10 Jahre Krieg
Syrien: Die Katastrophe mit dem langen Atem
Zehn Jahre Krieg, 600.000 Tote, zehn Prozent davon Kinder. Die Hälfte der Bevölkerung auf der Flucht. Und ein Ende des Syrien-Konflikts ist nicht in Sicht. „Das ist keine klassische humanitäre Hilfe mehr“, sagt der Caritas-Generalsekretär für die Auslandshilfe, Andreas Knapp, im „Krone“-Gespräch. „Wir brauchen einen langen Atem.“
Am 15. März 2011 erreichte der arabische Frühling auch Syrien. Die Proteste gegen Diktator Baschar al-Assad nahmen an Fahrt auf. Doch das Regime schlug zurück, dadurch radikalisierte sich die Opposition. Konfessionelle Spannung taten ihr übriges. Nutznießer war der Islamische Staat, der große Gebiete im Osten des Landes erobern konnte. „Der militärische Konflikt hat sich an verschiedenen Fronten ein bisschen beruhigt“, sagt Knapp.
„Jetzt sieht man das wahre Ausmaß der Katastrophe“
Zu Ende ist er nicht. Assad hat ein Großteil des Staatsgebiets wieder unter Kontrolle. Das ermöglichte den Hilfsorganisationen das Vordringen in Gebiete, die zuvor nicht begehbar waren: „Da sieht man jetzt das wahre Ausmaß der Katastrophe“, erzählt Knapp. Es fehlt an Basisinfrastruktur. Wer Aleppo gesehen hat, glaubte zunächst nicht, dass dort jemals wieder ein Mensch leben könnte, „im Sinne von Bewohnbarkeit und Leben“. Aber nach einem Jahr sind dann doch Leute wieder zurückgekehrt. „In diesem Wirrwarr von Zerstörung wurde die Basisinfrastruktur wie Wasserversorgung wieder hergestellt.“
Gefahr der Instrumentalisierung
Es sind vor allem diese Gebiete, die früher länger von oppositionellen Milizen belagert wurden und kontrolliert wurden, die 2018 durch Schlussoffensiven der Assad-Armee und seiner Alliierten zurückerobert wurden. Vereinzelt - wie in der Region Idlib - verschanzen sich noch islamistische Terrorgruppen, anderswo Anti-Assad-Rebellen. Die Grundversorgung und Infrastruktur muss neu aufgebaut werden. Und das geht auch in Syrien oft nur mit staatlicher Hilfe. „Das war die Herausforderung, auch da eine ganz klare Linie zu haben, wo hört humanitäre Hilfe auf, weil natürlich musste man auch vermeiden, dass diese Hilfe nicht vom Assad-Regime politisch instrumentalisiert wird, dass er sozusagen versucht, sich über diese internationale Hilfe zu legitimieren.“
Verlorene Generation wächst heran
Mitunter fällt es auch Hilfsorganisationen schwer, die Unparteilichkeit zu wahren, gibt Knapp zu, der auch in der Region Ost-Guta war, wo Assad mutmaßlich Giftgas eingesetzt hat. Eine politische Frage. Für die Hilfsorganisationen zählt der Mensch. In Ost-Guta erlebt Knapp auch etwas Imposantes. 40.000 Menschen sind aus der Region geflüchtet. „Am zweiten Tag, als die Leute noch alle am schmutzigen, staubigen Betonboden geschlafen haben, in improvisierten Lagerhallen, haben sie sich schon organisiert, damit sie ihre Kinder wieder unterrichten können.“
Denn nach zehn Jahren Krieg und keinem Ende in Sicht droht in Syrien und in den Flüchtlingslagern eine verlorene Generation heranzuwachsen. „Es ist traurig“, sagt Knapp. „Sie haben wenig Perspektive und sind für Propaganda leichter empfänglich. Das kann zu Instabilität beitragen. Das erzeugt Frustration, die eventuell wieder in Gewalt enden kann.“ Von den 21 Millionen Einwohnern Syriens, sind mehr als die Hälfte auf der Flucht. Mehr als sechs Millionen mussten innerhalb Syriens vor Gewalt ihr Zuhause verlassen. 5,6 Millionen leben in Nachbarländern Syriens wie Jordanien und dem Libanon. Dort stößt man an seine Grenzen. Nicht nur durch Corona, sondern beispielsweise die verheerende Explosion im Hafen von Beirut am 4. August letzten Jahres. 300.000 Menschen verloren ihre Heimat.
24,8 Millionen Euro aus Österreich
„Der Hauptgrund für die Flucht nach Europa der jungen Männer war, nicht in die Armee einzuziehen. Für die Eltern war der Grund, nach Europa zu flüchten, die Zukunft ihrer Kinder. Die Heimat zerstört, und keine Perspektive mehr. Das ist für mich nachvollziehbar.“ Im Juli vergangenen Jahres hatte ein russisches Veto im Sicherheitsrat zu einer drastischen Reduzierung der humanitären Grenzübergänge nach Syrien geführt. Seither gibt es nur noch einen solchen Korridor, der die Lieferung humanitärer Güter ohne eine Genehmigung durch Damaskus ermöglicht. „Der Zugang war unser Hauptproblem“, sagt auch Knapp. Unter UN-Flagge oder Rot-Kreuz-Flagge war es dann oft möglich, Hilfsgüter zu verteilen, aber das „ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein“. Seit Kriegsbeginn hat die Caritas Österreich mehr als 24,8 Millionen Euro für die humanitäre Hilfe im Nahen Osten aufgewendet. Eine Verbesserung ist nicht in Sicht. Knapp: „Wir brauchen einen langen Atem.“
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