„Was? Das ist kein Passat?“ Die Beifahrerin kann es gar nicht glauben. Das ist tatsächlich ein VW Golf Variant. Aber ich verstehe den ungläubigen Blick. Der Kombi-Golf schaut ähnlich erwachsen aus wie sein großer Bruder, genauso solide und irgendwie auch genauso groß. Aber es ist eigentlich auch egal ...
Es ist natürlich nicht egal, ob man 10.000 Euro mehr oder weniger ausgibt, und natürlich ist ein Passat größer und wirkt eleganter, aber wir befinden uns hier in einer Kategorie Auto, die dienstbar zu sein hat, ohne aufzufallen und für unangenehme Emotionen zu sorgen. Das Leben ist vor allem zurzeit bisweilen hart und schwierig genug. Und als Statussymbol müssen beide nicht herhalten, sie sind eher klassenlos.
Nur nicht aufregen!
Da passt es besonders gut, dass der Testwagen in der Trendfarbe Unscheingrau dasteht. Delfingrau heißt das in diesem Fall offiziell. Auch der Innenraum ist in seiner Anmutung ziemlich nüchtern. Nicht dass nüchtern in Zusammenhang mit dem Autofahren schlecht wäre, VW ist seit der ersten Golf-Generation mit zurückhaltend gestalteten Innenräumen höchst erfolgreich.
Man merkt die Wolfsburger Bemühungen, es dem Fahrer leicht zu machen. Da eckt nichts an, die Mittelarmlehne ist längs und in ihrer Höhe verstellbar, die Tasten am Lenkrad sind hier echte Tasten (nicht Touchelemente, wie sie VW mittlerweile auch teilweise verwendet) und man muss nicht einmal mit den Augen große Wege zurücklegen, weil der in die Scheibe eingespiegelte Tacho seine Information direkt im Blickfeld präsentiert.
In Generation 8 haben sie es zu einer Schlichtheit gebracht, an die seinerzeit, 1974, noch nicht einmal zu denken war. Keine Schalter! Dafür ein Automatikhebelchen, daneben ein Ablagefach, in dem der Buchhalter am Steuer zwei gespitzte Bleistifte unterbringen kann. Oder Kugelschreiber. Nur: Wer verwendet so etwas noch im Auto? Parkscheine werden per Handy gebucht. Und auch sonst geht alles über Smartphone oder Touchscreen.
Ja, alles. Man kann sich schon mal verlaufen, wenn man die eine oder andere Funktion sucht. Aber über Touchscreens und die Bedienung bei VW haben wir schon genug geschrieben, zum Beispiel im ersten Fahrbericht über den VW Golf 8. Hier nur zwei Dinge, exemplarisch: Nein, ein unbeleuchteter Touchslider ist kein adäquater Lautstärkeregler. Und: Wenn ich auf das Symbol für die Sitzheizung tippe, möchte ich damit die Sitzheizung einschalten. Und nicht stattdessen ein Popup öffnen, in dem ich ein weiteres Mal auf ein identisches Sitzheizungssymbol tippen muss, damit‘s warm wird.
Das leidige Thema Software
In regelmäßigen Abständen poppt die Warnmeldung „Gefahrenwarnung ist zurzeit eingeschränkt“ auf. Diese kryptische Meldung hängt mit der serienmäßigen Car-2-X-Kommunikation des VW Golf zusammen. Nachricht nach Wolfsburg: Bitte programmiert eine Meldung, mit der man als Fahrer etwas anfangen kann. So, wie es jetzt ist, wird man alle paar Minuten verunsichert, weiß aber nicht, was zu tun ist. Auf Nachfrage hat man mir erklärt, ich war nicht als Hauptnutzer im Auto registriert, deshalb gab‘s ein Problem mit der Datenübertragung. Gut zu wissen. Aber ich wollte eigentlich nur Auto fahren, nicht mich am Firmencomputer anmelden und im internen Netzwerk surfen.
Noch so ein Programmier-Mist: Das Nullstellen des Bordcomputers ist derart im Menü am Tacho versteckt, dass ich dazu die Betriebsanleitung gebraucht habe. Was ist passiert? VWs waren einmal Musterbeispiele für intuitive Bedienung! Und das waren bisher keine offensichtlichen Software-Fehler, sondern erstmal unsinnige, aber absichtliche Programmierungen. Noch eine Unsinnigkeit: Wenn der Tempomat aktiviert ist, hat man keine Möglichkeit, den Gesamtkilometerstand herauszufinden. Das muss man wissen ...
Einen Fehler im Bediensystem gab es aber auch: Einmal hat er Testwagen die Langzeit-Fahrtdaten von selbst auf null gestellt, was er ohne Zutun des Fahrers eigentlich nicht können sollte. Zu dem Zeitpunkt hatte ich das Rätsel des Bordcomputers bereits gelöst.
Ein weiterer Software-Fehler sorgte dafür, dass sich einige Tage lang grundlos die Motorkontrollleuchte zeigte und irgendwann wieder erlosch. Das sollte künftig nicht mehr passieren, sobald das Software-Update aufgespielt ist, das VW dafür entwickelt hat.
Gleitzeit für alle - mit Dreizylinder-Mildhybrid!
Und dann hält der Test-Golf doch noch eine Überraschung bereit: Der Einliter-Dreizylinder im 48-Volt-Mildhybrid-Netz ist ein sehr überzeugender, entspannender Antrieb für dieses Auto. Er stört nicht einmal mit seinem Motorgeräusch, vor allem dann nicht, wenn er sich zwischendurch abstellt, weil der riemengetriebene Startergenerator (vulgo Elektromotor) dank der Lithium-Ionen-Batterie unterm Beifahrersitz ein spritloses Segeln erlaubt. Das passiert sehrt oft, wenn man vom Gas geht. Man gleitet also häufig dahin, ohne dass überhaupt ein Motor zu hören ist. Und auch das Fahrwerk unterstützt den geschmeidigen Eindruck.
Mit 110 PS und 200 Nm, die auf 1290 kg DIN-Leergewicht treffen, verleitet der Gleit-Golf nicht zur Raserei, aber man fühlt sich auch nicht untermotorisiert. 10,6 Sekunden vergehen, bis ein dreistelliges Tempo am Display steht, maximal verspricht die Zulassung 202 km/h. Als WLTP-Verbrauch gibt VW 5,3 bis 6,4 l/100 km an, im Testschnitt waren es 7,1 Liter.
Top-Qualitäten als Kombi
Wer einen Kombi kaufen will, wird sich für den Kofferraum interessieren, und was das betrifft, macht der VW Golf Variant wieder alles richtig. 611 Liter Kofferraum ist viel, sogar nur 39 Liter weniger als im Passat Variant. Per Hebelzug klappen die Rücksitzlehnen um und es stehen dachhoch 1642 Liter zur Verfügung. Die 230-Volt-Buchse gibt‘s gegen Aufpreis.
Auch in der zweiten Reihe ist richtig gut Platz. Ja, man kann hier zu fünft fahren.
Fahrzit
Er ist ein Ladegleiter, dieser VW Golf Variant 1,0 eTSI. Er will irgendwie alles richtig machen, steht sich mit seiner Software aber manchmal selbst im Weg. Unterm Strich ist er aber dennoch eine solide Empfehlung. Zwar kostet der Testwagen mit allen Extras 36.000 Euro, aber er fühlt sich trotz aller Nüchternheit nach viel Auto an. Basispreis für den Golf Variant ist 22.060 Euro, aber das ist eigentlich egal, denn auch wenn da das Wichtigste an Bord ist (Klimaautomatik zum Beispiel), so wird man doch ein paar Extras brauchen. Emotionen stehen aber nicht zur Disposition.
Warum?
Sehr angenehm im Alltag
Gutes Platzangebot
Warum nicht?
Die Bedienung ist gewöhnungsbedürftig
Oder vielleicht ...
... Hyundai i30 Kombi, Ford Focus Traveller, Kia Seed SW, Opel Astra Sports Tourer, Peugeot 308 SW, Renault Mégane Grandtour, Seat Leon Sportstourer, Skoda Octavia Combi, Toyota Corolla Touring Sports
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