Kampfpreis-Stromer

Elektro-Dacia: Günstig oder einfach nur billig?

Motor
19.04.2021 14:25

Dacia Spring Elektro heißt das billigste vollwertige Elektroauto am Markt. Doch da fängt die Diskussion schon an: Was heißt eigentlich vollwertig? Reichen dafür 33 kW/44 PS, vier Plätze und ein Dach überm Kopf? Billig ist klar: ab 12.590 Euro nach Abzug der Förderung. Wir waren mit dem Kampfpreis-Stromer rund ein halbes Jahr vor Markteinführung unterwegs und haben uns angeschaut, wie gut man mit ihm wirklich leben kann.

(Bild: kmm)

Mittlerweile sind wir gewohnt, dass aktuelle Elektroautos Motorleistungen aufweisen, die vor nicht allzu langer Zeit Sportwagen vorbehalten waren. Wer erinnert sich noch daran, dass er ein Auto mit 50 PS oder weniger hatte? Und damit sein Auskommen fand? Doch der Vergleich hinkt sogar, denn dieser nominell schwachbrüstige Elektro-Dacia bringt ein maximales Drehmoment von 125 Nm, also fast doppelt so viel wie ein VW Golf 1 mit 50 PS (der GTI hatte auch nur 137 Nm). Sie merken, worauf ich hinaus will: Der Dacia Spring Elektro ist gar nicht so lahm, wie man erwarten würde.

Allerdings mit einer Einschränkung: im Stadtverkehr. Hier gibt er sich an der Ampel keine Blöße, sprintet mit seinen 970 kg DIN-Gewicht in 5,8 Sekunden auf Tempo 50. Darüber wird‘s dann zäh. Bis 80 km/h ist gefühlt noch okay, bis Tempo 100 vergehen insgesamt 19,1 Sekunden. Die Beschleunigung von 80 auf 120 km/h dauert laut Datenblatt 26,2 Sekunden (0-50 und 0-100 haben wir nachgemessen). Fürs Höchsttempo von 125 km/h braucht man vor allem eines: Geduld.

Aber tatsächlich kommt es sogar auf der Landstraße vor, dass man mal überholt. Dank hoher Sitzposition sieht man relativ gut voraus.

„Die Lenkung gibt eine grobe Richtung vor“
Allzu sehr sollte man den Geschwindigkeitsrausch nicht auskosten, denn schon die nächste Landstraßenkurve könnte den Puls schneller in die Höhe schnellen lassen, als man „ich hätte es wissen müssen“ denken kann. Unpräziser als Fahrwerk und Lenkung sind nur die Aussagen der Korruption verdächtigter Politiker. Die Lenkung gibt eine grobe Richtung vor, der Rest des Fahrzeugs folgt mit spürbarer Seitenneigung. Ich bin nicht sicher, ob schnell gefahrene Wechselkurven noch unter Mutprobe oder schon unter verbotenes Straßenrennen fallen sollten. Teilweise wirkt das komfortabel, manchmal spricht die Federung aber relativ ruppig an.

Sehr praktisch in der Stadt ist der Wendekreis von nur 9,6 Meter.

Innenraum: Alles Wesentliche da, aber ...
Der Eindruck im Innenraum kann logischerweise nicht hochwertig sein. Wir sprechen hier von einem Billigauto, das auf alles verzichtet, was nicht wirklich gebraucht wird. Keyless? Grins. Man steckt den Schlüssel ins Zündschloss und dreht ihn wie früher zum Start. Die Fahrstufe wird per Drehschalter eingelegt. Eine Parkposition gibt es nicht. Zum Abstellen des Fahrzeugs muss man es durch Ziehen der klassischen Handbremse gegen Wegrollen sichern.

Ansonsten: Hartes Plastik, einfache Armaturen, offen zur Schau gestellte Schrauben, aber darüber brauchen wir uns nicht mokieren. Über die unangenehme Sitzposition schon. Man hockt da wie auf der Strafbank. So hoch, dass groß Gewachsene den oberen Windschutzscheibenrahmen mitten im Blickfeld haben. Eine Sitzhöhenverstellung würde Wunder wirken, ist aber nicht erhältlich. Die Sitze sind aber immerhin längsverstellbar - im Gegensatz zum Lenkrad, das man nehmen muss, wie es ist. 

Der linke Fuß des Fahrers findet keinen guten Platz zum Ruhen, ins rechte Wadl drückt die harte Plastik-Mittelkonsole unangenehm hinein. Aber vielleicht gibt es Körper, die da besser hineinpassen als meiner, also am besten bei einer Probefahrt ausprobieren.

Die Rückbank ist nichts für Erwachsene: Wenig Kopffreiheit, noch weniger Kniefreiheit und wenn der Fahrer mit dem Sitz ganz nach hinten gefahren ist (und das wird nur bei ganz kleinen Menschen nicht der Fall sein), sind die Füße so eingeengt, dass das Aussteigen zur Herausforderung wird. Im Pressetext klingt das ganz anders: „Mit einer großzügigen Kopffreiheit und der Kniefreiheit von 100 mm finden auf den Fondsitzen auch größere Passagiere bequem Platz.“

Man darf aber eines nicht vergessen: Der Dacia Spring ist lediglich 3,71 Meter lang.

Mehr Raum steht für Gepäck zur Verfügung
Der Kofferraum schluckt 270 Liter plus das optionale vollwertige Reserverad darunter, durch Umklappen der Rückbanklehne erweitert sich das Ladevolumen auf 1100 Liter.

Auch vorn viel Platz für Nicht-Menschliches, etwa in einem großen Fach auf der Mittelkonsole und im Handschuhfach, das eine riesige Höhle ist. Ganz vorn, unter der Fronthaube, hat man viel Platz verschenkt. Oberhalb von Motor und der ganzen Elektronik hätte man eine Plastikwanne einsetzen können, schon hätte man einen praktischen Frunk.

Zweckmäßige Armaturen
Die Armaturen sind einfach und zweckmäßig. Ein 3,5-Zoll-Display zwischen zwei Anzeigen informiert digital über das gefahrene Tempo, den Ladestand in Prozent und die errechnete Restreichweite, auf den Anzeigen daneben sind Infos wie Ladestand in Form einer Tankanzeige zu erkennen oder auch, wie viel gerade abgerufen oder durch Schiebebetrieb zurückgewonnen wird. 

Zentral am Armaturenbrett befindet sich im Basismodell eine Abdeckblende - je nach Ausstattung wird sie ersetzt durch eine einfache Media-Einheit oder einen 7-Zoll-Touchscreen mit Navi und Rückfahrkamera.

Die Schalter für die Fensterheber sitzen am Armaturenbrett. Auf eine Automatikschaltung zum Öffnen oder Schließen hofft man vergeblich. Die Temperatur wird über einen Drehregler grob eingestellt. Der Druckschalter für die Klimaanlage rastet ein , wenn sie eingeschaltet wird.

Reichweite und Ladedauer
Unter der Rückbank befindet sich der 27,4 kWh große Akku. Der lässt sich im Bestfall mit 30 kW aufladen (kostet 600 Euro extra, nur für die Topausstattung erhältlich). In dem Fall dauert es knapp eine Stunde bis 80 Prozent SOC, knapp anderthalb Stunden für 100 Prozent. An der Haushaltssteckdose ist er nach knapp 14 Stunden komplett voll (serienmäßig), an einer Wallbox einphasig mit 3,7 kW muss man achteinhalb Stunden warten.

Und wie weit kommt man damit? Dacia verspricht eine WLTP-Reichweite von 230 Kilometer, im Stadtverkehr sogar von 305 km. Im Test mit wenig Stadt und viel Überland kam ich auf einen am Display angezeigten Durchschnittsverbrauch von 16,6 kWh auf 100 Kilometer (WLTP-Verbrauch 13,9 kWh/100 km). Konkret sank der Batterieladestand von 100 auf 56 Prozent, während ich 71 Kilometer zurückgelegt habe. Das würde umgerechnet eine reale Reichweite von 161 Kilometer machen.

In der Stadt käme man wohl weiter, weil mit jedem „Vom-Gas-Gehen“ Energie zurückgewonnen wird. Verschiedene, anwählbare Rekuperationsstufen gibt es jedoch nicht, die Bremse ist eine reine Bremse. Bei teureren Elektroautos setzt sich dir Bremskraft in der Regel aus Rekuperation und Betriebsbremse zusammen.

Offroad-Optik inklusive
Man könnte dem (grundsätzlich frontgetriebenen) Dacia Spring durchaus gehobene Offroad-Fähigkeiten zutrauen - angesichts der Plastikteile und vor allem des riesigen Abstands zwischen Rädern und Radhaus. Der rührt allerdings eher von den winzigen 14-Zoll-Rädern her. Die Bodenfreiheit beträgt 15,1 Zentimeter.

Die Preise
Bei 17.990 Euro fängt die Preisliste an. Eine Klimaanlage darf man sich da noch nicht erwarten, wohl aber LED-Tagfahrlicht, elektrische Fensterheber vorne und hinten, sechs Airbags, Auto-Notbremse und E-Call. Die Basisversion wird erst ab 2022 ausgeliefert.

Ab 19.390, bei der Ausstattung Comfort, sind dann schon essentielle Dinge an Bord wie Klimaanlage, Radio mit MP3/DAB+ & Bluetooth oder Sitzpolster in Lederoptik. Comfort Plus beinhaltet ab 20.790 Euro zusätzlich Navi/Apple CarPlay/AndroidAuto und Einparkhilfe hinten mit Rückfahrkamera. Metalliclackierung und Reserverad sind auch dabei.

Fahrzit
Um mit dem Dacia Spring Electric gut auszukommen, muss man echte Abstriche machen. Billige Anmutung, schwammiges Fahrverhalten und einen schwachen Motor muss man wollen oder zumindest billigend in Kauf nehmen. Dann bekommt man aber ein Fahrzeug, mit dem man vor allem in der Stadt richtig viel anfangen kann. Wie gut man mit dem kleinen Rumänen leben kann, hängt von den Ansprüchen ab.

Warum?
Billigstes E-Auto am Markt
Auf das Wesentliche reduziert

Warum nicht?
Schwammiges Fahrverhalten
Unangenehme Sitzposition

Oder vielleicht ...
... Seat Mii electric, VW e-up!, Skoda Citigo EV

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(Bild: kmm)



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