Mit dem ersten Corona-Impfstoff gelang BioNTech ein Welterfolg! Austro-Gründer Prof. Christoph Huber über den Durchbruch, das EU-Impf-Chaos, Langzeitfolgen und ob er selbst schon geimpft ist.
Der „Professor“ sei ihm nicht so wichtig, winkt der Professor bei der Begrüßung lachend ab. Er wirkt überaus höflich, bescheiden und humorvoll. Kaum zu glauben, dass es sich beim 77-jährigen Dr. Christoph Huber seit der Entwicklung des ersten Corona-Impfstoffs um einen der derzeit erfolgreichsten Wissenschafter der Welt und gefragtesten Interviewpartner handelt. Geboren in Wien, studiert er in Innsbruck, 2008 gründet der mittlerweile emeritierte Ordinarius der Uniklinik Mainz, der als Pionier der personalisierten Krebsforschung gilt, mit dem türkischen Ehepaar Sahin &Türeci in Mainz das Biotech-Unternehmen Biontech.
Privat ist der dreifache Vater verheiratet mit einer Archäologin, die er während des Studiums beim Skifahren kennengelernte. Sein Leben verändert der große Erfolg nicht.
„Krone“: Wie war der Moment, als Ihnen klar war, dass die Impfung wirkt?
Prof. Dr. Christoph Huber: Ich weiß noch gut: Es war ein Sonntagabend, der 8. November. Ich kam gerade von einer Skitour, als mich unser CEO Ugur Sahin anrief und es mir mitteilte. Es war unendliche Erleichterung und tiefe Freude. Für mich die Krönung eines langen Forscherlebens, wenn man am Ende wirklich helfen kann. Die Entwicklung lief ja unter enormem Druck, die Erwartungen waren hoch.
Das Projekt lief unter dem Titel „Lichtgeschwindigkeit“. Genau das hohe Tempo macht einigen Angst. Was sagen Sie jenen?
Die Entwicklung kam ja nicht aus dem Nichts. Wir konnten auf mehr als 20 Jahre Erfahrung bei der Impftherapie im Krebsbereich aufbauen. Dabei haben wir gelernt, dass die Methode der mRNA-Impfstoffe anderen Impf-Technologien überlegen ist. Die Herstellung eines RNA-Impfstoffes ist nicht nur schneller, sondern auch wirksamer. Sie erfolgt enzymbasiert in der Retorte. Wertvolle Erfahrungen sammelten wir bei individualisierten Tumorimpfungen, wo man schneller sein muss als der Krebs. Wir kennen also Zeitdruck. Die Entwicklung ist unter der Einhaltung höchster Sorgfalt und aller Regelungen und Vorgaben erfolgt mit der Patientensicherheit an alleroberster Stelle.
Manche fürchten mögliche Langzeitfolgen aufgrund des noch sehr kurzen Beobachtungszeitraums.
Wir und andere haben bereits über 10 Jahre Erfahrung mit mRNA-Impfungen. Mittlerweile sogar mit Nachimpfungen - und das ohne unerwünschte Langzeitwirkungen.
Weiß man schon, ob die Impfung nicht nur vor einer Erkrankung, sondern auch vor einer Infektion schützen könnte? Ihr CEO rechnet, dass man das Ende Jänner wissen könnte.
CEO Ugur hat in wichtigen Aussagen eigentlich immer recht.
Und, ob der Geimpfte die Infektion weitergeben kann?
Das ist sehr unwahrscheinlich aufgrund der stark reduzierten Virenlast.
Aufgrund der extremen Impfstoff-Knappheit diskutieren immer mehr Länder die „First Shot“-Strategie: Man impft lieber zuerst alle durch und verabreicht die zweite Teilimpfung erst viel später als vorgesehen - dann wenn wieder genug Impfstoff da ist. Was halten Sie davon?
Ich bin sehr vorsichtig und würde kein Risiko eingehen und von überprüften Vorgängen abweichen. Dazu gibt es keine Daten. Zudem besteht dabei die Möglichkeit der Bildung von Fluchtmutanten.
Eine möglichst schnelle Durchimpfung der Menschen gilt auch als Wettlauf gegen die Zeit. Nicht nur aus Sorge vor einer möglichen dritten Welle, sondern eben vor allem, weil man möglicherweise noch gefährlichere Mutationen fürchtet. Kann es sein, dass eine Mutation entsteht, gegen die Ihre Impfung nicht mehr schützt?
Das ist nicht sehr wahrscheinlich, denn die Impfung zielt auf das ganze Protein ab.
Der Gesundheitsminister meinte, dass in Österreich alle bis Ende des Sommers geimpft werden, die dies wollen. Angestrebt wird vorerst eine Durchimpfung von über 50%, also ca. 5 Mio. Menschen. Bei zwei Teilimpfungen wären das 50.000 am Tag. Auch an Wochenenden. Sie kennen die Lage: Halten Sie dies bei uns für realistisch? Von der Logistik und den verfügbaren Impfstoffen?
Da dies eine staatliche Aufgabe ist, will ich mich nicht festlegen. Für eine reibungslose Logistik, Abwicklung und Versorgung bei einem solch großen Unterfangen könnte industrielle Management-Kompetenz samt Unterstützung des Militärs nützlich sein.
Neuerdings werden aufgrund der Knappheit aus einer Ampulle 6 statt bislang 5 Impfungen entnommen. Geht das auf Kosten der Sicherheit? Für einen Laien hört sich das ein bisschen an wie ein Wirt, der die Suppe streckt.
Das wurde von der europäischen Arzneimittelbehörde EMA geprüft und genehmigt. Die Ampullen verfügen über eine kleine Überfüllung als Sicherheitsreserve.
Wer rechtzeitig bestellt hat, hat auch bereits genügend Impfstoff.
Prof. Christoph Huber
Kann man die unterschiedlichen Impfstoffe in der Not kombinieren? Erste Impfung mit mRNA, die zweite dann mit einem ganz anders aufgebauten Vektorimpfstoff?
Theoretisch ja, aber überprüft ist es nicht. Ich würde es daher nicht.
Wie kam es eigentlich zum Bestell-Chaos der EU?
Es war ein Rennen, bei dem man frühzeitig auf Hoffnungskandidaten setzen musste. Nach welcher Auswahl auch immer. Die EU hat zudem etwas länger gebraucht, weil es ihr um eine „Marktzulassung“ ging und nicht um eine „Notzulassung“, wie in anderen Ländern. Die EU hat erst im November die erste Option bei uns gezogen. Lang nach den anderen, wie Israel oder UK. Die Amerikaner haben bereits Ende Juli bestellt!
Ärgert es Sie, wenn Ihnen Anschobers Impf-Beauftragter Clemens Auer nun salopp ausrichtet, Sie hätten ein „Lieferproblem“?
Das will ich gar nicht kommentieren. Ich sage nur: Wer rechtzeitig und verbindlich bestellt hat, kommt halt früher dran und hat auch bereits genügend Impfstoff bekommen. Wir haben kein Lieferproblem, sondern sind ganz im Gegenteil dabei die Kapazitäten weit vor der Zeit auszubauen. Wir haben ja einen Weltmarkt zu bedienen.
Bundeskanzler Kurz versucht, neben den bereits zugesagten Dosen aus dem EU-Kontingent zusätzliche 2 Mio. BioNTech-Impfdosen für Österreich zu beschaffen. Haben wir Chancen, diese schnell zu bekommen?
Das Marketing dafür liegt bei Pfizer, dazu kann ich keine Auskunft geben. BioNTech ist nur für den deutschen und türkischen Markt zuständig.
Sind Sie froh, dass mit Moderna gerade ein zweiter mRNA-Impfstoff zugelassen wurde, um auch etwas Druck von Ihnen wegzunehmen?
Man versucht, gemeinsam den enormen Bedarf zu decken.
Wäre es denkbar, dass ein heimisches Pharmaunternehmen Ihren Impfstoff hier in Lizenz erzeugt, um unseren Bedarf schneller zu decken?
Alles ist denkbar, aber der Impfstoff ist ein Hightech-Produkt und benötigt sehr spezielle Bedingungen für die Produktion. Man kann nicht einfach Impfstoff statt Hustensaft vom Band laufen lassen. Unsere Fabriken sind voll digitalisiert und automatisiert. Wir bauen permanent aus, beschleunigen Prozesse, und ich habe Zuversicht, dass wir die Erwartungen übererfüllen. Wir rechnen, dass wir heuer 2 Mrd. Impfdosen für den Weltmarkt produzieren.
Man kann nicht einfach Impfstoff statt Hustensaft vom Band laufen lassen.
Prof. Christoph Huber
Sind Sie selbst schon geimpft?
Auch das folgt in der Pharmaindustrie strikten Regeln und Abläufen und ist daher erst dieser Tage der Fall. Da gibt es keine Sonderbehandlung. Man geht auch nicht einfach in die Produktion und holt sich eine Ampulle. Ich freue mich jedenfalls schon sehr. Denn die Impfung bedeutet auch für mich Freiheit, Glück und eine Rückkehr zum gewohnten Leben. Immer testen, Einschränkungen, nicht reisen, die Enkelkinder nicht sehen - das trifft auch mich. Wir sind eine sehr innige Großfamilie. Meine Frau und ich führen ein sehr aktives Leben, machen Sport und gehen normal sicher 50-mal im Jahr in die Oper.
Sie leben seit 30 Jahren mit Ihrer Frau in Mainz, Innsbruck und Wien. Wo sind Sie eigentlich zu Hause?
Wir sind gerade aus Mainz zurück nach Österreich übersiedelt. Aufgrund der Coronabeschränkungen kann ich derzeit auch nicht alle zwei Wochen in die Firmenzentrale reisen. Momentan läuft auch bei mir alles via Videokonferenzen von daheim aus.
Wäre ein solcher Welterfolg eigentlich auch hier möglich gewesen?
Meine Erfahrung ist, dass die Menschen und Kompetenzen noch wichtiger sind als die Rahmenbedingungen oder der Standort. Ich hatte das Glück, in den 90er-Jahren Ugur Sahin und seine Frau Özlem Türeci in Mainz an der Uni zu treffen. Ich war dort als Ordinarius tätig und konnte sie als Forschungsleiter meines Tumorimmunologie-Sonderbereichs gewinnen. Die beiden sind nicht nur außergewöhnliche Wissenschafter, sondern auch ganz große Führungspersönlichkeiten. Das ganze Team ist davon getragen, für die Medizin alles zu geben.
BioNTech kommt eigentlich aus der Impftherapie gegen Krebs. Hat der Bereich nun durch Corona gelitten?
Die Verzögerungen kamen durch die Coronabeschränkungen zustande, nicht durch unsere Forschung am Covid-Impfstoff. Wir haben nur die Zeit dafür genützt. Ich bin zuversichtlich, dass wir auch bei Impfungen gegen zehn verschiedene Krebsindikationen und auch andere schwere Erkrankungen, wie Multiple Sklerose, mit weiteren großen Erfolgen rechnen können. Bei Tumorimpfungen sind wir Weltmarktführer. Auch in diesem Bereich sehen wir, dass viele Dogmen, wie jenes, dass Tumorimpfungen nicht wirksam seien, durch Fortschritte der Wissenschaft ins Wanken geraten.
Im Netz amüsieren sich Menschen immer wieder über Ihre Firmenadresse: An der Goldgrube 12. Wie kam es dazu?
(Lacht) Jedenfalls nicht durch uns. Die Adresse war schon vorher da. Hier stand eine alte Kaserne.
Wann haben wir alles überstanden?
Es ist zu erwarten, dass wir es im Lauf der nächsten 12 Monate schaffen.
12 Monate?? Noch ein Jahr?!
Ich bin zuversichtlich, dass es schrittweise leichter wird, und wir in einem Jahr hier sitzen, wieder ein normalisiertes Leben führen und uns schon im Rückblick unterhalten.
Weltmarktführer Biontech
2008 vom Österreicher Univ. Prof. Dr. Christoph Huber gemeinsam mit dem bekannten Forscherpaar Sahin &Türeci in Mainz gegründet. Notiert an der US-Technologiebörse NASDAQ. Weltmarktführer bei Tumorimpfungen.
Die drei Impfstoffe im Vergleich
Biontech/Pfizer. War als Erster im Ziel und basiert auf völlig neuer mRNA-Technologie: Enthält eine RNA-Bauanleitung für die Bildung eines Spike-Proteins in Zellen, die eine Immunantwort erzeugt. Braucht 2 Teilimpfungen innerhalb von 21 Tagen (die erste schützt zu 89%, die zweite zu 95%). Muss bei -75°C gekühlt werden.
Moderna. Zweites in der EU zugelassenes Vakzin. Ebenfalls auf mRNA-Basis. Zweite Teilimpfung hier nach 28 Tagen. Schützt zu 94,5%. Das teuerste Präparat am Markt (in geringstem Umfang von der EU bestellt). Unkomplizierter in der Handhabung: Es reicht normale Tiefkühltruhentemperatur von -20°C.
AstraZeneca. Wartet auf EU-Zulassung. Ein Vektorimpfstoff (ein abgeschwächtes Virus als Fähre für ein Erbgut-Bruchstück von Sars-CoV-2, das im Körper ein Spike-Protein samt Abwehrreaktion bildet). Billigster Impfstoff; größte Bestellmenge in der EU! Zwei Teilimpfungen; in der Phase II/III-Studie geringere Wirksamkeit (aus 62% bei Älteren und 90% bei Jüngeren wurde ein Mittelwert von 70% errechnet).
Edda Graf, Kronen Zeitung
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