Wikipedia feierte vor zwei Tagen seinen 20. Geburtstag. Auch in Vorarlberg gibt es Dutzende Freiwillige, die aktiv dazu beitragen, dass die Welt-Enzyklopädie weiterwächst. Der Jurist Anton Schäfer ist einer davon:
Die Online-Enzyklopädie ist ein noch recht junges Phänomen des Internets. Die Kinderkrankheiten scheinen aber überwunden zu sein, die Erfolgsstory von Wikipedia ist nahezu einmalig. Und verantwortlich dafür ist in diesem Fall tatsächlich die Schwarm-Intelligenz.
Sie engagieren sich seit Jahren für Wikipedia, verdienen Sie etwas damit?
Nein, weltweit gibt es vielleicht 250 Personen, die bei Wikipedia verdienen, alle anderen sind Ehrenamtliche. Jeder engagiert sich, wie er will. Ich bin in Vorarlberg derjenige, der wohl am meisten organisiert. Exkursionen für unsere Mitglieder zum Beispiel.
Exkursionen wohin?
Wir sehen uns etwa Kraftwerke und Luftschutzbunker an. Allgemeiner gehalten könnte man sagen: Sehenswürdigkeiten im Bodenseeraum, wir arbeiten grenzüberschreitend. Wir halten auch Workshops für Wikipedia-Neulinge ab, denn hinter der sichtbaren Online-Enzyklopädie steckt eine Syntax ähnlich einem HTML-Code. Das sollte man beherrschen.
Wie kamen Sie zu Ihrem Engagement für Wikipedia?
Wikipedia hat mich von Anfang an fasziniert. Im Jahr 2009 habe ich begonnen, eigene Artikel dafür zu verfassen. Das waren anfangs sicher eher holprige Gehversuche. Inzwischen existieren von mir weit über 1000 Artikel, bei Regio-Wiki, dem Österreich-Wiki, sicherlich an die 300 Artikel.
Worum ging in Ihrem ersten Eintrag?
Um das sogenannte Amtsbot. Ein Begriff, der in der Schweiz und in Liechtenstein geläufig ist. Bei uns kannte man das Amtsverbot. Ich wollte schon damals ungewöhnliche Dinge erfassen. Wörter, die in Vergessenheit geraten sind und Ähnliches. Kürzlich habe ich daher einen Artikel zum Begriff Hungerleider verfasst.
Im gesamten deutschsprachigen Raum sind etwa 6000 Personen regelmäßig aktiv - und 2000, die fast täglich einen Artikel verfassen.
Anton Schäfer
Wie viele Menschen arbeiten in Vorarlberg für Wiki?
Rund 20 Menschen schreiben regelmäßig. Insgesamt sind es aber mehr. Im gesamten deutschsprachigen Raum sind etwa 6000 Personen regelmäßig aktiv - und 2000, die fast täglich einen Artikel verfassen.
Was darf auf Wikipedia publiziert werden, was nicht?
Es gibt bestimmte Regeln, eine davon ist jene der Relevanz. Die ist sehr umstritten. Es soll etwa kein Artikel zu einem Schauspieler verfasst werden, der nur ein einziges Mal auf der Bühne stand. Das wäre nicht relevant genug. Ein berühmter Fall war 2017 der Brand des Grenfelltowers in London. Innerhalb weniger Minuten gab es dazu einen Wiki-Eintrag - und ebenso wenige Minuten später gab es schon den ersten Löschantrag. Das Argument: Der Brand sei ein einmaliges Ereignis ohne weitere Relevanz. Nun hat sich dann aber herausgestellt, dass dieses Ereignis, bei dem 72 Menschen ums Leben kamen, doch bedeutende Konsequenzen nach sich gezogen hat - in puncto Brandsicherheit in Londons Wohnhäusern. Ich stehe auf dem Standpunkt, dass alles und jeder Platz in Wikipedia haben sollte, ich gehöre also bei Wikipedia zu den „Inklusionisten“ - im Gegensatz zu den „Exklusionisten“. Das Einzige, was jeder Artikel aufweisen muss, ist nach meiner Sichtweise Qualität.
99 Prozent der Artikel sind mittlerweile wirklich verlässlich. Sämtliche Einträge werden überprüft. Das Wichtigste ist die Angabe von Quellen. Einfach etwas zu behaupten, ist auf Wiki nicht mehr möglich.
Anton Schäfer
Apropos, früher hieß es: Nur weil es auf Wikipedia steht, muss es noch lange nicht stimmen. Was hat sich da getan?
99 Prozent der Artikel sind mittlerweile wirklich verlässlich. Sämtliche Einträge werden überprüft. Das Wichtigste ist die Angabe von Quellen. Einfach etwas zu behaupten, ist auf Wiki nicht mehr möglich. Das gilt auch für Unternehmen, die ihre Umsatzzahlen korrigieren wollen. Das können sie selbstverständlich tun, aber sie müssen dafür schriftliche Unterlagen vorweisen.
Gibt es Anfragen von Personen oder Unternehmen, die gerne einen eigenen Wiki-Eintrag haben wollen?
Ja, das kommt immer wieder vor. Auch in diesen Fällen wird innerhalb der Community über die Relevanz diskutiert. Als relevant gelten etwa Unternehmen mit über 1000 Mitarbeitern oder Betriebe, die in einem ganz besonderen Bereich arbeiten. Bei manchen Artikeln können die Verfasser die Community nicht von der Bedeutung überzeugen - diese Artikel werden dann gelöscht. Ich muss aber zugeben, dass es mir um jeden Artikel leidtut.
Wikipedia feiert seinen 20. Geburtstag und kann sich über großen Erfolg freuen.
Ja, ich bin wirklich stolz darauf, bei Wikipedia mitzuarbeiten. Man investiert ja auch einiges. Zum Beispiel Zeit. Ich verbringe jeden Tag etwas zwei bis drei Stunden mit Wiki. Menschen, die in Pension sind, bringen aber noch viel mehr Zeit dafür auf. Auch meine Frau und meine beiden Kinder sind mittlerweile vom Wiki-Fieber infiziert und helfen eifrig mit.
Wie stark wird Wikipedia mittlerweile genutzt?
Regiowiki hatte im Jahr 2020 zwei Millionen Zugriffe, das deutschsprachige Wiki konnte sich im Jahr 2020 über 14 Billionen Zugriffe freuen.
Ganz dringend wäre das Auffüllen des Foto-Archivs. Jeder kann seine Bilder hochladen - er muss sie nur ordentlich beschriften
Anton Schäfer
Was ist die Vision von Wiki-Mitarbeitern?
Das Wissen der Welt abzubilden. Also eine unendliche Aufgabe. Ein Projekt, das niemals fertig werden wird. Es gibt Millionen von Unternehmen und Orten, die noch nicht aufgenommen sind. Auch bei Personen gibt es Nachholbedarf. Deswegen suchen wir auch nach Menschen, die mitarbeiten wollen. Ganz dringend wäre das Auffüllen des Foto-Archivs. Jeder kann seine Bilder hochladen - er muss sie nur ordentlich beschriften, am besten auf Deutsch, Englisch und wenn möglich auch auf Französisch. Einmal habe ich einen Artikel zur Pistenpräparierung verfasst - aber ein Foto von den Rillen, die eine Pistenraupe in den Schnee zieht, konnte ich einfach nicht finden. Deswegen mein Appell: Öffnet Eure Archive!
Gerade bei Bildern ist die Rechtslage oft recht heikel.
Auch das wird heftig diskutiert. Ich persönlich vermeide es, Bilder mit Personen hochzuladen. Wenn es nicht anders geht, schiebe ich schwarze Balken über die Gesichter. Zu beachten sind hier auch die spezifischen Rechtslagen in den unterschiedlichen Ländern. Österreich hat ein recht liberales Nutzungsrecht und Panoramafreiheit, während in Deutschland etwa keine Bilder von Kirchenfenstern von innen veröffentlicht werden dürfen. In Belgien und Luxemburg dürfen keine Fotos von Kunstwerken im öffentlichen Raum hochgeladen werden. Allerdings lässt sich das umgehen, wenn das Kunstwerk nicht das zentrale Element des Bildes ist, sondern nur Teil eines Ensembles.
Wie sieht denn Ihre persönliche Bibliothek aus, stehen da noch Lexika?
Sehr viele sogar. Vor allem ältere Exemplare. Denn Lexika, die nach dem Zweiten Weltkrieg publiziert wurden, haben den Schwerpunkt meist auf die moderne Welt gelegt, dabei interessieren mich gerade die alten Dinge, zum Beispiel gas- oder kohlebetriebene Bügeleisen. Für viele Recherchen muss man dann aber in die Bibliotheken. Leider sind die derzeit geschlossen.
Jemand wie Sie ist sicher ein begeisterter Quiz-Fan oder zumindest ein begehrter Telefonjoker.
Ich bin kein Quiz-Fan, aber zweiteres stimmt. Bereits zwei Mal war ich als Telefonjoker bei der Millionenshow angemeldet. Mein Glück war aber, dass die Kandidaten dann immer auch ohne mich ausgekommen sind.
Das Interview führte Angelika Drnek
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