Stimmung angespannt
EU-Spitze auf waghalsiger Mission in der Türkei
EU-Ratspräsident Charles Michel und Kommissionschefin Ursula von der Leyen reisen am Dienstag zum türkischen Präsidenten. Damit setzt man die Bemühungen für einen Neustart der Beziehungen fort. Die EU-Spitzen haben für Recep Tayyip Erdogan einige Angebote in der Tasche, doch es wird ein heikles Treffen: In Ankara wollen sie erkunden, wie nachhaltig Erdogans Interesse an Kooperation ist.
Hintergrund des Besuchs sind Beschlüsse des EU-Gipfels vor rund eineinhalb Wochen. Dabei hatten sich die Staats- und Regierungschefs darauf verständigt, die Beziehungen zur Türkei schrittweise wieder auszubauen. So beginnen unter anderem die Vorbereitungen für Verhandlungen einer Ausweitung der Zollunion.
Geplant ist zudem, dass die beiden EU-Spitzen mit Vertretern von Organisationen der Vereinten Nationen und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zusammenkommen. Bei diesem Treffen dürfte es vor allem um die zukünftige Unterstützung der syrischen Flüchtlinge in der Türkei, aber auch um den jüngsten Austritt der Türkei aus einem Abkommen zum Schutz von Frauen gehen.
Offene Konflikte
Die Beziehungen der Staatengemeinschaft und der Türkei waren zuletzt deutlich angeschlagen. Neben der umstrittenen Suche nach Erdgas im Mittelmeer entwickelten sich auch die Themen Migration und Menschenrechte zum Zankapfel.
Die türkische Regierung fordert dabei schon lange von der EU mehr Geld für die Versorgung der rund 3,7 Millionen syrischen Flüchtlinge in der Türkei. Im Flüchtlingspakt von 2016 waren Erdogan dafür sechs Milliarden Euro zugesagt worden.
Neues Milliardenpaket?
Ausgezahlt sind laut EU-Kommission bisher 4,1 Milliarden Euro. Aber auch die restlichen Gelder sind bereits fest verplant. Die EU-Staats- und -Regierungschefs sind bereit, die Finanzierung fortzusetzen. Gleichzeitig fordert man, dass die Türkei wie 2016 vereinbart neu auf den griechischen Inseln ankommende Flüchtlinge zurücknimmt, wenn deren Asylanträge abgelehnt werden.
Im Sommer 2020 setzte die Türkei die Rücknahme aus. Brüssel forderte Ankara „dringend“ auf, diese wieder aufzunehmen. Mit einem neuen Milliardenpaket könnte man Erdogan die Versorgung wieder schmackhaft machen.
Erdogan innenpolitisch unter Druck
Auch am Montag gab es in der Türkei noch Aufregungen: In der südosttürkischen Metropole Diyarbakir wurden bei einer Razzia in einem Frauenrechtsverein 22 Frauen festgenommen. Der Verein setzt sich nach eigenen Angaben für Frauen ein, die Opfer von Gewalt geworden sind.
Und nach öffentlicher Kritik von pensionierten türkischen Admirälen an dem Mammut-Bauprojekt „Istanbul-Kanal“ wurden am Montag zehn Admiräle im Ruhestand festgenommen. Erdogan warf den Ex-Offizieren vor, in ihrem Brief indirekt mit einem Staatsstreich gedroht zu haben.
Politische Beobachter konstatieren Erdogan immer dann besondere Muskelspiele, wenn er unter Druck steht. In Anbetracht der bevorstehenden Verhandlungen könnte dies erneut eine Rolle spielen, denn Erdogan steckt in einer Krise. Im Parlament ist er etwa auf die Unterstützung der ultranationalistischen MHP angewiesen. Aber auch mit dieser Partei als Partner käme er laut aktuellen Umfragen nicht auf eine absolute Mehrheit.
Corona-Pandemie verschärft Situation
Die Türkei kämpft aktuell aber vor allem mit der Wirtschaftspolitik: Im März sei die Inflationsrate bei 16,19 Prozent gelegen, im Februar waren die Verbraucherpreise im Jahresvergleich um 15,61 Prozent gestiegen. Lebensmittel bleiben weiter teuer. Die Preise stiegen im März auf Jahresbasis um 17,44 Prozent. Angesichts hoher Arbeitslosigkeit und einer dritten Coronavirus-Welle, mit der die Türkei zurzeit kämpft, erschwert das die Situation für die Menschen im Land weiter.
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