Verschwörungstheorien schüren Ängste und radikalisieren. Und: Sie beeinflussen unser Verhalten - auch wenn wir nicht an sie glauben.
Ein Jahr Pandemie. Nichts ist mehr, wie es war. Alle sind müde. Ängste und Sorgen dominieren. „Das zehrt natürlich am Nervenkostüm“, sagte Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) am Dienstag. Und es ist ein hervorragender Nährboden für allerlei Verschwörungstheorien. Die meisten seien gegen Mitte bis Ende des Vorjahres aufgetaucht, schildert Andre Wolf vom Verein „Mimikama“, der sich seit zehn Jahren der Aufklärung von Internet-Mythen und Falschmeldungen widmet – und sie würden durchaus die Gefühlslage der Menschen widerspiegeln.
Wir müssen aufpassen, dass die bewusst gestreuten Mythen nicht die Radikalisierung vorantreiben.
Andre Wolf, Verein Mimikama
Mythen spielen sich jenseits der Faktenebene ab
Dass wiederum erschwere die Aufklärung, weil „sich Verschwörungsmythen jenseits der Faktenebene abspielen.“ Doch je mehr Ängste geschürt werden, desto stärker wird auch die Radikalisierung. Stichwort: Demonstrationen – und steigende Gewaltbereitschaft. Dabei gibt es natürlich viele durchaus berechtigte Ängste, „die darf man auch nicht abtun“, betont Wolf. Und: Nicht jede Kritik ist eine Verschwörungstheorie. Umso wichtiger ist es, „Falschmeldungen und reale Meldungen unterscheiden zu können“. Das ist in Zeiten des Internets aber gar nicht so einfach.
Demokratie nimmt dadurch Schaden
„Gerade junge Menschen wollen deshalb mehr Medienkompetenz erlernen und wissenschaftliche Erkenntnisse verstehen“, erklärt Daniela Ingruber, Demokratie-Forscherin beim Austrian Democracy Lab: „Denn viele haben Angst vor einem Kontrollverlust und fürchten sich, Propaganda zum Opfer zu fallen“, so Ingruber. Verschwörungsmythen würden nach einer Krise normalerweise zurückgehen, „der Demokratie wird aber dadurch längerfristig geschadet“.
Aber nicht nur das: „Werden wir mit Verschwörungstheorien konfrontiert, müssen wir nicht an sie glauben, damit sie einen Einfluss auf unser Verhalten nehmen“, erklärt Verhaltensökonom Loukas Balafoutas von der Uni Innsbruck.
Interessantes Verhaltensexperiment
In einer Studie fand das Team rund um Balafoutas heraus, dass Probanden, die für nur drei Minuten einer Verschwörungstheorie ausgesetzt gewesen sind, in einem nachfolgenden Verhaltensexperiment anders gehandelt haben als jene aus der Kontrollgruppe. Das sei für sich alleine stehend weder gut noch schlecht, erklärt Balafoutas. Doch in Zeiten, in denen man den unzähligen Theorien gar nicht ausweichen kann, ist das wohl eine wichtige Erkenntnis.
Immer mehr Menschen agieren so, wie ich es von kriegstraumatisierten Menschen kenne. Das macht mir Sorgen, daran werden wir arbeiten müssen.
Daniela Ingruber, Demokratie- und Kriegsforscherin
Appell: Spaltung durch Fake News verhindern
Denn die Angst vor einer Spaltung der Gesellschaft sei bei den Österreichern stark von unter 70 Prozent auf 78 Prozent gestiegen, so Ingruber. Eine „ganz kleine Minderheit“ würde zudem zunehmend aggressiv auftreten, sagte auch der Gesundheitsminister, der deshalb seit einiger Zeit selbst unter Personenschutz steht. Er rief einmal mehr zum Zusammenhalt auf, „wir dürfen uns nicht von Fake News spalten lassen“.
Viel mehr müsse Aufklärung durch die Wissenschaft ins Zentrum gerückt werden. „Fakten schaffen Vertrauen“, so Anschober.
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