Entgegen allen Kritikern und Unkenrufern zum Trotz zeigen sich die US-Rock-Wunderkinder Greta Van Fleet auf ihrem zweiten Album „The Battle At Garden‘s Gate“ gereift, progressiv und cinematisch. Das sollte die Kiszka-Brüder nicht nur von den müden Led-Zeppelin-Vergleichen wegbringen, sondern auch endgültig den Weg zu einer eigenen Geschichte bereiten.
Drei junge Brüder aus dem beschaulichen 5.000-Seelendorf Frankenmuth in Michigan wachsen in aller Beschaulichkeit auf. Wo andere Kids sich um das neueste iPhone prügeln wandern die Jungs durch die Gegend, lernen das Rafting, klettern auf Bäume und befinden sich allgemein die meiste Zeit in der freien Natur. Irgendwann nimmt die Mutter sogar die Uhr von der Wand, weil sie das System der Zeit als verzichtbar empfindet. Aus diesem frei gelebten, neumodernen Hippie-Traum erwächst Jahre später Greta Van Fleet. Von Fans geliebt wie Götter, von den Gegnern mindestens so gehasst wie Justin Bieber. Was macht das mit der Psyche von Teenagern oder junger Menschen, denen für die bloße Ausübung ihrer Kunst und Kreativität so viel Negativität zuteilwird? 2016 nimmt die erfolgreiche Hollywood-Serie „The Shameless“ ihre Single „Highway Tune“ ins Programm und von da an geht das Leben der drei Kiszka-Brüder Josh, Jake und Sam samt Drummer-Freund Danny Wagner steil. Vertrag bei Universal Music, die erfolgreiche Debüt-EP „Black Smoke Rising“, eine Tour mit den Struts, „Highway Tune“ geht auf Platz eins der Billboard-Charts, die zweite EP namens „From The Fires“, das Debütalbum „Anthem Of The Peaceful Army“ und schlussendlich ein Grammy für „From The Fires“. All das passiert innerhalb von zweieinhalb Jahren.
Vergangenheit und Gegenwart
Doch wo die einen Greta Van Fleet als Retter der dahinsiechenden Rockmusik sehen und sogar inständig hoffen, dass diese vier Jungspunde die Woodstock-Magie in die global-neoliberale Gegenwart transferieren, werfen die anderen mit verbalem Schlamm. Biedere Led Zeppelin-Kopisten seien sie, bei „Pitchfork“ sprach man von „halbgarem Boomerfetisch“ und einem „endlosen Langweileralbum“, während sich Porcupine-Tree-Musiker und Prog-Experte Steven Wilson, an und für sich kein Mann aggressiver Töne, dazu herabließ, die Jungspunde als „armselige, drittklassige Led-Zeppelin-Imitation“ abzuwerten und sie mit „grottenschlecht, ein Witz“ zu beleidigen. Drei Jahre später hat Wilson in einem Anflug von Midlife-Crisis seine Prog-Rock-Pfade verlassen und ein leidlich mediokres Elektronik-Trend-Album veröffentlicht, während Greta Van Fleet ihr lang erwartetes Zweitwerk „The Battle At Garden’s Gate“ nachschießen und damit vor allem eines beweisen: von einer Eintagsfliege sind sie weit entfernt. Allen Kritiken und Unkenrufern zum Trotz zeigt sich das Quartett in jeder Hinsicht gereift und erweitert. Längere Songs, breitere Instrumentals, mehr Zeit zum Atmen, mehr Progressivität. So bringt man 60er- und 70er-Jahre basierten Rock würdevoll in die technologisierte Gegenwart.
Gitarrist Jake Kiszka betont im Gespräch mit der „Krone“, dass die bisherige musikalische Entwicklung in der Band eine ganz natürliche sei. „Wir sind mit Blues, Folk, R&B und 50er-Jahre-Rock’n’Roll aufgewachsen. Mit der heutigen Technologie lassen sich diese Elemente in die Moderne übertragen. Wir sehen uns selbst als zeitgemäße Band, die hauptsächlich vom Weltgeschehen beeinflusst ist. Die Leute glauben immer, wir würden nur in der Vergangenheit leben“, räumt der Zwillingsbruder von Sänger Josh mit einem gängigen Gerücht auf, „aber meine Verstärker im Studio sind alle neu und topaktuell.“ „The Battle At Garden’s Gate“ beruft sich konzeptionell auf Biblisches und ist klanglich bewusst cinematisch geraten. Ein Wort, das den Bandmitgliedern gefällt, weil es neben dem Terminus „progressiv“ am deutlichsten widerspiegelt, was sich auf dem Zweitwerk so alles tut. Von den schnittigen, kurzen Rock-Songs der eigenen Vergangenheit hatte man die Schnauze voll, was garantiert auch an der Kritik von außen lag, doch Greta Van Fleet werden mit dem Zweitwerk Album einfach nur erwachsen. Ein Coming-Of-Age-Werk, wie es im Musikgeschäft nicht unüblich ist, wenn sich Geschmäcker ändern, Haare wachsen und die Welt sich weiterdreht.
Experiment gelungen
Josh streitet in aktuellen Interviews gar nicht ab, dass ihn die ewigen Led-Zeppelin-Vergleiche verunsicherten. „Irgendwann denkst du unweigerlich darüber nach, ob alle Recht haben. Und das ist das Schlimmste, denn dann haben sie dich. Davon mussten wir uns befreien.“ Mission gelungen, denn auch wenn sein markantes und in lichte Höhen reichendes Stimmtimbre gerne zwischen Robert Plant, SpongeBob und einer Hyäne reicht, ist die musikalische Weiterentwicklung immens. Das lag nicht zuletzt an Star-Produzent Greg Kurstin, der im Pop-Geschäft einen großen Namen hat, aber bislang wenig mit dieser Art von bombastischer Rock-Konzeptionierung zu tun hatte. Das mutige Experiment ging auf, „The Battle At Garden’s Gate“ erklingt nicht nur hell und pompös, sondern auch stringent und in sich geschlossen. Dass im Elternhaus nicht nur Dutzende Platten von Fairport Convention über Donovan bis zu den Rolling Stones herumlagen, sondern die Kids schon früher mit Büchern von Nietzsche und Sartre in Berührung kamen, wird nun in spannende Tonkunst gegossen.
So ist auch im religiös und spirituell angehauchten Textkonzept von „The Battle Of Garden’s Gate“ der Fokus auf philosophische Fragen gerichtet, die nicht nur in Zeiten der Corona-Pandemie eine Nachdenkrunde verdienen würden. Die Mischung aus den erwähnten cinematischen Soundaspekten und den theatralischen, bewusst weitreichenden Texten ergeben für Josh den „Rock’n’Roll-Spirit“. Songs wie „The Barbarians“, das ohrwurmträchtige „Broken Bells“ und „Age Of Machine“ strahlen eine epische, aber gleichermaßen durchdringende Wucht aus, die man dem einstigen Teenager-Stall zu Zeiten des Debüts niemals zugetraut hätte. Vom epischen Neun-Minuten-Closer „The Weight Of Dreams“ gar nicht zu reden, der durchaus als das „Stairway To Heaven“ von Greta Van Fleet werden könnte, um den mühsamen und längst nicht mehr zutreffenden Vergleich mit den britischen Rockgöttern zu ziehen. Man hört sofort, dass der Opener und die Single „Heat Above“ noch aus den Songwriting-Sessions der frühen Hits stammt, denn je weiter das Album voranschreitet, umso trickreicher, spannender und versatiler erklingt es.
Teamwork
„All die Größen der frühen Rocktage haben in unserem Sound ihre Spuren hinterlassen“, ergänzt Jake, „aber wir haben gar nicht das Ziel, diese Songs aus den Angeln zu heben. Wir wollen den Sound adaptieren und zu etwas Eigenständigem machen. Ich bin der festen Meinung, dass es ausdrücklich erlaubt ist, in der Musikhistorie zurückzublicken, wenn man selbst in seiner musikalischen Entwicklung nach vorne gehen will. Das Wichtigste am Rock’n’Roll ist, dass er eine zeitlose Signifikanz für mehrere Generationen hat. Die Panik vom angeblichen Untergang des Rock’n’Rolls verstehe ich nicht. Er war wichtig, ist wichtig und wird immer wichtig sein.“ Mit der Schnelllebigkeit des Musikbusiness, der großen Popularität und der harschen Kritik konfrontiert zu sein, ist freilich nicht immer leicht. „Wir sind ein geschlossenes Team, eine Familie. Wir wussten schon immer, wohin wir gehen wollen und haben unsere ganze Energie in die Band gesteckt. Unter Brüdern sagt man sich, was Sache ist und geht anders miteinander um.“
Dass bei Greta Van Fleet nicht immer allüberbordender Frieden herrschte, gibt Jake auf Nachfrage schmunzelnd zu. „Wir sind alle sehr stur und jeder hat klare Vorstellungen, das ist dann nicht immer einfach. Aber früher, als wir Kids waren, war das noch viel schlimmer. Da ging schon mal eine Tür zu Bruch oder wir haben die Gitarren in den Garten geworfen und Mom hat uns die Hölle heißgemacht.“ „The Battle At Garden’s Gate“ eben - nur eben familiär und nicht biblisch. Respekt, Toleranz und Verständnis ziehen sich durch die Band, die durch die Geschlossenheit innerhalb ihrer Reihen so souverän den harschen Stürmen der Kritiker trotzen konnte. Nach einem derart opulenten, ausladenden und breiten Album kann eigentlich nur mehr die Rückbesinnung, auf eine flotte, aber simple Rockplatte kommen. Steven Wilsons Einschätzung, an Greta Van Fleet würde sich „in zehn Jahren niemand mehr erinnern“ darf bekrittelt werden. Zumal „The Battle Of Garden’s Gate“ das vielleicht beste Rockalbum des Jahres ist.
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