Schon einmal Lippenlesen versucht, wenn einer eine Maske aufhat? Geht nicht? Eben. Was gehörlosen Menschen und Co. in Zeiten der Pandemie Probleme bereitet.
Das erste Mal treffen wir Helene Jarmer, die seit früher Kindheit gehörlos ist, bei einer Videokonferenz - sehen uns, winken uns zu, fragen ganz automatisch: „Hören Sie mich eh?“ Und erst im nächsten Moment wird uns bewusst, wie lächerlich die Frage ist. Ein Klassiker. Jarmer lacht drüber, sie kennt solche unbedachten Aussagen schon. Genauso bedenkt kaum wer, welche Probleme Pandemie, Lockdown-Maßnahmen und Masken etwa für gehörlose Menschen mit sich bringen. Gebärdensprache? Ja eh. Sprechen Sie sie? Der Großteil der Bevölkerung eher nicht.
„Etwa 30 Prozent geht über Lippenlesen“, sagt Jarmer, den Rest kombiniert sie aus Mimik, Gestik und den jeweiligen Rahmenbedingungen: „Es kommt auch auf das Geschick des Gegenübers an.“ Natürlich gibt es Dolmetscher, aber ständig steht ein solcher auch nicht auf Abruf bereit, mal abgesehen vom Budget dafür.
Ein Gespräch mit Maske macht das Ganze natürlich nicht einfacher. Wobei für Gehörlose ja per Verordnung eine Ausnahme besteht: Sie dürfen die Maske abnehmen, auch derjenige, mit dem sie sprechen. Ob das das Gegenüber auch tut, ist eine andere Frage.
Österreich hinkt in allen Bereichen hinterher
Gerade in Pandemie- und Lockdown-Zeiten ist Kommunikation oft schwierig, etwa bei Grenzkontrollen, weiß Jarmer. Oder im Spital, wenn man schwer krank von Ärzten und Pflegern mit Maske und im Schutzanzug behandelt werden muss - Gleiches gilt z.B. ja auch bei den Corona-Testangeboten.
Aber knifflig wird es schon früher. Bei Symptomen 1450 anrufen, heißt es. Haben Sie schon einmal überlegt, was Gehörlose mit dieser Aussage anfangen? Natürlich haben gerade jüngere Leute, die technisch versiert sind, nicht das große Problem damit, die wissen sich zu helfen, greifen auf PC und Handy, E-Mail und Co. zurück. Aber ältere Menschen tun sich da schon grundsätzlich schwer.
Impfen überfordert schon den Hörenden
Was Menschen mit Beeinträchtigungen anbelangt, „hinkt man in Österreich in allen Bereichen hinterher“, sagt Jarmer. Das reicht von Kleinigkeiten wie Untertiteln im Fernsehen oder Dolmetschern bei Veranstaltungen über entsprechende fehlende Kommunikationsmittel und räumliche Anpassungen bis hin zu mangelnder Hilfestellung und Bereitstellung von geeignetem Informationsmaterial.
„Großes Thema ist z.B. das Impfen“, so Jarmer, „etwa meine über 80-jährige Tante, die gehörlos ist, kennt sich da gar nicht aus.“ Viel Neues, medizinische Fachausdrücke, Studiendaten und Co. prasseln da auf einen ein. Mit Informieren, Austauschen, Bewerten, Abwägen von Fragen rund um Impfen, Testen und Co. sei man ja „schon als hörender Mensch überfordert, und ein Gehörloser bekommt nur einen Bruchteil an Informationen“. Wichtig sind da u.a. soziale Medien und Gehörlosen-Verbände, die helfend zur Seite stehen, mittlerweile gibt es auch eine Notruf-App, mit der man auch mit 1450 kommunizieren kann. Und jede Zeit hat ihr Gutes. Videokonferenzen etwa lassen sich gut organisieren und Dolmetscher für die Gebärdensprache leichter zuschalten. Allerdings bleibt ganz generell die technische Herausforderung für die ältere Generation - und somit das Thema Vereinsamung ein großes in unserer Gesellschaft.
Wenn Sehbehinderte den Abstand einhalten sollen
Immer wieder erreichen die „Krone“ Briefe von Lesern, die ihr Leid klagen. Eine Mutter etwa, deren Kind eine Behinderung hat: Bei den Schultests tue sich der Sprössling schwer, ihn daheim zu lassen gehe auch nicht so einfach: „Ich kann mir nicht immer freinehmen“, schreibt sie uns. Auch Blinde und Sehbehinderte tun sich schwer. Den Abstand einhalten? Leicht gesagt. „Ich kann anderen nicht ausweichen, ich sehe sie ja nicht“, berichtet ein Betroffener. Auch sind Fühlen und Abtasten Orientierungshilfen für ihn - schwierig in Zeiten, in denen die Ansteckungsgefahr hoch, der verängstigte Griff nach dem Desinfektionsmittel bei jeder Berührung ein schneller und das Masketragen Pflicht ist.
Doch das sind nur einige Beispiele unserer Leser. Die Beeinträchtigungen und die jeweiligen Probleme von Betroffenen sind vielfältig. Vielleicht helfen da Bewusstsein und Verständnis für einander?
Silvia Schober, Kronen Zeitung
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