Impfbefürworter versus Impfgegner - die Gesellschaft ist gespalten. Wie früher, denn wer glaubt, das seien Auswüchse einer modernen, liberalen Gesellschaft, der irrt. Die Vorbehalte sind so alt wie die Impfung selbst - das belegt der Tiroler Historiker Alois Unterkircher.
„Tyroler! Lasset eure Kinder impfen“ – das ist keine Aufforderung der Landesregierung, sondern ein Aufruf im Titel in der „Innsbrucker Zeitung“ im Jahre 1807. Zu dieser Zeit wurde nämlich die erste Impfung weltweit „erfunden“, nämlich die gegen Pocken. Die „Menschenblattern“, wie sie genannt wurden, zählten zu den gefährlichsten Seuchen in der Geschichte mit einer hohen Sterblichkeitsrate und wüteten damals in ganz Europa.
Als um 1800 mit der Vakzination, eine Schutzimpfung gegen die Blattern mit lebenden Pockenviren der Kuh (lat. vacca) aufkam, glaubten viele Ärzte an den endgültigen Triumph über diese Seuche. Doch die Bevölkerung war nicht so gottes- und obrigkeitsfürchtig, wie wir uns das vielleicht vorstellen. Obwohl Ärzte vehement bei den Eltern für die Immunisierung warben – es sollten ja die Kinder geimpft werden – und auch der Klerus in die Propaganda involviert war, kam aus dem Volk Teils massiver Widerstand.
Angst, Geimpfte könnten sich in Kühe verwandeln
„Die Gründe waren freilich andere als heutzutage“, sagt der Tiroler Historiker Alois Unterkircher. Er forschte zu dieser Thematik in Tirol und Südtirol und publizierte seine Ergebnisse in einem Beitrag für das Buch „Medikalisierung auf dem Lande“. Gegenüber der Einbringung der „Kuhpockenlymphe“ unter die Haut mittels Lanzette zeigten sich nicht nur viele Eltern skeptisch, sondern auch die Ärzte selbst. „Ganze Dörfer formierten sich zum Widerstand“, weiß Unterkircher, der zurzeit am Deutschen Medizinhistorischen Museum in Ingolstadt arbeitet.
Ein Motiv der Ablehnung war die religiöse Überzeugung, mit dem Impfgeschehen in die göttliche Vorsehung einzugreifen.
Historiker Alois Unterkircher
Ablehnungsgründe heutzutage absurd
Warum diese Skepsis? „Ein Motiv der Ablehnung war die religiöse Überzeugung, mit dem Impfgeschehen in die göttliche Vorsehung einzugreifen“, erläutert der Historiker. Ein Aspekt, der heute unvorstellbar ist: Ärmere Familienväter befürchteten beispielsweise, dass durch die Impfung mehr Kinder überleben würden, als ernährt werden könnten. Gerüchte, dass sich Menschen in Kühe verwandeln oder zumindest den Menschen Körperteile einer Kuh wachsen, lebten ebenfalls auf. Lokalbehörden und Ärzte führten die mangelnde Bereitschaft auf „Eigensinn“ und „Thorheit des Volkes“ oder „Vorurteile“ zurück.
Viele Pockeninfektionen auch nach einer Impfung
Allerdings waren es nicht nur Vorurteile, sondern auch schlechte Erfahrungen: Pockenerkrankungen von bereits geimpften Kindern gaben den Zweiflern neue Nahrung. Ein Unterländer Arzt schreibt 1807: „Dies ist wahrhaft ein Todesstoß für den Eingang dieser wohltätigen Anstalt.“ In der Tat war es für die Ärzte anfangs schwierig, die völlig neue Technik des „Einpfropfens“ richtig durchzuführen. Häufig war der mit der Post verschickte Impfstoff eingetrocknet und nicht mehr wirksam. Zahlreiche Fälle missglückter Impfungen, wie zum Beispiel in Wörgl wegen „schlechter Materie“, erschütterten das Vertrauen der Bevölkerung.
Einer Bevölkerung, die schon damals aufgrund des Liberalismus auf die Rechte des Einzelnen beharrte. Damals wie heute gab die Impfung Anlass für grundsätzliche Diskussionen über Kompetenzen und Grenzen des Staates. Wer darf über den Körper bestimmen, das Individuum oder die „Obrigkeit“? Bayern war für Zweiteres, denn als erstes Land der Welt führten unsere Nachbarn 1807 die Impfpflicht ein. Erst 1967 zog die WHO nach – und erklärte 1980 die Welt als „pockenfrei“!
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