Schulschließungen und Lockdowns zeigen ihre Folgen auch auf der Waage. Die Jugend legte überdurchschnittlich viele Kilos zu. Die „Krone“ auf der Suche nach Gründen und Lösungen sowie im Gespräch mit Ernährungsmediziner Prof. Dr. Kurt Widhalm und Gerald Martens, Präsident des Österreichischen Basketball-Verbandes.
Auf unseren Nachwuchs kommen gewichtige Probleme zu! Durch die Monate der Pandemie und vor allem der Lockdowns konnte eine bedenkliche Steigerung des Körpergewichts festgestellt werden. Diese betrug im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit rund 60 Prozent!
Die neuesten Untersuchungen zeigen das ungesunde Ausmaß ganz deutlich: Die Zahlen der Projektstudie EDDY-Kids des Österreichischen Akademischen Instituts für Ernährungsmedizin (ÖAIE) bewiesen, dass Kinder im Jahr 2020 während eines sechsmonatigen Beobachtungszeitraums durchschnittlich um 4,5 Kilogramm zulegten. Zum Vergleich: Die Erhebung im Jahr 2019 ergab eine Gewichtszunahme von 2,61 bis 2,85 Kilogramm.
Die Gründe dafür sind vielfältig (siehe Interview unten). Für die Experten beweisen die Daten, dass sich vor allem die Zeit des Homeschoolings negativ auf das Körpergewicht der Kinder ausgewirkt hat. Aus den Ergebnissen kann abgelesen werden, dass geschlossene Schulen zu einem Anwachsen der Leibesfülle bei den Schülern führen.
Neben mangelnder Bewegung - Sportangebote in Schulen und Vereinen und sogar der Schulweg entfielen - stellte ein weiteres großes Problem die vermehrte Mediennutzung dar. Die jungen Menschen saßen dadurch täglich deutlich länger faktisch bewegungslos vor dem Computer. Die deutsche JIM-Studie 2020 (Jugend, Information, Medien) befragte Kinder und Jugendliche zu ihren Mediennutzungszeiten während Corona. Die tägliche Zeit im Internet stieg von 205 Minuten im Jahr 2019 auf 258 Minuten im vergangenen Jahr. Österreichische Kinder kommen wahrscheinlich auf ähnliche Werte.
Der ganze Körper nimmt langfristig Schaden
Übergewicht trägt nicht nur zu Herz-Kreislauf-Leiden oder Diabetes selbst bei Jungen bei, wie bei Erwachsenen scheint Adipositas bei Kindern sogar die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung einer schweren Form von Covid-19 erheblich zu erhöhen. Zu dieser Erkenntnis kamen jüngst amerikanische Forscher.
Es tritt aber nicht nur Fettleibigkeit auf, die regungslose Haltung und das Starren auf den Monitor beeinträchtigen den ganzen Körper. Gelenke und Knochen brauchen gerade in jungen Jahren zahlreiche Belastungsreize. Diese Versäumnisse lassen sich später kaum mehr aufholen.
Mehr Süßigkeiten, weniger Bewegung
Die „Krone“ befragte dazu Prof. Dr. Kurt Widhalm, Österreichisches Akademisches Institut für Ernährungsmedizin, Wien.
„Krone“: Weiß man eigentlich, was die Kinder beim Homeschooling essen?
Kurt Widhalm: Leider gibt es dazu keine genauen Daten, weil diese ja zu Hause nicht erhoben werden konnten. Aber es wurde eindeutig zu viel gegessen, sonst wäre das Gewicht der Sprösslinge nicht so deutlich angestiegen.
Welche Gründe stecken dahinter?
Der Nachwuchs saß im Lockdown noch mehr Stunden vor dem PC. Es fanden auch keine Turnstunden statt, was die Situation weiter verschlimmerte. Außerdem sind Lebensmittel zu Hause jederzeit verfügbar, der Kühlschrank ist oft nur ein paar Schritte entfernt. Dadurch wurden wahrscheinlich mehr Süßigkeiten und gesüßte Getränke konsumiert.
Was kann man tun?
Die Zeit des Homeschoolings hat sich eindeutig negativ auf das Gewicht der Kinder ausgewirkt. Deshalb sollten für den jetzigen und künftigen Online-Unterricht unbedingt Trainingseinheiten angeboten werden. Wenn Eltern bei ihrem Sprössling eine deutliche Gewichtszunahme erkennen, unbedingt einen Arzt aufsuchen, um frühzeitig gegen Fettleibigkeit anzukämpfen. Denn häufig bleiben übergewichtige Kinder auch im Erwachsenenalter zu dick und entwickeln viele Krankheiten, wie etwa Herz-Kreislauf-Leiden oder Diabetes.
„Flucht in virtuelle Welt“
Computerspiel statt Sportplatz, kreierter Superheld statt echtes Muskeltraining - Gerald Martens, Präsident des Österreichischen Basketball-Verbandes, befürchtet Langzeitschäden.
Seit Montag dürfen Kinder in Österreich wieder im Verein Sport betreiben - im Freien und ohne Körperkontakt.
Ein Minischritt in Richtung „Bewegungsnormalität“ und längst überfällig, wenn es nach Gerald Martens geht. Martens sorgte zuletzt für Aufsehen, als er in einem offenen Brief Gesundheitsminister Rudolf Anschober mit einer Anzeige wegen Körperverletzung drohte, weil dieser Kindern den Vereinssport untersagte.
„Das Spielverbot macht so viel kaputt, was für die gesunde Entwicklung von Kindern notwendig ist“, sagt der 55-Jährige. „Die Gewichtszunahme ist nur der offen sichtbare Teil davon. Verloren gehen aber auch soziale Kompetenzen wie die Teamfähigkeit.“
Die Corona-Pandemie drängt Kinder und Jugendliche in die Isolation. Überall, wo sie hinkommen, heißt es Abstand halten! Was sich auf das Freizeitverhalten junger Menschen auswirkt: „Viele flüchten in eine virtuelle Welt, sitzen stundenlang vor den Bildschirmen. Die Kinder kreieren sich dort das, was ihnen im richtigen Leben in der Pandemie verwehrt bleibt“, so Martens, „sie erschaffen sich selbst als wunderschöne, superstarke Alter Egos, während sie in der Realität vereinsamen und körperlich verfallen. So werden wir zu einer Gesellschaft der Avatare“, warnt der Sportfunktionär und fordert, dass Kinder wieder Matches gegeneinander spielen dürfen.
Martens: „Sport kann jetzt nicht nur dabei helfen, schädliches Übergewicht zu reduzieren. Er kann die Menschen wieder zusammenführen. Das ist immens wichtig, denn die enormen physischen und vor allem die psychischen Folgen der Krise werden die junge Generation noch lange begleiten.“
Eva Greil-Schähs, Karin Rohrer-Schausberger, Regina Modl, Anja Richter, Kronen Zeitung
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