„Dringend nötig“
Weltfrieden durch die Corona-Pandemie?
Die UNO stößt erneut eine Debatte über eine globale Waffenruhe zur Bekämpfung der Krise an. Wie steht es um die Kriege auf der Welt? Für Bundespräsident Alexander Van der Bellen wäre ein Schweigen der Waffen „dringend nötig“.
Weltfrieden. Eine Vorstellung, die erst Realität wird, wenn wir „die Erde selbst als unsere gemeinsame Grenze anerkennen und dafür sorgen, dass sich auf ihr in Recht und Freiheit leben lässt“, wie der Philosoph Immanuel Kant in seinem Werk „Zum ewigen Frieden“ schreibt. Die UNO, von ihrem Selbstverständnis her die höchste Instanz in Sachen Weltfrieden, hat durch Generalsekretär António Guterres erneut eine Debatte angestoßen. Eine globale Waffenruhe, um der innerhalb „unserer gemeinsamen Grenze“ wütenden Pandemie Herr zu werden.
Nicht Krieg hat Pandemie gebracht
Weder während der Pest noch zu Zeiten der Pocken oder der Spanischen Grippe schwiegen die Waffen. Ganz im Gegenteil, war doch die Verbreitung von Seuchen immanenter Bestandteil von Kriegen. „Das Coronavirus hat sich ganz ohne die Begleitung von Krieg und Hunger verbreitet. Es ist es ein Paradoxon: Nicht der Krieg brachte die Pandemie. Sondern wirtschaftliche Verflechtungen, Tourismus und eine sorglose Gesellschaft“, schreibt der deutsche Theoretiker Herfried Münkler.
20.000 Tote trotz Waffenruhe im März
Im März 2020 rief der UNO-Sicherheitsrat eine globale Waffenruhe für 90 Tage aus. „Die Signale aus Konfliktregionen waren positiv“, sagt der Friedensforscher Max Lakitsch von der Uni Graz. „Dennoch fielen in diesem Zeitraum weltweit 20.000 Menschen bewaffneten Konflikten zum Opfer.“ Laut dem globalen Friedensindex (siehe Grafik unten) hat sich weltweit die Situation trotz Corona nicht unbedingt verbessert. In 80 Staaten der Welt verschlechterte sich die Lage, 81 konnten Fortschritte erzielen. Erstmals seit fünf Jahren stiegen aber die globalen Militärausgaben wieder an. Neben Island stehen Neuseeland, Österreich, Portugal und Dänemark an der Spitze des Friedensindex. Afghanistan ist zum zweiten Mal in Folge das am wenigsten friedliche Land der Welt.
Für Weltfrieden bräuchte es eine globale Ethik
„Wir erleben in Europa einen viel größeren Bruch mit der Normalität als beispielsweise in Ländern wie dem Irak, Syrien, Somalia oder der Demokratischen Republik Kongo. In vielen Ländern ist Corona bloß ein Problem von vielen“, analysiert Experte Lakitsch im „Krone“-Gespräch.
Wolfgang Dietrich, Friedensforscher an der Universität Innsbruck, ergänzt: „Wer den Tod anderer durch Waffengewalt in Kauf nimmt oder zum Ziel hat, lässt sich durch eine Pandemie nicht aufhalten.“ Grundvoraussetzung für einen Weltfrieden wäre eine globale Ethik.
Viele kleine Frieden - täglich neu erkämpft
Das hat seine guten, aber auch seine mühsamen Seiten. Dietrich sieht es positiv, dass es „im Völkerrecht keine ultimative Zentralgewalt gibt“. UNO-Generalsekretär Guterres hat mit seinem Vorstoß zwar den Sicherheitsrat in Bedrängnis gebracht, am Ende ist es aber nur eine Empfehlung.
„Sollten die Entscheidungen der UNO mehr Gewicht haben?“, fragt Lakitsch. „Wie kann die UNO von New York aus die Situation in Afghanistan richtig einschätzen, wenn ihre Mitarbeiter vor Ort in gepanzerten Behausungen leben und diese ausschließlich in gepanzerten Autos in Begleitung schwer bewaffneter Soldaten verlassen? Diese verzerrte Wahrnehmung kann schnell zu fatalen Entscheidungen am anderen Ende der Welt führen, wenn militärische Interventionen beschlossen werden.“
Die Geschichte hat uns also viel Pessimismus gelehrt. Wie hoch stehen die Chancen auf den Weltfrieden? „Ich glaube nicht an ,den‘ Weltfrieden“, sagt Experte Dietrich. „Aber an viele kleine Frieden auf der Welt, die jeden Tag neu verhandelt und erkämpft werden müssen.“
„Die Entwicklung ist besorgniserregend“
Bundespräsident Alexander Van der Bellen unterstützt auf „Krone“-Anfrage den Aufruf der UNO zu einer globalen Waffenruhe während der Corona-Pandemie. „Das habe ich Generalsekretär António Guterres vor Kurzem bei unserem Telefongespräch zugesagt. Leider hat die Corona-Pandemie bisher nicht zu einer Entschärfung der zahlreichen weltweit schwelenden Konflikte beigetragen. Die Entwicklungen in vielen Gebieten der Welt - im Jemen, in Libyen, in der Sahel-Region, in Äthiopien - sind besorgniserregend. Eine Waffenruhe wäre dringend notwendig.“
Die Bereitschaft in einigen Konfliktregionen war im März 2020 da. Ein Frieden nach dem anderen.
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