Corona-bedingt mussten die Österreicher Harakiri For The Sky ihr neues Album „Mære“ mehrmals verschieben, doch nun blasen Matthias Sollak und Michael „Jimbo“ Kogler wieder zum Angriff. Auf ihrem fünften Werk lassen sie noch mehr Post Rock zu und entfernen sich bedächtig, aber doch von den harschen Ausritten der Frühtage. Grund genug für ein ausführliches Gespräch mit Matthias Sollak und Michael „Jimbo“ Kogler von der bereits zweifach Amadeus-nominierten Band.
Österreich „feiert“ ein Jahr Corona und hat - unbemerkt vom Großteil der Öffentlichkeit - den dafür passenden Soundtrack im eigenen Land. Wenn es nämlich um Schwermut, Melancholie und vertonte Trauer geht, ist man beim Duo Harakiri For The Sky goldrichtig. Die Band besteht aus Songwriter und Multiinstrumentalist Matthias Sollak, sowie Sänger/Texter Michael „Jimbo“ Kogler und veröffentlicht mit „Mære“ einen fast eineinhalbstündigen Soundbrocken voll ausladender Instrumentalkaskaden, kathartischer Gitarrenriffs und leidender Vocals in einem dichten, aber trotzdem zu jeder Zeit feingesponnen Produktionskorsett. Auf ihrem fünften Album vermischt das Salzburger/Wiener-Gespann mehr denn je Alternative Rock, Post Rock und Grunge-Anleihen mit der nihilistischen Atmosphäre des Black Metal. Diese Mischung brachte dem Duo bislang schon zwei Amadeus-Nominierungen ein.
Harakiri For The Sky sind in ihrem Segment weit über die nationalen Grenzen hinaus bekannt. Sie spielten ausladende Touren quer über den Globus und waren zu Gast bei den prestigeträchtigsten Metalfestivals. Durch die Mischung aus harschen Ausritten und sanften Akustikpassagen entsteht ein ganz besonderes Soundgebilde, das sich auch in den Ohren von Pop- oder Rockfans entfalten kann. Das Erfolgsrezept der letzten Jahre hat die Truppe nur mehr marginal verändert, doch auf dem Werk gibt es neben einem amtlichen Placebo-Cover noch ausreichend Überraschendes und Wendungsreiches zu entdecken. Wir haben uns - frisch negativ getestet - mit den beiden zusammengesetzt, um über die Ausrichtung der Band, das neue Album, einen folgenreichen Polit-Shitstorm und die Wertigkeit des Amadeus für eine Metal-Band zu sprechen.
„Krone“: Matthias, Jimbo - wie viel Sinn macht es, ein Album in der Pandemie zu veröffentlichen, wenn man damit eigentlich nie auf Tour gehen kann?
Matthias Sollak: Das Album war fast komplett fertig, bevor die Pandemie überhaupt losging. Stéphane „Neige“ Paut, der Sänger von Alcest, der als Gast bei uns zu hören ist, durfte damals in Frankreich überhaupt nur mit schriftlicher Bescheinigung das Haus verlassen und so mussten wir mehr als einen Monat warten, bis er mit seinen Zeilen daherkam.
Jimbo Kogler: Es ging bei ihm nicht anders. Wenn du kein Mischpult und kein Mikrofon daheim hast, wird es schwierig. Außerdem ist das Herumschreien im Apartment in Paris sicher auch nicht so gern gesehen.
Sollak: September war als Veröffentlichungsdatum gedacht, aber da waren wir alle noch so naiv und dachten, nach dem ersten Lockdown wird es schon besser werden. (lacht) Dann war Jänner geplant und im CD-Presswerk gab es einen Corona-Cluster, weshalb wir dann noch einmal um drei Wochen verschieben mussten. Irgendwann musste es dann raus.
Für eine Band wie Harakiri For The Sky, die sehr viel Schwere und Melancholie transportiert, ist Corona eigentlich eine tolle Zeit. Denn schwer und melancholisch ist derzeit die ganze Welt.
Sollak: Vielleicht können sich durch die Zwangsisolation mehr Leute mit unserer Lethargie identifizieren. (lacht)
Ist die aktuelle Situation, in der wir uns alle befinden, für dich als Songwriter inspirierend?
Sollak: Genau da liegt das Problem. Wenn man jeden Tag zuhause sitzt, dann kann einen wenig inspirieren. Es gibt keine Eindrücke und Einflüsse. Du hast zwar Zeit, aber sitzt mit der Gitarre da und es fällt dir nichts ein. Daraus resultiert, dass du die Gitarre dann eine Woche gar nicht mehr in die Hand nimmst. Der Kreativität hilft die Lage nicht.
Kogler: In der Isolation entstehen auch Ideen, denn die Verzweiflung ist ein guter Aufhänger für unsere Songs. Man ist frustriert und ich schreibe dann am besten, wenn es mir nicht so gut geht. Melancholie spiegelt meinen Charakter wider, aber die Lage jetzt ist für die gesamte Grundstimmung richtig schwierig. Letztes Jahr war der erste Lockdown noch angenehm entschleunigend. Davon haben wir auch ein bisschen profitiert, weil man etwas entspannen und in sich gehen konnte. Nach den letzten Jahren des intensiven Tourens war es mir egal, mal drei Monate durchgehend daheim zu sein, aber im Sommer wurde es mühsam. Da konnte man sich zumindest noch frei bewegen, aber seit Ende Oktober ist die Lage ziemlich unerträglich.
Sollak: Für Leute aus der Musikbranche ist extrem frustrierend. Auch weil es Ausnahmen gibt beim Skifahren oder den Seilbahnen. Als Restaurantbetreiber, Musiker oder Tontechniker wirst du frustriert. Wir haben Lockdown für Lockdown, nur weil sich manche nicht zusammenreißen können. Viele gehen zu den Anti-Corona-Demos nicht aus dem Grund, dass sie das Virus leugnen, sondern einfach frustriert sind. Wie ist das dann erst, wenn man monatlich Lokalmieten zahlen muss, weil die Hilfen nicht ankommen oder ungenügend sind?
Eine Metalband lebt natürlich von Livekonzerten und dem Verkauf von Merchandise. Noch mehr als Musiker in anderen Sparten. Wie hart trifft euch die Lage persönlich?
Sollak: Alles ist viel knapper und schwieriger. Hätte ich vorher nichts angespart gehabt, hätte ich Probleme, denn das Geld vom Härtefallfonds deckt maximal die Grundkosten. Andererseits gibt man natürlich viel weniger Geld aus.
Kogler: Ich wollte unlängst nach Madeira fliegen, weil das mit negativem PCR-Test lange ging, aber nun wurden die Flüge storniert, weil Portugal so schwer getroffen ist. Du musst fast daheimbleiben, außer dir ist alles egal und du reist irgendwohin - ohne Rückflugticket. Aber so kurz vor der Impfung ist das natürlich zu hinterfragen. Wenn du aber sowieso Backpacker bist, dann hast du jetzt definitiv genug Zeit dafür.
Corona hat euch auch die Feierlichkeiten zum Zehn-Jahre-Bandjubiläum ruiniert. Trotz allem wart ihr von Anbeginn ein konstantes Duo mit wechselnden Livemusikern. Warum sind Harakiri For The Sky auf diesen schmalen Kern begrenzt?
Kogler: Wir sind eingespielt und es ist unkomplizierter. In Bands, wo alle gemeinsam die Musik schreiben ist die Lage schnell anstrengend. So kann jeder für sich arbeiten. Matthias macht die Musik, ich schreibe die Texte und wir tragen dann die Ideen zusammen.
Sollak: Wenn man zehnminütige Songs schreibt, hat man recht genaue Vorstellungen und da brauch ich keine Jam-Sessions mit anderen. Ich habe meine Ruhe und kann mich auf die Dinge fokussieren. Ich habe natürlich die Freiheit, Jimbo bei den Texten darauf aufmerksam zu machen und er umgekehrt, wenn ihm meine Soli zu melodisch sind, aber am Ende treffen wir uns in der Mitte.
Kogler: Mir gefallen 95 Prozent seiner Ideen beim ersten Mal, der Rest entwickelt sich spätestens, wenn mein Gesang darübergelegt wird.
Sollak: Jimbo hat die Textfragmente schon in seinem Bücherl notiert, wenn ich ihm die Demos schicke und den Rest schreibt er einfach drauf. Dann finden wir bis zum Endprodukt zusammen.
Kogler: Beim Post-Black-Metal kommt es gut, wenn die Texte nicht zu hektisch vorgetragen werden. Ein Lied braucht Zeit zum Atmen und ich lasse lieber zwei, drei Wörter weg. Als „Dichter“ habe ich meine Prämissen, die ich nicht verlasse, aber am Ende muss jeder Text dem Song dienen.
Sollak: Ab und zu kommen wir im Studio noch auf Kleinigkeiten drauf, die einen Song völlig verändern können. Manchmal muss man spontan sein können.
„Mære“ ist euer mittlerweile fünftes Studioalbum. Gab es einen besonderen Moment, wo ihr euch als Band stilistisch gefunden habt?
Sollak: Wir entwickeln uns weiter, trauen uns mehr und lassen mehr musikalische Einflüsse zu. Man bekommt sonst Selbstzweifel, ob man sich zu stark wiederholt oder unbewusst mehr dem Hörer als sich selbst dient. Am Ende hat sich aber immer bewährt, dass alles, was uns durch den Kopf ging, umgesetzt wurde. Gewisse Songwritingformeln ergeben sich nach zehn Jahren einfach, ohne dass man sie niederschreibt. Der eigene Stil ist irgendwann da und den kann man variieren. Dass dieses Album fast 90 Minuten dauert, war nicht direkt geplant. Wir packen einfach alles auf ein Album, was wir in einer gewissen Zeitspanne schreiben. Ich würde nichts bewusst aufheben, nur damit das Album kürzer wird. Das Produkt muss schon geschlossen sein, auch wenn es lange dauert. Es ist aber kein Konzeptalbum und man muss es nicht von vorne bis hinten durchhören.
Kogler: Im Vergleich zu Godspeed You Black Emperor sind wir noch harmlos. Aber Post-Rock-Songs bauen sich lange auf, explodieren, bauen sich wieder auf und explodieren noch einmal. Es gibt viele Spannungsbögen und all das kannst du kaum unter zehn Minuten machen. Radiofreundlich ist das nicht, aber das ist die Musik an sich nicht. Für eine Black-Metal-Band klingen wir - auch durch die gute Produktion - sehr fein und nicht übertrieben hart, aber im Endeffekt ist trotzdem alles sehr schwer, was wir musikalisch und inhaltlich mitteilen. Im Radio geht sich unser Sound maximal bei „House Of Pain“ auf FM4 aus.
Ein kurzer, knackiger Popsong ist bekanntlich die größte Kunst. Abseits von Pop - könntest ihr überhaupt einen kurzen Song schreiben, der trotzdem alles aussagt?
Sollak: Es wäre wahrscheinlich möglich, aber ich wäre am Ende des Tages wohl nicht glücklich damit. Vielleicht ist mal nach drei Minuten alles gesagt, aber mir fällt immer noch mehr ein und fünf Minuten sind schnell voll. Selbst die Coversongs sind bei uns länger als das Original. (lacht) Kompliziert ist das natürlich bei Konzerten, wenn du aus fünf Alben vielleicht nicht einmal fünf Songs wählen kannst. Man kann es natürlich nie allen rechtmachen. Bei einem 45-Minuten-Slot auf Festivals ist das schon heftig.
Ich finde, dass eure Alben mit Fortdauer der Jahre immer zugänglicher und breiter werden. Stets mehr Post-Rock und immer etwas weniger Black Metal. Mehr Cult Of Luna als Shining.
Sollak: Manche bezeichnen uns als Melodic Doom oder Melodic Death Metal. Es ist am Ende egal, denn wir haben viele Einflüsse. Ich höre sehr viel Alternative- und Indie-Rock und mag Singer/Songwriter. Das merkt man auch an der Stimmung der Songs. Mir gefällt in der Melancholie von Deftones oder Placebo teilweise mehr, als wenn ich Black-Metal-Bands höre. Im Endeffekt macht’s die Mischung aus. Wir erfinden die Welt nicht neu, aber am Ende muss uns der Sound gefallen.
Ein Song wie „I’m All About The Dusk“ geht im Schlussdrittel sehr stark ins Rockige, das hat man vorher wahrscheinlich noch nicht so oft bei euch gehört.
Sollak: Es ist ein funkiger Teil drinnen. (lacht)
Kogler: Die ersten beiden Alben waren dem Black Metal natürlich am nächsten, das hört man schon deutlich heraus. Ich wollte immer Post Rock mit Kreischstimme machen und das haben wir hingekriegt. Wir waren damals viel gemeinsam unterwegs und haben sehr viel Post Rock gehört, als die Band entstand. Das hat uns geprägt.
Sollak: Auch härtere Bands wie Woods Of Desolation. Insofern sind die ersten Alben mehr in die Richtung der Australier wie etwa Austere einzuordnen. Von dem haben wir uns über die Jahre ein bisschen wegentwickelt.
Der Sound stößt auf Anklang - auch außerhalb der enggesteckten Metalpfeiler. Prägt euch das im Songwriting?
Sollak: Es ist natürlich schön, aber ändert nichts am Songwriting. Für den klassischen Black Metaller mit Patronengurt sind wir nichts, aber dieser Sound wäre mir auf Dauer zu fad. Wir haben immer noch Spaß und sind enthusiastisch, das ist sehr wichtig. Die Band sollte nie ein notwendiges Übel sein, denn das wäre der Anfang vom Ende. Als erstes muss einem selbst gefallen, was man tut.
Wie kann man sich als Außenstehender, der von euch noch nicht viel vernommen hat, an Harakiri For The Sky heranwagen?
Sollak: Ich höre derzeit sehr viel Grunge und Indie-Rock und ich würde uns als Mischung aus 2000er-Rock und Black Metal bezeichnen.
Kogler: Der Grunge-Einschlag ist auch da, aber der Schwerpunkt und die Konstante ist die melancholische Grundstimmung. Bei uns gibt es keine Partysongs.
Im letzten Moment habt ihr letzten Herbst einen Gastauftritt der französischen Sängerin Audrey Sylvain von der Platte geworfen, da sie sich offen im rechtsradikalen Milieu bewegt. Die Aktion geschah auf Hinweis eurer Fans, nachdem ihr die Tracklist und Gastbeiträge veröffentlicht habt und all das trat einen unglaublichen Shitstorm los. Worüber ärgert ihr euch bei der allgemein misslungenen Aktion am meisten? Denn dass sie bei der rechtsgerichteten französischen Band Peste Noire spielte, war ja von Anfang an kein Geheimnis…
Kogler: Das wussten wir, aber sie hat uns damals geschrieben, dass sie sich von der Band und dem Milieu losgesagt hatte. Sie hätte sich deshalb auch von ihrem Ex-Mann scheiden lassen. Sie spielte Konzerte mit einem Afroamerikaner und wir dachten uns, dass sie sich weiterentwickelt hat und aus dem Sumpf raus will. Gibt man so einem Menschen eine zweite Chance oder verweigert man ihm den Zugang zu einer normal denkenden Szene? Ich habe mit Sozialarbeitern darüber geredet und die meisten bestätigten mir, dass man die Chance wahrnehmen soll. Jede rechte Person weniger ist gut und deshalb die Chance von unserer Seite. Sie hat aber dann unter einem anderen Facebook-Profil unter der Hand wirklich schlimme Sachen gepostet - unter anderem Namen. Sie war mit ukrainischen Separatisten unterwegs und vielen weiteren Typen, die nicht gerade unbescholten sind. Wir kannten das Profil nicht, aber wenn man sie einfach googelt, käme man nie auf all diese Dinge, die sich uns offenbarten. Es gab Internetschnüffler, die uns diese Dinge näherbrachten und so schrieben wir ihr eine professionelle E-Mail, dass wir aufgrund der zugespielten Tatsachen ihren Beitrag vom Album nehmen werden. Das ging aber auch nach hinten los, weil man uns vorwarf, wir möchten deshalb nur mit dem Album in allen Mailordern vorkommen. All das passierte zudem übers Wochenende, wo das Presswerk schon fast angeworfen war. Wir hatten irrsinniges Glück, dass sich die Änderung überhaupt noch ausging, bevor die 5000 Platten gepresst werden.
Sollak: Es ging da auch nicht mehr um Kleinigkeiten, sondern um schwerwiegende, inakzeptable Dinge.
Die da wären?
Sollak: Uns wurde ein Foto von ihr zugespielt, wo sie in einem Badezimmer dämliche Nationalistengrüße machte und dann gab es noch eine blöde Aussage gegen Flüchtlinge, die untragbar ist. Für uns war das extrem unangenehm. Wir haben die Konsequenzen daraus gezogen und uns in vielen Interviews erklärt, aber es muss auch mal reichen. Natürlich werden viele im Copy-&-Paste-Verfahren alte Screenshots an die Veranstalter schicken und uns boykottieren wollen. Die Meinung dieser Leute kannst du nicht mehr ändern und damit müssen wir leben.
Kogler: Es war nicht die volle Nazikante, aber es war auf jeden Fall weit drüber. Doch egal wie rechtsradikal eine Person ist, man kann ihr kein Mail schreiben, wo man sie deshalb billig beschimpft. Wir hätten sie sowieso immer vom Album geworfen nach diesen Vorwürfen, aber wir haben unser Mail mit Stil verfasst. Die extremen Linken hätten sich vielleicht erwartet, voll auf sie loszugehen, aber so arbeiten wir nicht. Die Nachricht kam vielleicht falsch rüber, aber wir haben es auf professionelle Art versucht. Sie drehte dann komplett durch und veröffentlichte alle privaten Nachrichten im Netz, damit konnten wir nicht rechnen. Sie hat uns gedroht, dass sie den Song vorab veröffentlicht, aber auf diese Schlammschlacht wollten wir uns nicht einlassen.
Sollak: Das wäre noch mehr Publicity für sie gewesen und das wollten wir nicht. Die ganz extremen Linken warten auf ein Riesenstatement, aber dann endet die Causa nie.
Kogler: Das Internet gibt jedem Arschloch auf dieser Welt eine Stimme und dann versuchen alle zwischen den Zeilen Dinge zu finden, die es nicht gibt. Es steckt genau das drin, was im Statement steht. Nicht mehr und nicht weniger. Wir haben uns in zwei Fachmagazinen detailliert über mehrere Fragen erklärt. Wer genau wissen will, wie alles lief, der nehme das „Slam“ oder das „Decibel“ in die Hand. Da sollten keine Fragen offenbleiben. Ich war mein Leben lang links und habe mich vor zwölf Jahren auf Black-Metal-Festivals blöd anreden lassen müssen, weil ich Converse und ein Pearl-Jam-Shirt anhatte anstatt eines Kettenhemds und Corpsepaint. Ich lasse mir nicht nachsagen, dass ich mit Rechen sympathisiere. Mein halber Freundeskreis ist so links, dass sie nur mit Venster- und EKH-Leuten abhängen und Matthias und ich haben in dezidiert linken Black-Metal-Bands gespielt.
Sollak: Aber das zählt vielen nicht mehr als Argument und dann sind wir wieder bei Cancel Culture. Damit müssen wir eben umgehen. Wir haben einen Fehler gemacht, aber der Hass, der dann aus dem Internet kam, war einfach nicht mehr okay. All die Drohungen und Beschimpfungen, das ist komplett irre.
Kogler: Der Rekord waren drei Morddrohungen an einem Tag. Wir haben den Fehler aber korrigiert. Wir haben alles dafür getan, die Sache auszumerzen, weil wir anfangs zu naiv und blauäugig waren. Eigentlich wollten wir mit den Gastbeiträgen von Neige und Audrey das Vermächtnis der Band Amesoeurs aufrechterhalten, weil die für uns im Post-Black-Metal stilprägend waren. So schwer kann das aus dem Nichts nach hinten losgehen.
Sollak: Dieser Vorwurf, rechtsoffen oder Nazi-Sympathisant zu sein, ist brutal und ich hadere mit ihm. Das hat mit uns überhaupt nichts zu tun und hängt uns völlig zu Unrecht an.
Der zweite Gast, Neige, hat die schwerrechten Demos von Peste Noire eingetrommelt. Wo liegt da dann der Unterschied zu Audrey Sylvain?
Sollak: Das ist a) ewig her und b) lege ich für ihn meine Hand ins Feuer. Er ist weltoffen und kann absolut keiner Fliege etwas zuleide tun. Er hat noch heute alle zwei Monate ein kleines Problem mit seinen frühen Tagen.
Kogler: Neige hat sich 100-mal davon distanziert, aber er wollte als Teenager radikal und wild rüberkommen. Das Wort „Jugendsünde“ kommt immer blöd rüber, aber im Endeffekt war es nichts anderes. Alcest ist die vielleicht lieblichste Musik, die man im Metal finden kann und am Debütalbum hatte er als Cover ein Kind gewählt. Er war mit 15 ein Volltrottel und wusste wahrscheinlich mit 17 schon, dass er mit 15 ein Volltrottel war. Natürlich sehr dumm, aber er war nur kurz dabei und hat sich x-mal davon distanziert.
Trotz allem ist es so passiert und hängt natürlich nicht nur ihm nach, sondern allen anderen, die mit ihm arbeiten.
Sollak: Aber was soll er jetzt tun? Sich sein restliches Leben eingraben, wenn er seine Einstellung eh geändert hat? Er kann deshalb nicht aufhören Musik zu machen. Wenn sich jeder eingräbt, der mit 16 Blödsinn gemacht hat, dann wird die Welt schnell ausgedünnt.
Kogler: Mittlerweile hast du schon ein Problem, wenn du mit einer frühen Band ein Burzum-Cover gemacht hast.
Burzum ist natürlich ein ewiger Streitfall, aber dort kann man die Kunst vom Künstler trennen. Er hat seine Ansichten nicht auf seine Black-Metal-Alben gepackt. Neige hingegen hat bei Peste Noire schon auf Material gespielt, das eindeutig und offensichtlich rechtspolitisch positioniert ist.
Sollak: Dieses Argument der Trennung zählt bei vielen ja auch nicht.
Kogler: Die ersten vier Alben von Burzum kamen heraus, als er noch nicht so extrem unterwegs war und im Nachhinein hat er ein ganzes Genre geprägt. Dass er später ein völliger Idiot wurde, dafür können die frühen Alben nichts. Burzum ist nicht Landser, das muss man schon noch unterscheiden. Dass Varg Vikernes mit jedem einzelnen Album ein eigenes Subgenre erschaffen hat, muss man so hinnehmen.
Was ist rückblickend das Ergebnis aus dieser leidigen Sache? Ist der PR-Faktor größer oder der Imageschaden?
Sollak: Sowohl als auch. Mir wäre es lieber, wir hätten den ganzen Stress nie gehabt, weil es nie der Vorsatz war und uns alles sehr schockiert hat. Die Zeit war wirklich nicht leicht. Wir haben unser ganzes Herzblut in ein Album gesteckt und wurden nur auf diesen Fehler reduziert. Ich will deshalb auch nicht im Gespräch sein, PR hin oder her. Ich will nicht mit etwas Rechtem assoziiert werden.
Kogler: Wir müssen besser aufpassen und besser recherchieren. Alles doppelt und dreifach checken, das haben wir auf jeden Fall gelernt.
Sollak: Wir sind heute schon gar nicht mehr interessant, weil es so viel Ärgeres gab. Denk an das Foto von Iced Earth-Gitarrist Jon Schaffer, wie er mit hochrotem Kopf das Kapitol in den USA stürmte. Völlig irre. Die Leute sind zudem derzeit extrem unbeschäftigt, das merkt man noch mehr als sonst. Vielleicht geht es den Menschen besser, wenn sie jemanden denunzieren können. Ich bin einfach froh, dass die Sache jetzt durch ist.
Kommen wir zur Musik zurück. Jimbo, du hast die Melancholie vorher schon angesprochen. Ist es in deinem Fall kein Klischee, eine melancholische und negative Stimmung haben zu müssen, um diese schweren Texte zu schreiben?
Kogler: Bei mir kommt alles aus einer bipolaren Störung. Auf der einen Seite bin ich ständig schwermütig und depressiv, andererseits fördert das auch meine Kreativität. Wenn ich zu viel fühle, dann kommt auch sehr viel Inspiration. Mein Charakter geht Hand in Hand mit dem Inhalt meiner Texte.
Sollak: Ich bin immer wieder überrascht, welch introvertierter Mensch Jimbo ist, aber wie sehr er ehrlich und offen mit den Texten nach außen geht. Das ist sicher auch eine Selbsttherapie.
Kogler: Das Konzept des Inhalts bin immer ich mit meiner Gefühlswelt. Die Inhalte fügen sich gut mit dem Albumtitel zusammen, denn die „Mære“ ist eine Art Ghul, der dich vom Schlafen abhält und dich immer jagt. Meine Texte halten mich nachts auch vom Schlafen ab und beschäftigen mich, weil es verarbeitet werden muss. Ich könnte gar nicht anders schreiben. Vielleicht kommt als nächstes ein Buch.
Ist es nicht dennoch schwierig, so viel von dir preis zu geben? Dich der Öffentlichkeit mit all deinen inneren Dämonen und Problemen so zu öffnen?
Kogler: Man macht sich natürlich verwundbar und das finden nicht alle Leute cool an mir. Einige gute Freunde hinterfragen, warum ich so viel von mir erzähle und in den Seelenstriptease gehe, aber mir ist es wichtig, das so rauszulassen. Wilde Geschichten ergeben wilde Texte und deshalb muss man sich nicht besonders zurückhalten. Außerdem wird dadurch alles authentischer.
Sollak: Jimbos Texte sind oft in Metaphern verpackt, aber ich weiß immer, worum es geht. Teilweise ist er sehr direkt, teilweise sagt er einiges durch die Blume, aber die Mischung daraus geht vielen Menschen nahe. Viele Leute können sich dadurch mit ihm identifizieren und das ist als Musiker etwas sehr Wertvolles. Man muss uns nicht nebenbei beim Saufen hören, sondern kann sich in der Musik fallen lassen.
Ist es manchmal schwierig, sich bei Liveshows auf lang zurückliegende Songs zu beziehen, die so ehrlich sind, dass du dir damit längst Abgehaktes wieder schmerzvoll vergegenwärtigst?
Kogler: Es wühlt mich natürlich auf. Vor allem wenn es um Leute geht, die gestorben sind oder um eine verlorene Liebe. Wenn ich dann selbst einen schlechten Tag habe und das auf der Bühne durchspielen muss, nimmt mich das gewaltig mit. Das hat aber den Vorteil, dass dadurch die Performance noch besser wird, weil diese Emotionen so richtig rausbrechen. Da wird die ganze Show viel energetischer.
Du kommst eigentlich aus dem Punk und Hardcore. Man kann sich kaum vorstellen, dass jemand, der musikalisch so sozialisiert ist, sein Seelenheil in dieser schweren Melancholie findet.
Kogler: Es gibt solche und solche Konzerte. Bei manchen Gigs habe ich eine gewisse Wut und dann fliegen die Sachen durch die Gegend. Es ist nicht so, dass ich mich auf der Bühne wenig bewege, aber das hängt natürlich von der Tagesverfassung ab. Wenn man auf Tour ist und nach drei Tagen saufen am vierten Tag herhängt, ist das normal. Am fünften Tag geht es dafür wieder voll los, das gehört dazu. Nicht jede Show kann gleich gut sein, auch wenn man das selbst gerne so hätte.
Sollak: Wenn man vor einem Konzert verkatert ist, ist das beim Gig aber wieder ausgeblendet, weil man voll in seinem Element ist. Man muss einfach das Adrenalin ausschütten. Es ist schlussendlich auch unser Job und seinen Job sollte man gut machen.
Jimbo, verknüpfst du in deinen Texten auch gesellschaftliche Strömung oder Dinge, die dich vom Weltgeschehen her beeinflussen? Oder geht es da rein ums Persönliche?
Kogler: Eher selten. Hauptsächlich geht es um mich und meine Problemchen. Vor sieben Jahren habe ich auf dem Album „Aokigahara“ mit dem Song „69 Dead Birds for Utøya“ eine kritische Auseinandersetzung über den Amoklauf von Breivik auf der norwegischen Insel geschrieben, was aber eher die Ausnahme war. Ich wurde 30, Freundschaften gehen auseinander, Beziehungen zerbrechen, man entfremdet sich von der Welt und geliebte Menschen sterben - darum geht es die meiste Zeit. Diese Themen stimmen mich dann selbst melancholisch und ich bin extrem sensibel, wenn sich zwischenmenschliche Beziehungen auflösen. Selbst wenn manche Leute nach Jahren der Freundschaft zu kompletten Idioten mutiert sind. Ich komme mit Abschieden schwer klar und das fließt auch stark in meine Texte ein. Der Entfremdungsgedanke ist in der Literatur allgemein nichts Neues.
Sensibilität ist etwas, das im Black-Metal-Kosmos für gemeinhin nicht besonders toleriert wird.
Sollak: Das war sehr lange so, aber das hat sich mittlerweile stark aufgeweicht.
Kogler: Bands wie Dornenreich, Nagelfar, Nocte Obducta oder Agrypnie sind schon seit Mitte der 90er-Jahre sensibler. Norweger und Schweden haben sich dahingehend eher zurückgehalten, sie haben eher böse und satanische Thematiken. Das ist bei uns nicht ganz so ausgeprägt. Es ist aber recht eindeutig, worum es uns geht und da müssen wir uns nicht verstellen. Da kommt bei mir auch das Hardcore-Kid raus, denn dort geht es um Persönliches und Schmerzhaftes. Wir haben von Placebo „Song To Say Goodbye“ gecovert und die Nummer geht inhaltlich auch in diese Richtung. Indie und Shoegaze sind auch wichtige Stilelemente bei uns.
Würdet ihr auch als Liveband gerne verstärkt in den Rock vorstoßen? Ein bisschen abkommen von den Metalfestivals und Paketen, in die ihr doch immer wieder gepackt werdet?
Sollak: Auf jeden Fall, das wäre sehr interessant und das würde großartig funktionieren. Eine gewisse Abwechslung ist für den Konzertbesucher auch gut, denn es müssen ja nicht drei Bands hintereinander blasten. Die Grenzen sind nicht mehr so streng gegeben und viele hören Metal und Rock. Man sollte viel öfter unterschiedliche Bands zusammen auf Tour schicken. Mit Britpop-Bands könnten wir sicher nicht spielen, aber experimentellere Zusammensetzungen von Tourplänen wären super. Mit Bands wie God Is An Astronaut zum Beispiel.
Kogler: Es ist in den letzten Jahren gängiger geworden, die Bands stärker durchzumischen. In der DIY-Szene haben ich im Wiener Venster zum Beispiel Crust-Bands mit Post-Rock-Bands gesehen, wo noch ein Singer/Songwriter dabei war. Das grundlegende Interesse für verschiedene Stile wird größer, weil die jüngeren Menschen auch viel offener und vielschichtiger werden. Ich finde das großartig und man merkt, dass es immer stärker live vorkommt.
Wäre so eine Spoken-Word-Tour im Akustikgewand auch was für dich, Jimbo? Zumindest deine Texte würden das durchaus anbieten und viele Punkrocker versuchen sich auch in diesem Segment.
Kogler: Es käme stark auf die Umsetzung an. Generell wäre ich dem nicht abgeneigt, aber ich habe wohl keine Zeit dafür - unter normalen Umständen. Wir spielen beide in anderen Bands und sind eigentlich ziemlich gut eingeteilt. Mit Harakiri For The Sky spielen wir ca. 60 Konzerte im Jahr, mit den anderen Bands vielleicht noch zehn und dann die ganzen Reisen. Dadurch, dass ich nicht ganz stabil bin, haben mir lange Touren sehr zugesetzt, aber jetzt würde ich auf der Stelle aufbrechen. Seit 2013 haben wir regelmäßig Auftritte quer durch Europa und wir hätten 2020 in den USA und Südamerika gespielt. Das ist ein Teil meines Lebensstils und ich habe das auch in meinen Texten verarbeitet. Ich habe das Schnelllebige in mir und bin seit Jahren mit einem Jutebeutel unterwegs, wo mein Laptop, Aspirin C und frische Unterhosen drinnen sind, damit ich spontan sein kann.
Ihr wart auch schon zweimal für den Amadeus nominiert. Welche Bedeutung hat das für eine Metalband wie eure?
Sollak: Reinsetzen werde ich mich nicht noch einmal. Diese halblustige Moderation durchzusitzen und zu schwitzen. Die Aftershowparty war ganz lustig, aber das war’s auch schon. Bis Mitternacht war immer alles gratis, aber das passiert draußen bei der Bar und du sitzt als Nominierter drinnen im Saal fest. (lacht) Mama und Papa freuen sich natürlich.
Kogler: Bei unserer ersten Nominierung hat mein Vater erstmals realisiert, dass der Bub nicht nur herumschreit, sondern das Ganze auch etwas Greifbares ist. (lacht)
Live in Wien
Die Release-Show für das neue Album von Harakiri For The Sky ist noch für 8. Mai 2021 im Wiener WUK geplant. Ob der Termin, der bereits mehrfach verschoben wurde, halten kann, werden die nächsten Corona-Restriktionen weisen...
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