„Care Leaver“ sind Kinder und Jugendliche, die in Wohngemeinschaften außerhalb ihrer Ursprungsfamilie aufgewachsen sind. Ihre Eltern sind drogenabhängig, gewalttätig, psychisch krank oder aus anderen Gründen nicht fähig, ihnen ein sicheres Zuhause zu bieten. Mit der Volljährigkeit werden diese Kinder von einem Tag auf den anderen in die Selbstständigkeit entlassen. Wo andere junge Erwachsene sich langsam, Schritt für Schritt lösen, hier und da zuhause essen und vielleicht auch noch finanzielle Unterstützung erhalten, müssen „Care Leaver“ plötzlich auf eigenen Beinen stehen. Petra Gabler ist selbst Betroffene und setzt sich jetzt für andere junge Erwachsene in derselben Situation ein. Sie hat gemeinsam mit dem Sozialpädagogen Peter Sarto bei „Nachgefragt“ mit krone.tv-Journalistin Damita Pressl gesprochen.
„Durchschnittlich ziehen junge Erwachsene zwischen 24 und 26 aus“, erklärt Sarto. Viele kommen auch für eine Zeit wieder zu den Eltern zurück. „Wenn das eigene Kind nach einem Beziehungsende mit 18, 19, oder 20 vor der Türe steht, dann macht man auf, nimmt das Kind in den Arm und quartiert es wieder im Kinderzimmer ein. Und es gibt Milch mit Honig und eine Wärmeflasche. Das gibt es für die Kinder, die unter den traurigsten Umständen aufgewachsen sind, nicht.“
Gabler hatte Glück. „Ich persönlich hatte eine sehr schöne Kindheit“, erzählt sie. Sie ist in Wien geboren, aber in einer Wohngemeinschaft im Burgenland aufgewachsen. Dort fühlte sie sich geborgen, ihre Talente wurden gefördert und es standen ihr alle Möglichkeiten offen. In den Wohngemeinschaften dürfen Kinder bis 18 bleiben, eine Verlängerung müssen sie erst beantragen. „Das gibt einem selber nicht das beste Gefühl“, erinnert sich Gabler. „Andere haben sich auf die Matura und die Maturareise konzentriert, und ich habe mir nur gedacht, ich hoffe, dass der Antrag genehmigt wird und dass ich weiterhin Unterstützung erhalte. Bei mir wurde es auch nur um insgesamt ein Jahr verlängert“.
Jede Hilfe, die sie darüber hinaus erhielt, wurde privat organisiert. Inzwischen hat Gabler ein Wirtschaftsstudium abgeschlossen und arbeitet als Einkäuferin. Dass das reines Glück und nur aufgrund des privaten Wohlwollens ihrer Betreuerinnen möglich war, ist Gabler schmerzhaft bewusst. Dass sie eine günstige Starter-Wohnung bekam, hier und da auch noch finanzielle Unterstützung, „das war dann alles ehrenamtlich. Das hat nicht jeder. Das ist eine Ausnahme und keine Selbstverständlichkeit“.
Keine Chancengleichheit für die Schwächsten
So sieht das auch Sarto: „Da kann man ein riesengroßes Glück haben wie die Petra, aber nicht allen Kindern geht es so gut. Wir kennen viele, bei denen die Verselbständigung und die Übergänge nicht funktionieren. Da landen Kinder zum Teil mit 20 in der Obdachlosigkeit.“ Das Thema gebe es schon sehr lange. „Alle reden von Chancengleichheit. Aber die gibt es für die vulnerabelsten aller Gruppen nicht“.
Warum hier kein Fortschritt stattfindet, versteht Sarto nicht: „Selbst, wenn man es einfach durchrechnet - es würde sich absolut auszahlen. Gar nicht nur menschlich, sondern auch finanziell. Viele junge Menschen werden dann obdachlos, chronisch psychisch krank, schaffen es nicht, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.“ Und es sind österreichweit nur rund 13.000 Kinder, die in Fremdunterbringung leben, in Wien sind es rund 4000. „Dieses Thema betrifft nicht allzu viele Menschen. Das ist eine sehr kleine Zahl. Deshalb ist es auch aus unserer Sicht nicht verständlich, warum man da nicht mehr hineininvestieren kann.“
Gabler hat 2019 den Verein „Care Leaver Österreich“ gegründet, um Betroffenen eine Stimme zu geben. „Das Wichtigste war, eine Interessensgemeinschaft zu haben und ein Netzwerk aufzubauen, in dem man sich untereinander austauschen kann und die Unterstützung holen kann, die man im Moment rechtlich nicht bekommt.“ Das langfristige Vereinsziel ist es, eine Rechtsgrundlage dafür zu schaffen, dass fremduntergebrachte Kinder und Jugendliche bis zum 24. Lebensjahr Anspruch auf Unterstützung haben. Der Verein kann durch Spenden unterstützt werden.
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