Krieg in Afghanistan
Das lange Warten auf Frieden am Hindukusch
Amerikas längster Krieg dauert nun schon fast 20 Jahre. Der von den USA im Doha Abkommen versprochene US-Truppenabzug aus Afghanistan wird von der Biden-Administration noch mal evaluiert. Die NATO-Mission in Afghanistan wird wohl auch nach dem zweitägigen Treffen der Verteidigungsminister der Mitgliedsländer in Brüssel weitergehen. Sehr zum Ärger der Taliban. Und was bedeutet das für Österreichs Soldaten im Einsatzgebiet?
Nach 18 Jahren Krieg und insgesamt 180.000 Todesopfern dauerten die Verhandlungen zwischen den USA und den Taliban noch einmal 18 Monate, ehe Ende Februar 2020 die damalige Trump-Administration die Zusicherung des Truppenabzugs der USA aus Afghanistan bis Ende April 2021 gab. Die USA hatten da noch 13.000 Soldaten in Afghanistan stationiert, nun sind es noch 2500. Insgesamt hat die NATO etwa 10.000 Soldaten vor Ort. 16 Mitglieder des Bundesheeres sind als Teil einer internationalen Ausbildungsmission am Hindukusch stationiert.
Friedensgespräche auf Eis gelegt
Dort, am Fuße des Gebirges, das sich fast über ganz Afghanistan erstreckt, setzt nun das lange Warten ein. Was denn nun die neue US-Regierung unter Joe Biden unternehmen werde? Dieser kündigte eine Evaluierung des Doha-Abkommens an. Ein Rückzug vom Truppenrückzug zeichnet sich ab. Bei der Unterzeichnung des Doha Abkommens hat eine Partei gefehlt: Die afghanische Regierung. Deren Verhandlungen mit den Taliban hätten im März 2020 beginnen sollen, begannen dann erst im September und wurden im Dezember abgebrochen. Zwei Treffen im Jänner 2021 verliefen freundlich, aber ergebnislos.
„Das Problem“, so das Magazin „The Diplomat“: „Es gibt keine Einigung darüber, wie ein Frieden in Afghanistan aussehen soll.“ Die Taliban wollen einen kompletten Umbruch des politischen Systems, zurück zum islamischen Polit- und Rechtssystem. Die amtierende Regierung will am jetzigen System samt Verfassung festhalten. Für die Taliban kommt diese „Kopie des Westens“ nicht in Frage.
Angriffe auf Regierung, Medien und Kleriker
„Gewalttaten halten in Afghanistan nicht nur an, sondern haben gar zugenommen. Daher und aus anderen Gründen ist es schwer vorstellbar, dass der Konflikt in Afghanistan in absehbarer Zukunft enden wird“, analysiert der in Kabul lebende Journalist Franz J. Marty. Da die afghanische Regierung bei der Unterzeichnung des Doha-Abkommens nicht zugegen war, war sie auch nicht Teil des Abkommens. Dazu gehört, dass die Taliban nicht zulassen, dass das Terrornetzwerk Al-Kaida und andere Terrororganisationen Afghanistan erneut als Rückzugsort nutzen. Zudem versprachen sie, Angriffe auf afghanische Regierungstruppen zu reduzieren.
Der Rahmen dieser Reduktion ist allerdings groß. Während die NATO laut „Diplomat“ ihre Luftschläge um bis zu 30 Prozent reduzierte, um den Friedensprozess nicht zu gefährden, vollziehen die Taliban nun zwar nicht mehr wahllos Attentate (die zivilen Opferzahlen gingen um 30 Prozent zurück), aber attackieren gezielt gemäßigte Kleriker, Journalisten, Regierungsbeamte und Einheiten des afghanischen Militärs. „Die westlichen Einheiten werden größtenteils in Ruhe gelassen“, analysiert das Magazin. „Einen 20 Jahre alten Krieg kann man nicht in einer Stunde beenden", meine ein Taliban-Sprecher.
Einflussgewinn im ländlichen Bereich
Rund um größere Städte wie Kandahar bewegen sich verstärkt Taliban-Einheiten und üben Druck aus. „Dies ist ein Zeichen für die Stärke der Taliban, die jedoch teilweise überschätzt wird,“ sagt Marty im „Krone“-Gespräch. „Die Taliban verlassen sich nach wie vor mehrheitlich auf Guerilla-Taktiken und vergangene Fälle, in denen Taliban Provinzhauptstädte oder Teile davon übernommen hatten, lassen darauf schließen, dass die Taliban eine Stadt weder über längere Zeit halten könnten noch dies wollen.“ Anders als der IS in Syrien etablieren die Taliban in von ihnen kontrollierten Gebieten auch kaum Infrastruktur und stellen kaum öffentliche Versorgung zur Verfügung. „Das überlassen die Taliban Nichtregierungsorganisationen oder sogar der afghanischen Regierung, der sie teilweise ,erlauben’, Schulen oder Kliniken in Taliban-Gebieten zu betreiben,“ erklärt Marty.
Die Taliban haben seit zwölf Monaten vor allem in den weitläufigen, ländlichen Bereich Afghanistans wieder Einfluss gewonnen. Und: Die Warlords im Norden haben wieder begonnen, sich mit ihnen zu arrangieren und teilen die Gebiete unter sich auf. Nach dem Motto: Du lässt mich in Ruhe, ich lasse dich in Ruhe. Laut den aktuellsten Daten des US Congressional Research Service kontrolliert die afghanische Regierung nur 54 Prozent der afghanischen Bezirke. Auch das Außenministerium bezeichnet auf „Krone“-Anfrage die Lage in Afghanistan derzeit als „unbeständig.“
Warum Österreich nicht einfach abziehen kann
Wie sieht nun die Zukunft der NATO und der USA in Afghanistan aus? Die Taliban haben bereits klar gemacht, dass sie eine US-Präsenz in Afghanistan über April 2021 hinaus nicht akzeptieren werden. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg wollte vor Beginn des Verteidigungsminister-Treffens nicht vorgreifen, aber ein Ende der NATO-Mission in Afghanistan ist nicht absehbar, ebenso wenig ein vollständiger Truppenabzug der USA. Dieser sei in so kurzer Zeit auch nicht machbar.
„Bei einem Rückzug der USA und der NATO-Partner wäre innerhalb von kürzester Zeit mit einer Implosion der afghanischen Regierung zu rechnen“, analysiert Generalmajor Johann Frank, Direktor des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktmanagement in Wien. Am ehesten werde „die USA eine militärische Minimalpräsenz aufrechterhalten, die im Anlassfall sowohl eine Terrorismusbekämpfung zulässt, als auch eine Drohkulisse gegenüber anderen Akteuren in der Region sicherstellt. Ein Szenario wie Irak 2011, wo nach dem Abzug der USA der IS entstanden ist, liegt weder im Interesse der USA noch Europas.“
Was bedeutet das für die 16 in Afghanistan stationierten, österreichischen Soldaten als Nicht-Nato-Mitglieder? Man beobachte die Sicherheitslage sehr genau, heißt es aus dem Verteidigungsministerium. Anders als auf den Golan-Höhen ist das österreichische Bundesheer Teil eines multi-nationalen Kommandos. Ein alleiniger Abzug „sei somit undenkbar.“ Man bleibt entweder gemeinsam, oder geht gemeinsam. So wie es auch die NATO-Strategie vorsieht. Bis dahin wartet man am Hindukusch eben weiter. Vor allem auf Frieden.
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