Rund 60.000 Menschen sind in der Nachtgastronomie tätig. Sie sind seit einem Jahr ohne Arbeit - und ohne Perspektive. Das ist nicht nur schlecht für die Wirtschaft, sondern auch für die Seele.
Der Taxifahrer, der Würstelstandinhaber, der Tontechniker, der Lichttechniker, der Türsteher, der Barkeeper, der Künstler, die Vermittlungsagentur, der Lieferant, die Reinigungskraft - sie alle und mehr hängen an den 2900 Nachtgastronomen in Österreich.
Fehlende Perspektiven
„Wir sind vielleicht nicht system-, aber wir sind freuderelevant“, sagte ein Berliner Clubbetreiber zu Beginn der Krise. Seither sind zwölf Monate vergangen. Statt Freude ist in der Bevölkerung ein „Grundgrant“ eingezogen, wie Stefan Ratzenberger, Sprecher des Verbands der Nachtgastronomen (VÖNG), sagt.
Das mag an verwirrenden Verordnungen liegen - aber auch an fehlenden Perspektiven, glaubt Ratzenberger. Die betreffen vor allem die Nachtgastronomen, die trotz vielfältiger Konzepte noch nicht mal einen Lichtschimmer am Ende des Tunnels sehen.
Wenn wir keine eigene Sparte bekommen, dann ist es ganz vorbei, dann sind 60 Prozent Insolvente noch tief angesetzt.
Martin Fritz, Bollwerk Gruppe, neun Lokale
„Viele können sich das Zusperren nicht leisten“
„Ich glaube nicht daran, dass wir heuer noch aufsperren dürfen“, sagt Gregor Imhof, Betreiber eines kleinen Clubs in Wien. Branchenkollege Martin Fritz findet den Oktober realistisch - aber natürlich mit Auflagen. „Dass um 6 Uhr morgens jemand nach einer durchtanzten Nacht aus einem Club kommt, das wird vor Frühling 2022 wohl nicht passieren“, schätzt Ratzenberger.
Wir sind systemrelevant - für die Psychohygiene. Die Leute hüpfen nicht nur in einem Keller rum - es ist ein Ausgleich und Kultur.
Gregor Imhof, Sass Music Club Wien
Kurzarbeit greift oft nicht
Nur wer ist bis dahin noch da? Die Gastronomen haben laufende Kosten bei null Einnahmen. „Viele können sich das Zusperren gerade gar nicht leisten“, sagt Sebastian Schatz, Geschäftspartner von Imhof. Denn die Förderungen hängen an der Kurzarbeit, lässt man die auf, muss Zeit bis zum Zusperren überbrückt werden. Das sei nach einem Jahr ohne Einkommen selbst bei gesunden Betrieben schwierig. Für andere greift die Kurzarbeit gar nicht. „Ich kann keine Arbeit erfinden, wenn geschlossen ist“, sagt Imhof.
Ich habe 150 Mitarbeiter in Kurzarbeit und null Einkommen, ich muss das alles vorfinanzieren. Es dauert, bis Hilfen da sind.
Franz Aibler, sechs Lokale in Wien
Selbst wenn wir jemals wieder aufsperren dürfen, können wir bei 60 Prozent Kapazitätsgrenze niemals kostendeckend arbeiten.
Stefan Süß, sechs Discos, drei Restaurants
Viele können sich das Zusperren nicht leisten. Die, die es tun, sind nicht die Spitze des Eisbergs, sondern das Gipfelkreuz.
Sebastian Schatz, Sass Music Club Wien
„60 Prozent Insolvente noch tief angesetzt“
Der VÖNG fordert deshalb unter anderem eine eigene rechtliche Definition der Nachtgastronomie im Rahmen der Tourismusbetriebe, um adäquat auf deren Nöte reagieren zu können. „Wenn das nicht kommt, dann sind 60 Prozent Insolvente noch tief angesetzt“, prophezeit Fritz.
Dabei bedeute Clubkultur eben nicht, „nur in einem Keller rumzuhüpfen“, sagt Imhof. Es sei ein Ausgleich, es diene der Psychohygiene - und auch die Anziehungskraft einer Stadt hänge unter anderem davon ab. Alleine in Wien beträgt die Wertschöpfung der rund 700 Nachtgastronomen jährlich eine Milliarde Euro.
Schrittweise und sicher in Richtung Aufsperren
Ideen, wie sicher gefeiert werden kann, gebe es genug. Durch Luftfilteranlagen, Registrierung der Gäste und mögliches Contact Tracing sicherer als im privaten Bereich, sind sich die Gastronomen sicher. „Testen, testen, testen“ werde die Strategie sein, sagt Ratzenberger.
Die Kontrolle sei durch die Türsteher ohnehin da. Prominente Unterstützung kommt aus Deutschland. Der Rapper Smudo von den Fantastischen Vier hat mit weiteren Kulturschaffenden eine Corona-App entwickelt, mit der sich eine Registrierungspflicht in Lokalen digital abwickeln lässt.
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