„Krone“-Interview

Irmgard Griss: „Die Gesetze haben einen Spielraum“

Politik
06.02.2021 06:00

Die Grünen haben sich mit einer Kindeswohlkommission aus dem Asyl-Streit mit dem Koalitionspartner gewunden. Irmgard Griss, die Leiterin des neuen Gremiums, spricht im „Krone“-Interview über Gesetzesinterpretationen, über Grenzen, wenn Kinder in Österreich geboren sind, und über ihre Erfahrungen in der Politik.

„Krone“: Frau Griss, was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie die Bilder von der Abschiebung der Mädchen - mitten in der Nacht und mit einem gewaltigen Polizeiaufgebot - gesehen haben?
Irmgard Griss:
 Es war natürlich sehr, sehr erschütternd zu sehen, dass da die geballte Staatsmacht ausrückt, um Kinder abzuschieben.

Dementsprechend haben Sie wohl nicht lange überlegt, ob Sie den Vorsitz der Kommission übernehmen?
Nein, das habe ich nicht. In diesem Fall gibt es sehr viele Emotionen, ich sehe die Kommission als Chance für eine Versachlichung.

Irmgard Griss in der „ZiB 2“ des ORF (Bild: ORF)
Irmgard Griss in der „ZiB 2“ des ORF

Innenminister Karl Nehammer und die gesamte ÖVP sagen „Recht muss Recht bleiben“. Sehen Sie das anders?
Es gibt ein ablehnendes Urteil des Gerichts. Aber die Kinder haben im Mai 2020 humanitäres Bleiberecht beantragt. Über diesen Antrag wurde noch nicht entschieden. Die Frage ist nun: Kann das Fehlverhalten der Mutter den Kindern zugerechnet werden? Der Richter hat Ja gesagt. Aber gibt es nicht Grenzen, wenn die Kinder in Österreich geboren sind? Es gibt einen Spielraum, wie man Gesetze auslegt, gerade bei Aufenthaltsfragen.

Gesetze sind also nicht in Stein gemeißelt?
Der Rechtsstaat schreibt Verfahren vor, und Gesetze sind anzuwenden. Allerdings: Die Politik bestimmt den Inhalt der Gesetze. Natürlich gelten Gesetze, aber sie lassen einen gewissen Spielraum zu.

Die Abschiebung einer Mutter und ihrer zwei Kinder, darunter die zwölfjährige Tina, hat Anfang des Jahres für gehörigen Wirbel - und sogar für Zwist in der türkis-grünen Koalition - gesorgt. (Bild: Screenshot ORF)
Die Abschiebung einer Mutter und ihrer zwei Kinder, darunter die zwölfjährige Tina, hat Anfang des Jahres für gehörigen Wirbel - und sogar für Zwist in der türkis-grünen Koalition - gesorgt.

Das Recht ist also Interpretationssache und liegt in der Hand des jeweiligen Richters?
Man hat auch als Richter keinen unumstößlichen Zugang zur Wahrheit, man ist auf Zeugen angewiesen. Daraus ergibt sich dann ein Sachverhalt, und dieser ist die Grundlage für die Entscheidung. Manche Dinge, wie etwa Fristen, sind fix, aber es gibt auch Dinge, die nicht so fix sind, eben unbestimmte Rechtsbegriffe. Dazu gehört etwa die Integration. Wann genau ist jemand integriert?

Den Kindern, die nun abgeschoben wurden, nutzt die Kommission aber nichts.
Nicht unmittelbar. Die Kommission ist aber auch nicht dazu da, den Fall neu zu entscheiden.

Können Sie schon sagen, wer aller in der Kommission sitzen soll?
Nein, dazu ist es noch zu früh.

Zitat Icon

Es geht darum, Lösungen zu finden - denn die Menschen verstehen zu Recht nicht, warum Kinder, die in Österreich aufgewachsen sind, abgeschoben werden. Es ist nicht der Rechtsstaat, der zu unmenschlichem Handeln zwingt.

Irmgard Griss

Sie waren selbst knapp zwei Jahre für die NEOS im Nationalrat, kennen also den politischen Apparat und auch die ÖVP. Haben Sie denn nicht Sorge, dass die Türkisen Ihre Empfehlungen einfach ignorieren, bindend sind diese ja nicht.
Ein Versuch lohnt sich trotzdem. Die Empfehlungen werden ja auch als Bericht veröffentlicht. Und meiner Erfahrung nach wird sehr darauf geschaut, was die Leute denken, Umfragen spielen eine große Rolle. Wenn also die Stimmung in dieselbe Richtung geht wie die Empfehlungen der Kommission, dann bin ich überzeugt, dass die Politik dem folgen wird.

Ist das Ihr Wiedereinstieg in die Politik?
(lacht) Ich bin froh, mit dieser Kommission meinen Beitrag zu leisten. Und ich bin froh, die Erfahrung in der Politik gemacht zu haben. Das reicht aber auch.

Doris Vettermann, Kronen Zeitung

Fakten

Irmgard Griss (74) war Präsidentin des Obersten Gerichtshofs, sie leitete die Untersuchungskommission zur Causa Hypo Alpe Adria. 2016 trat sie als unabhängige Kandidatin zur Bundespräsidentenwahl an, mit 18,9% der Stimmen verfehlte sie die Stichwahl um weniger als drei Prozent. Anschließend war sie bis 2019 knapp zwei Jahre NEOS-Abgeordnete.

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