Vor dem am Donnerstag und Freitag stattfindenden EU-Videogipfel hat Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in einem Interview mit einer deutschen Tageszeitung vor einer Spaltung Europas aufgrund der Frage der Verteilung von Corona-Impfstoffen gewarnt. Am Dienstag hatte Deutschland der von Kurz und anderen Ländern geforderten Neuverteilung in der Europäischen Union eine Absage erteilt. EU-Ratspräsident Charles Michel erklärte, dass mehr Tempo bei den Impfungen „Top-Priorität“ beim Gipfel habe.
„Wir können kein Interesse daran haben, dass sich die Kluft innerhalb der Europäischen Union bei der Durchimpfung der Bevölkerung immer mehr vergrößert und wir somit EU-Mitgliedsstaaten zweiter Klasse schaffen“, sagte Kurz der deutschen Tageszeitung „Welt“ am Mittwoch. Er betonte neuerlich, dass die Staats- und Regierungschefs der EU im Jänner eine anteilsmäßige Verteilung der Impfstoffe nach dem Bevölkerungsschlüssel vereinbart hätten.
Kurz will Verteilung beim Gipfel ansprechen
Es habe sich allerdings herausgestellt, „dass die Auslieferung der Impfstoffe nicht nach Bevölkerungsschlüssel, sondern nach Bestellmenge erfolgt“ sei, kritisierte der Kanzler. Er wolle das Thema beim EU-Videogipfel ansprechen, so Kurz, denn ohne eine Korrektur würden einige EU-Staaten die Herdenimmunität bereits Ende Mai, andere Länder hingegen erst im späten Sommer oder gegen Jahresende erreichen.
Er unterstützte das Ziel von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen „voll und ganz“, bis zum Sommer 70 Prozent aller Erwachsenen eine Impfung zu ermöglichen, betonte Kurz gegenüber der „Welt“. Dieses Ziel wäre auch erreicht worden, wenn man am ursprünglichen Verteilungsschlüssel nach Bevölkerungsgröße festgehalten hätte, so der Kanzler.
Österreich hatte gemeinsam mit Bulgarien, Kroatien, Lettland, Slowenien und Tschechien auf eine Neujustierung der Verteilung gedrungen. Doch vor allem die deutsche Bundesregierung hat sich bisher gegen die Forderungen gestellt. So argumentierte der deutsche Europa-Staatssekretär Michael Roth am Dienstag, dass einige Staaten, darunter Österreich, die ihnen nach Bevölkerungsgröße zustehenden Impfstoffkontingente nicht ausgeschöpft hätten. Diese Mengen seien anderen EU-Ländern angeboten worden.
EU-Gipfel hat raschere Impfungen als „Top-Priorität“
Europas Staats- und Regierungschefs wollen bei ihrem EU-Videogipfel, an dem auch US-Präsident Joe Biden teilnehmen wird, mehr Tempo bei der europäischen Corona-Impfkampagne in der gesamten EU machen. Dies sei eine „Top-Priorität“, schrieb EU-Ratspräsident Michel in seinem Einladungsbrief vom Dienstag. Dazu sollen die Impfstoffproduktion angekurbelt und die Lieferungen von Vakzinen ausgebaut werden. Gleichzeitig wolle der Gipfel „mehr Transparenz und Vorhersehbarkeit der Versorgung“ mit Impfstoffen schaffen.
Auf den Streit unter den EU-Staaten über einen Korrekturmechanismus zu den vom Bevölkerungsschlüssel abweichenden Impfstoffmengen für die einzelnen EU-Staaten ging Michel in dem Brief nicht ein. Dem Vernehmen nach sucht er eine Lösung vor dem Gipfel, der am Donnerstag um 13 Uhr beginnt.
Quellen: APA, dpa
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