In seinem Forschungsinstitut wird das Erbgut des Coronavirus analysiert. Mit Conny Bischofberger spricht CeMM-Chef Giulio Superti-Furga über die Stacheln von SARS-CoV-2, katastrophale Szenarien und den Wettlauf gegen die Zeit.
Ein moderner Turm mitten auf dem Gelände des Wiener Allgemeinen Krankenhauses: Über die Glasfassade des Gebäudes schlängelt sich ein biomorphes Netzwerk, geschaffen vom österreichischen Künstler Peter Kogler. „Jeder sieht etwas anderes darin“, erklärt Giulio Superti-Furga, „Moleküle, Proteine, Zellen, Algen … oder nackte Menschen, je nach seelischem Zustand des Betrachters.“ Auch in seinem Büro hängen Kogler-Kunstwerke. Die Melange trinkt der CeMM-Chef aus einer weiß-goldenen Wedgwood-Tasse. Der gebürtige Italiener leitet das Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademien der Wissenschaften seit 2005. Hier forscht ein Team von 200 Wissenschaftlern zu Krebs, Viren und menschlichen Genomen - und leistet einen essenziellen Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie.
„Krone“: Am CeMM wurde das Virus, das uns alle in Schach hält, das erste Mal sequenziert. Erinnern Sie sich noch daran?
Giulio Superti-Furga: Natürlich, das war ein großer Moment. Es war, kein Witz, am Abend des 1. April 2020, da kam das SMS von Andreas Bergthaler, der gemeinsam mit Christoph Bock die SARS-CoV-2-Sequenzierungen leitet: „Wir haben’s!“ Das war ein Beitrag, den in Österreich bislang noch niemand geleistet hatte. Zwei Tage später haben wir die Sequenzen veröffentlicht und international zugänglich gemacht.
Am Abend des 1. April kam das SMS: Wir haben’s! Zwei Tage später hat das CeMM die Sequenzen des Virus international zugänglich gemacht.
Superti-Furga über die erflogreiche Sequenzierung des Coronavirus
Warum ist das so wichtig?
Es ist das Know-how über das Virus, das eigentlich ein verpacktes Gen ist. Dieses Gen besteht aus einer Sequenz von 30.000 Buchstaben, sie machen die Eigenschaft des Virus aus. Das ist so, wie man in einem Pass lesen kann: „Wie heißt jemand? Wo kommt er her?“
Grafisch wird das Coronavirus meistens als stachlige grüne Kugel dargestellt. Wie sieht es wirklich aus?
Die Farben können wir unter dem Elektronenmikroskop nicht sehen, aber die Form ist genau so. Wenn man es eine-Million-fach vergrößern könnte, würden die Strukturen auch das Licht reflektieren, dann sähe es vielleicht aus wie ein bunter Stachelfisch. - Lacht. - Die Stacheln braucht es, um sich anzuhängen. Die Viren wollen ja nur eins: sich möglichst schnell vermehren. Und sie verändern sich auch gern. Das Coronavirus mutiert etwa zweimal im Monat.
Wie gefährlich sind die neuen Mutationen des Virus?
Wir wissen, dass sie sich viel rascher verbreiten, weil sie Stacheln haben, die besser haften. Die Anzahl der Stacheln ist zunächst gleich. Aber die Stacheln können andere Eigenschaften haben. Am CeMM haben wir beide Varianten, die britische und die südafrikanische, vor zwei Wochen nachgewiesen, das erste Mal in Österreich. Wir rechnen damit, dass es in Zukunft auch Mutationen geben kann, die eine noch größere Haftung haben, was katastrophal sein könnte. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit.
Je länger die Pandemie freien Lauf hat, desto eher entsteht eine Mutation, die von den etablierten Impfstoffen nicht mehr abgewehrt werden kann.
Wissenschaftler und Viren-Experte Giulio Superti-Furga
Es gibt die Befürchtung, dass sich das Virus so verändern kann, dass man vielleicht nicht mehr dagegen immun ist. Stimmt das?
Es stimmt noch nicht. Aber je länger die Pandemie freien Lauf hat, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass irgendwann eine Mutation entsteht, die sich entweder noch besser verbreitet oder tatsächlich auch nicht mehr in der Lage ist, von den jetzigen etablierten oder gefundenen Impfstoffen abgewehrt zu werden.
Was passiert dann?
Die Forscherinnen und Forscher könnten innerhalb weniger Wochen die alten Impfstoffe mit neuen austauschen. Wir haben die „Software“ dafür, die Herausforderung ist die Logistik und der Wettlauf mit der Zeit. Wir haben aber letztlich die Mittel, um die Menschheit von diesem Virus nicht umbringen zu lassen.
Verhindert die Impfung auch die Ausbreitung oder nur die schwere Erkrankung?
Beides. Wenn man Antikörper entwickelt, davon gehen wir aus, ist man auch weniger infektiös. Dass wir innerhalb von neun Monaten Impfungen entwickelt haben, ist eine intellektuelle und medizinische Hochleistung, das werden wir in 100 Jahren als ganz große Errungenschaft der Menschheit betrachten. Und Österreich spielte eine große Rolle dabei. Ohne Christoph Huber (Anm.: Ein Interview mit ihm lesen Sie in der „Krone bunt“ am Sonntag) gäbe es BionTech nicht, jene Firma, die den ersten Impfstoff auf den Markt gebracht hat.
Wann wird Corona besiegt sein?
Es gibt nicht nur diese eine Welt. In Österreich wird es Weihnachten 2021 vorbei sein, da werden wir nicht einmal mehr Masken tragen, solange es gelingt, die Mehrheit der Bevölkerung durchzuimpfen. Aber bis in Afrika alle Menschen geimpft sind, könnte es noch Jahre dauern. Auch deshalb braucht Österreich und Europa ein professionelles und flächendeckendes Überwachungssystem für Mikroben. Also nicht nur für SARS-Cov-2, sondern auch für andere Viren und antibiotikaresistente Bakterien, die immer wieder auftauchen werden.
Weihnachten 2021 wird in Österreich alles vorbei sein. Da werden wir nicht einmal mehr Masken tragen. Aber es gibt nicht nur diese eine Welt.
Superti-Furgas Prognose für das Ende der Corona-Krise in Österreich
Welche Note geben Sie der Regierung?
Es steht mir nicht zu, die Regierung zu bewerten. Wir bekommen unser Grundbudget von neun Millionen im Jahr vom Bund, dafür bedanken wir uns, aber wir geben das Doppelte für die Forschung aus. Das organisieren wir uns selbst über kompetitiv eingeworbene Forschungsmittel. Was ich sagen kann, ist, dass diese Regierung einem nie das Gefühl gegeben hat, die Pandemie zu unterschätzen, wie es einige Leaders auf der Welt gemacht haben. Die Bevölkerung sollte nach wie vor die Lage sehr ernst nehmen und den Sicherheitsmaßnahmen folgen.
Finden Sie eine Verlängerung des Lockdowns richtig?
Ja, das ist unvermeidbar. Natürlich leiden sehr viele Menschen darunter, das muss man alles in Erwägung ziehen. Aber vom wissenschaftlichen Standpunkt aus ist ein Lockdown unabdingbar. Je radikaler, desto besser. Sonst haben wir irgendwann die Situation, dass Spitäler nicht mehr in der Lage sind, die Patienten zu behandeln.
Das CeMM leistet mit seiner Arbeit einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie. Hat Forschung den Stellenwert in Österreich, den sie haben sollte?
Es ist wichtig zu wissen, dass das CeMM diese Sequenzierungen aus eigener Initiative gestartet hat. Man muss sich also fragen, wer sequenziert hätte, wenn es uns nicht gäbe? Das ist schon ein bisschen bedenklich, weil es fast eine Sache der nationalen Sicherheit ist. Hier geht es um das Wohlergehen und die Gesundheit aller Menschen. Österreich hat ein sehr gutes Gesundheitssystem, aber es ist mehr reaktiv als proaktiv. Und obwohl es relativ viel in Forschung investiert, könnte es noch viel mehr tun und zu den Ländern gehören, die weltweit führend sind.
Sie sollen seit zehn Jahren der jeweiligen Regierung denselben Brief geschrieben haben. Was steht da drin?
Da habe ich vor einer Pandemie, auch spezifisch vor SARS, gewarnt. Und angeregt, dass Österreich nicht nur für infektiöse Erkrankungen, sondern auch für andere Herausforderungen wie Diabetes, Fettsucht oder Demenz ein Nationales Gesundheitsinstitut einrichten soll, ähnlich wie das sogenannte NIH (National Institute of Health) in Amerika.
Es gibt viele Menschen, die überzeugt sind, dass das Coronavirus ursprünglich aus dem Labor kam. Halten Sie das für denkbar?
Das ist eine heikle Frage. Es wird in der Forschung seit Jahren debattiert, ob man nicht in Hochsicherheitslaboren testen sollte, wie gefährlich Veränderungen existierender Viren sein können. Solche Labore sind mithilfe des Westens auch in China errichtet worden. Es ist deshalb nicht vollkommen auszuschließen, dass so etwas geschehen kann. Was dagegen spricht: Viele der Veränderungen, die man bei SARS-CoV-2 sieht, deuten auf Zufälligkeit hin. Menschen hätten nicht genügend Wissen, um sie so zu designen. Es ist deshalb wahrscheinlicher, dass sie über Tiere zum Menschen gelangt sind. Dass es absichtlich passiert ist, glaube ich nicht. Die Auswirkungen könnte man nicht genügend voraussehen, auch für die eigene Nation nicht. Aber menschliches Versagen ist natürlich immer denkbar. Und es sollte auch ein Weckruf für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Natur sein.
China hat sich lange dagegen gewehrt, dass ein Team der WHO einreisen darf, um das zu erforschen. Glauben Sie, dass es erfolgreich sein wird?
Wo es keine Demokratie gibt, gibt es auch keine Transparenz. Deshalb denke ich, dass die Leute der World Health Organisation keine echte Chance haben werden, das vor Ort herauszufinden. Aber einen Thriller kann man darüber sicher drehen. - Lacht.
Gibt es in Ihren Augen eine menschliche Schuld an der Ausbreitung des Virus?
Das ist eine ethische Frage. Ich glaube, es ist nicht falsch zu sagen, dass die Arroganz der Menschen, ihre Art mit Tieren umzugehen, ihre Gier, überallhin zu reisen, immer mehr Geschäfte zu machen, auch Geschäfte mit Wildtieren zu machen, dass all das die Verbreitung begünstigt hat. Ich bin nicht jemand, der sagt, man soll jetzt in die Steinzeit zurückkehren. Aber es ist wichtig, sich zu überlegen: Woher kommt das? Was ist unser Anteil? Und was können wir dagegen tun?
Sie machen diesen Job jetzt seit 15 Jahren. Stehen Sie manchmal noch selber im Labor?
Nur, um mit meinem Team zu reden oder ihm bei der Arbeit zuzuschauen. Ich habe diese Arbeit geliebt. Zellkulturen zum Beispiel, denen man wie ein Gärtner beim Wachsen zuschaut. Das geht mir sehr ab. Aber ich habe wunderbare Schülerinnen und Schüler und manchmal fühle ich mich wie ein einem Atelier in der Renaissance: Ich gebe diesen jungen Menschen alles weiter und sie sind besser als ich und gehen damit in die Welt hinaus. Das ist wunderschön.
Worauf sind Sie in Ihrer Karriere am meisten stolz?
Ich habe sehr viel Unterschiedliches gemacht, viele Felder beackert. Aber am stolzesten bin ich auf das CeMM. Diesen Ort, an dem 200 Menschen aus den verschiedensten Ecken der Welt freundlich und kooperativ miteinander umgehen und Großartiges leisten. Weil sie hier Liebe, Engagement und Wertschätzung erleben und diese Eigenschaften auch in ihre Arbeit stecken.
Was soll man einmal über Giulio Superti-Furga sagen?
Er war ein Brückenbauer zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Kunst. Und hat dafür gesorgt, dass Präzisionsmedizin in Österreich Realität geworden ist. So was vielleicht. Ja, das wäre schön.
FORSCHER UND SCHÖNGEIST
Geboren am 17. Mai 1962 in Mailand. Studium der Molekularbiologie in Zürich, ab 1995 war er Gruppenleiter am Europäische Laboratorium für Molekularbiologie in Heidelberg. Seit 2005 ist der Mitbegründer von fünf Biotech-Firmen wissenschaftlicher Direktor des CeMM Forschungszentrums für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und Professor für Molekulare Systembiologie an der MedUni Wien. Verheiratet mit der Wiener Kunsthistorikerin Stefanie. Das Paar hat zwei Kinder (Giovanni ist 27, Josefine 25 Jahre alt). Superti-Furga liebt Musik und Kunst.
Conny Bischofberger, Kronen Zeitung
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.