Zweimal Gold in den Speed-Disziplinen: Das macht „Vinc“, wie er im Weltcup-Zirkus genannt wird, zum neuen Ski-Helden der Nation. Mit der „Krone“ spricht er über Erfolgsrezepte, Gänsehautmomente und seine Wurzeln auf dem elterlichen Bauernhof in Gramastetten.
Freitagmittag, er sitzt gerade vor dem Fernseher und schaut Ski-Cross auf ORF 1, als er den „Krone“-Anruf am Handy entgegennimmt. „Weltcup-Rennen auf der Reiteralm“, erklärt Vincent Kriechmayr, „da bin ich dabei und drücke meinen Kollegen die Daumen.“ Und nebenbei gibt er ein Interview. Dem 29-Jährigen ist etwas gelungen, was vor ihm nur Hermann Maier und Bode Miller geschafft haben: Er hat bei der Ski-WM in Cortina d’Ampezzo das „Speed-Double“ geholt. Seine Wohnung in Obertauern liegt am Fuß der tief verschneiten Großen Kesselspitze (2361 Meter), hier absolviert Österreichs neuer Ski-Held ein Konditionstraining und bereitet sich unter den strengen Covid-Auflagen des ÖSV auf die nächsten Bewerbe vor. Ein persönliches Treffen ist deshalb nicht möglich.
„Krone“: Doppelweltmeister, Gold im Super-G und in der Abfahrt, schnellster Skifahrer der Welt: Wie klingt das in Ihren Ohren?
Vincent Kriechmayr: Sehr, sehr schön. Wobei das natürlich eine Momentaufnahme ist. Bei diesen Rennen war ich der Schnellste weltweit, einige Rennen zuvor war das nicht der Fall. Aber natürlich ist es ein großer Erfolg, und für einen Sportler stehen Erfolge an erster Stelle. Ich habe ja auch sehr hart trainiert dafür. Aber spätestens wenn ich nach Hause komme, zu meinen Liebsten, weiß ich, was wirklich wichtig ist.
Das klingt nicht nach Höhenflug.
Höhenflüge sind nicht so meins, ich bleibe lieber am Boden. Eine richtige Euphorie hat sich deshalb noch nicht breitgemacht, vielleicht kommt das noch.
Ihr Nachname suggeriert eher Langsamkeit. Müssen Sie sich da oft Witzchen anhören?
Nein, das gefällt nur den Medien. Es ist nur ein Name. Und ich hätte es schlimmer erwischen können. - Lacht.
Sie sind in Gramastetten aufgewachsen, wo es weit und breit keine Berge gibt. Wie wird ein „Flachwurzler“ so ein Weltklasse-Skifahrer?
Stimmt, ich bin ein Flachländler, meine Wurzeln sind definitiv im Mühlviertel. Aber mein Vater war Skilehrer hier in Obertauern, wo er auch meine Mutter kennengelernt hat, die aus Bornem in Belgien stammt. Und so habe ich einen Großteil meiner Kindheit hier oben verbracht.
ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel und auch Ihre Trainer haben Ihnen schon vor Jahren Seriensiege vorausgesagt. Wie wurden Sie gerade jetzt zum schnellsten Mann der Welt?
Ich würde mich nicht als Seriensieger bezeichnen, Seriensieger sind für mich Marcel Hirscher oder Benni Raich. Warum gerade jetzt? Da spielen einige Umstände mit. Man sagt ja, Sieger werden im Sommer geboren. Ich versuche schon seit vielen Jahren mein Sommertraining zu perfektionieren um das Optimum herauszuholen. Dazu kommt mein Umfeld. Gute Trainer, gutes Material, ein Servicemann, mit dem ich mich sehr gut verstehe. Die Summe macht es aus.
Auch Glück?
Im letzten Rennen hat eine Hundertstelsekunde entschieden, natürlich ist das Glück. Ich hatte auch das Glück, in meiner ganzen Karriere verletzungsfrei zu bleiben.
Wem sind Sie dafür dankbar?
Das ist eine schwierige Frage. In erster Linie meinen Eltern. Sie haben mich immer zum Sport animiert, aber nicht nur zum Skifahren. Ich habe auch Fußball gespielt und mit meinen Geschwistern und Cousins viel Blödsinn gemacht. Wenn man monoton trainiert, ist die Gefahr sehr groß, dass man in einigen Dingen sehr gut wird, aber viele andere Dinge, die auch wichtig sind, nicht beherrscht. Ich habe durch die Vielseitigkeit der Bewegung meinen Körper gut kennengelernt, was mir im Skisport zugutekommt. Da geht es nicht nur um Schnelligkeit, Kraft, Ausdauer, Geschicklichkeit, sondern auch um Instinkt.
Ist dieser Instinkt eine innere Stimme oder ein Bauchgefühl?
Ich glaube, eher Letzteres. Gerade in brenzligen Situationen ist Instinkt das Wichtigste. Er hilft dir, die richtigen Bewegungen zu machen, die Geschwindigkeit zu spüren, nicht zu stürzen.
Was sagt Ihr Instinkt in diesem Moment?
Dass auch der schnellste Mann der Welt noch schneller werden kann. Im Skisport gibt es nie die perfekte Leistung. Es geht immer noch mehr.
Ist die Geschwindigkeit ein Rausch oder ein Mittel zum Zweck?
Beim Fahren bin ich so fokussiert, dass ich mich wie in einem Tunnel fühle, ich höre die Zuschauer zum Beispiel nur am Start und dann wieder beim Abschwingen. Die Geschwindigkeit aber, die nehme ich in jeder Sekunde wahr, ich weiß, ob ich schnell oder langsam bin. Aber es ist kein Rausch.
Und der Sieg?
Da spürt man dann das Adrenalin, da geht es um die Gefühle, die man in dem Moment hat. Die sind viel schöner als der Gedanke, ein Rennen gewonnen zu haben.
Ihre zwei Goldmedaillen haben Sie mit Maske und ohne Publikum entgegengenommen. Hätte sich der Sieg mit Zuschauern schöner angefühlt?
Definitiv! Der Gänsehautmoment, in dem zigtausend Menschen sich mit dir freuen und die Hymne singen, der fehlt. Das ist sehr schade.
Sind Sie, was Corona betrifft, eher Optimist oder Pessimist?
Ich denke, es ist eine schwierige Situation, aber wir dürfen uns von Corona nicht einnehmen lassen. Man soll halt auf sich und sein Umfeld schauen. Ist ja nicht so tragisch, dass man eine Maske tragen muss, ich fühle mich dadurch nicht eingeschränkt. Oder wenn ich mir die Hände wasche. Das hat sich schon früher gehört. Insgesamt bin ich optimistisch, konzentriere mich aber voll auf den Sport. Ich schau mir auch vor einem Rennen nie den Wetterbericht an. Ich kann es eh nicht ändern. Man muss es nehmen, wie es kommt. Das Wetter und Corona.
Ihre Eltern haben Sie nach einem Maler getauft. Mögen Sie Vincent van Gogh?
Ich muss gestehen, ich kenne fast keines von seinen Gemälden und bin auch kein Kunstliebhaber. Meinen Vornamen trage ich, wenn man so will, unverdient. - Lacht.
Wo sehen Sie sich in 21 Jahren?
Da bin ich 50. Hm. Ich hoffe, dass ich bis dahin mein Leben genossen habe und glücklich war. Das ist das Wichtigste. Glücklich zu sein mit einer Family.
Was fehlt Ihnen noch zum Glück?
Gar nichts. Alle Menschen, die ich liebe, sind gesund. Uns geht es gut. Ich tue das, was ich gerne tue, mit großer Leidenschaft. Mehr brauche ich nicht.
So glücklich ist der Doppelweltmeister?
Die Antwort hätte ich auch vor einer Woche gegeben. Und wenn ich irgendwann aufhören sollte mit dem Skisport, weil ich nicht mehr erfolgreich war, dann wird es genau dieselbe sein.
Kriechmayrs Zwillingsbruder ist Bauer
Geboren am 1. Oktober 1991 in Linz, aufgewachsen in Gramastetten (OÖ). Er hat einen fünf Minuten jüngeren Zwillingsbruder, Rafael, der den elterlichen Bauernhof führt, und eine zwei Jahre ältere Schwester, Jacoba - sie ist in der Freeriding-Szene aktiv. Vincent besucht die Skihauptschule Windischgarsten, mit 15 fährt er sein erstes Rennen. Erster Sieg 2017 im Super-G von Beaver Creek. Bei der WM in Cortina holt Kriechmayr zweimal Gold. Privat lebt er mit der Skirennläuferin Michaela Heider in Obertauern (Salzburg).
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