endgerät haben, nicht teilnehmen konnten. Vermutlich haben auch diejenigen nicht teilgenommen, denen es besonders schlecht gegangen ist. Aber auch in unserer Studie haben 26% angegeben, dass sie zu Hause keine Unterstützung beim Lernen bekommen, wenn sie diese brauchen.
Ist das Abstandhalten, das Maskentragen und das häufige Händewaschen nicht extrem ermüdend für Schüler?
Es ist für uns alle unangenehm. Aber die Schüler sehen die Wichtigkeit ein. 84% der Schüler, die an unserer Studie teilgenommen haben, gaben an, dass sie die Covid-19-Maßnahmen wichtig finden, und 89% haben angegeben, sich sehr oder eher daran zu halten. Ich gehe davon aus, dass die große Mehrheit der Schüler viel lieber in der Schule ist mit den Hygienemaßnahmen als weiter im Distance Learning.
Präsenzunterricht strukturiert das Lernen von Schülern in anderer Weise, als wenn diese ständig von zu Hause aus lernen. Es ermöglicht das Treffen, den Austausch mit Freunden und das gemeinsame Lernen.
Dr. Christiane Spiel
Besonders die Dauer der Krise setzt vielen zu.
Vieles ist derzeit nicht möglich, und die Zukunft schaut insgesamt nicht rosig aus. Für den Klimawandel hat sich die Jugend bereits eingesetzt (Stichwort „Fridays for Future“), dann kam die Krise, nach ihr wird auch der Schuldenberg abzuarbeiten sein. Wir müssen jungen Menschen Mut und Selbstvertrauen geben, ihnen zeigen, dass wir uns als Gesellschaft um sie kümmern. Schließlich brauchen wir ihre Bildung und Leistungen auch für unsere eigene Zukunft und wirtschaftlichen Erfolg.
Welche Vor- & Nachteile hätte der Schichtbetrieb?
Wenn es nur die Alternative gibt: Schichtbetrieb oder Distance Learning, dann nehme ich auf Basis unserer Studie an, dass die große Mehrheit der Schüler für Schichtbetrieb votieren würde. Denn dass sie die Schule, die Freunde und die Lehrpersonen vermissen, haben sie vielfach angegeben. Schichtbetrieb stellt jedoch sicherlich Herausforderungen an Schule und Eltern. Daher ist es wichtig, diesen so gut wie möglich zu planen. In jedem Fall muss die Schule für die Schüler, deren Eltern systemerhaltende Berufe haben, offen sein und auch für Risikoschüler, bei denen die Gefahr besteht, dass sie sonst völlig aus dem Lernen herausfallen - und zwar nicht nur für Betreuung, sondern auch für die Unterstützung beim Lernen.
Bildungsexperte Andreas Salcher sagt: Das Lernen findet über soziale Beziehungen statt.
„Krone“: Warum ist der direkte Kontakt zu Lehrern im Präsenzunterricht unverzichtbar?
Andreas Salcher: Schule ist eben keine von der Welt abgeschottete Wissensfabrik, sondern vor allem eine soziale Institution. Lernen findet über Beziehung statt, damit ist die Beziehung der Lehrer zu ihren Schülern und genauso wichtig die Klassengemeinschaft gemeint. Diese Beziehungen sind dauerhaft nicht durch virtuelles Distance Learning ersetzbar.
Corona vergrößert die Bildungsschere. Welche Maßnahmen sollten gesetzt werden?
Man muss endlich zur Kenntnis nehmen, dass das heuer kein normales Schuljahr wird. Daher sollte bei den realistisch erreichbaren Lernzielen klar zwischen Pflicht und Kür unterschieden werden. Schüler sollten je nach Schulstufe mathematische Grundkenntnisse beherrschen, man kann Dividieren oder Prozentrechnung nicht auslassen. Schüler müssen sinnerfassend Texte lesen und verstehen können. Ohne ein solides Fundament ist ein selbstbestimmtes Leben nicht möglich. Dafür sollte die Kür, also die Wahlmöglichkeiten, deutlich ausgeweitet werden. Schülern der Mittelstufe und der Oberstufe sollte ermöglicht werden, zwei bis drei Projekte zu definieren, die sie in Teams bis zum Beginn der Sommerferien realisieren wollen. Diese Projekte sollten fächerübergreifend sein und ihnen Freude machen. Wenn die Lernfreude passt, dann wird es auch leichter, eine Sommerschule zu schaffen, in die alle gerne gehen. Denn die wird dringend notwendig sein.
Schule ist eben keine von der Welt abgeschottete Wissensfabrik, sondern vor allem eine soziale Institution.
Dr. Andreas Salcher
Wird unser Schulsystem letztendlich von der Krise in technischer Hinsicht profitieren?
Unser Schulsystem hat vor allem pädagogisch einen großen Veränderungsbedarf. Erst durch die konsequente Verknüpfung der drei Faktoren „Pädagogische Konzepte“, „Kompetenzen der Lehrenden“ sowie „Funktionierende Technologie“ können die Potenziale der Digitalisierung für das Schulwesen genutzt werden. Lebendiges Lernen lebt von der Abwechslung der vielen didaktischen Möglichkeiten. Zu viele PowerPoint-Präsentationen oder digitale Medien werden genauso schnell langweilig wie der ausschließliche Einsatz der Tafel. Die Kluft zwischen den digitalen Leuchtturmschulen und den Nachzüglern ist noch immer sehr groß.
Susanne Zita, Kronen Zeitung
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