Bislang geht die Wissenschaft davon aus, dass es vier Grundkräfte der Physik (sie werden auch als Naturkräfte bezeichnet, Anm.) gibt. Forscher der Universität Zürich (UZH) und des europäischen Forschungszentrums CERN in Genf haben aber nun etwas entdeckt, das dieses fundamentale physikalisches Gesetz infrage stellt: Bei Experimenten fanden sie eine Messabweichung, die vermuten lässt, dass eine neue, noch unbekannte Kraft im Spiel ist.
„Wenn sich das bestätigt, wäre es die größte Entdeckung in der Teilchenphysik innerhalb der letzten Jahrzehnte“, sagte Nico Serra dem Schweizer „Tages-Anzeiger“. Er ist Professor für Experimentalphysik am Physik-Institut der UZH und arbeitet am CERN unter anderem mit dem Detektor LHCb (Bild unten) am Large Hadron Collider (LHC). Noch wiegelt Serra ab: „Wir haben noch zu wenig Messdaten, um zu wissen, ob die beobachtete Abweichung vom Standardmodell der Teilchenphysik tatsächlich vorhanden ist oder nicht“.
Die im Fokus stehende Unregelmäßigkeit ist gemäß Mitteilung erstmals 2014 am CERN beobachtet worden: Beim Zerfall von Mesonen (das sind instabile subatomare Teilchen, Anm.) in Elektronen und Myonen (Elementarteilchen, die Elektronen sehr ähnlich, aber schwerer sind, Anm.) war das Resultat anders, als es die Theorie verlangt. Aber so klar wie jetzt sei die Diskrepanz damals nicht gewesen, so Serra. Mittlerweile seien in Japan und den USA dieselben Abweichungen zum erwarteten Standard festgestellt worden.
Zusätzliche neue Kraft zu den vier Grundkräften
Sollte sich die Abweichung bestätigen, würde dies eine Physik jenseits des Standardmodells implizieren, heißt es im Kommuniqué. Denkbar wäre eine neue fundamentale Kraft zusätzlich zu den vier Grundkräften: Gravitation, Elektromagnetismus, schwache Wechselwirkung, die für Radioaktivität verantwortlich ist, und starke Wechselwirkung, welche die Materie zusammenhält.
Beim im Zentrum stehenden „Large Hadron Collider beauty-Experiment“ (LHCb-Experiment) entstehen bei der Kollision von hochenergetischen Protonenstrahlen im Teilchenbeschleuniger sogenannte Beauty-Quarks. Sie zerfallen praktisch sofort an Ort und Stelle. Forschende rekonstruieren die Eigenschaften der kurzlebigen, zusammengesetzten Teilchen anhand ihrer Zerfallsprodukte.
Nach den etablierten Gesetzen der Teilchenphysik - dem sogenannten Standardmodell - sollten diese Beauty-Quarks mit der gleichen Wahrscheinlichkeit in einen Endzustand mit Elektronen beziehungsweise Myonen (den viel schwereren Geschwistern der Elektronen, Anm.), zerfallen. In einigen Zerfallsprozessen widersprach aber die Messung dieser Lehrmeinung.
Noch zu früh für Schlussfolgerung
In der Elementarteilchenphysik werden Beobachtungen zu echten Entdeckungen, wenn die Wahrscheinlichkeit eines Irrtums unter Berücksichtigung aller bekannten Fehler weniger als eins zu drei Millionen oder 0,00003 Prozent beträgt. „Es ist also noch zu früh für eine endgültige Schlussfolgerung“, lässt sich Serra in einem Kommuniqué zitieren.
„Doch die LHCb-Kollaboration verfügt über alle Voraussetzungen, um in Beauty-Quark-Zerfällen die mögliche Existenz von Effekten einer neuen Physik zu klären. Was wir dazu brauchen, sind viele weitere Messungen“ - das LHCb „ist ein Experiment, mit dem erforscht werden soll, was nach dem Urknall geschah, und wie die Materie überleben und das Universum aufbgeaut werden konnte, in dem wir heute leben“, heißt es auf der CERN-Website.
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