Joris Buchholz wird noch immer mit seinem Anfangshit „Herz über Kopf“ assoziiert, hat sich aber über die letzten Jahre nicht nur als Musiker, sondern auch als politisch und gesellschaftskritisch denkender Mensch einen prominenten Platz geschaffen. Angesichts seines neuen Albums „Willkommen Goodbye“ ging es im gemütlichen Zoom-Talk dann auch nicht nur um Beziehungen und Kindheit, sondern auch um den Tod, die Ungerechtigkeiten der Welt und seine Liebe zu Wanda und Bilderbuch.
„Krone“: Joris, ein dramatsisches Jahr wie 2020 ging auch an dir nicht einfach so vorüber...
Joris Buchholz: Ich war sehr viel zu Hause. (lacht) Ich hätte gerne viel live gespielt, aber auch so ging einiges gut weiter. Das neue Album „Willkommen Goodbye“ wurde fertiggestellt und ist wirklich sehr schön geworden. Am Ende kam noch der Song „Steine“ des Weges, den ich unbedingt noch oben haben wollte, weshalb sich die Veröffentlichung der Platte um eine weitere Woche verschoben hat. Es gab auch viel zu drehen bei „Sing meinen Song“, insofern war die Zeit für mich persönlich ertragbar. Schön war sie natürlich trotzdem nicht.
Stand das Gerüst für „Willkommen Goodbye“ schon vor dem Lockdown, oder hast du erst letztes Jahr so richtig Hand drangelegt?
Man kann die Unterschiede direkt hören. Songs wie „Nur die Musik“ sind sehr locker und zelebrieren das Leben. Nach dem Lockdown habe ich mal zwei Monate gar nicht geschrieben, weil der Schockzustand zu groß war. Ich habe dann erst im Sommer in meinem kleinen Studio weitergeschrieben und dort entstanden dann die ruhigeren Momente. Das Album spiegelt aber das ganze Leben wider und ein Leben läuft immer in Kreisen. Da gehört alles mit dazu und gerade deshalb ist das Album so geworden, wie es jetzt klingt.
Wenn sich der Schreibprozess dann doch über gut zwei Jahre zog, war es für dich am Ende schwierig, den Entwicklungsprozess in dieser Zeit zu einem durchgängigen roten Faden zu knüpfen?
Ich schreibe über mich und mein Leben, also bin ich immer selbst der rote Faden. (lacht) Das erleichtert die Sache erheblich. Im Song „2017“ habe ich meine nach acht Jahren in die Brüche gegangene Langzeitbeziehung ein Stück weit verarbeitet, aber da gehören auch schöne Momente dazu. Ich habe offen und ehrlich über das Träumen in der Kindheit und als Erwachsener gesprochen und viele Songs machen in einer bunten Mischung das aus, was ich bin. Das Leben ist nicht nur schön oder nur traurig, sondern von allem etwas. Das muss man meiner Musik anhören.
Ist der Albumtitel eigentlich von der Beatles-Nummer „Hello Goodbye“ inspiriert oder ist das tatsächlich reiner Zufall?
(lacht) „Hello Goodbye“ ist ein schöner Vergleich, wenn den jemand ziehen will. Natürlich waren die Beatles auch für mich inspirierend, aber „you say hello and I say goodbye“ ist wohl etwas weniger tiefgehend als mein Album. Ich habe in meinem Leben oft genug erlebt, das Dinge zu Ende gehen, aber es kommen neue schöne Dinge. Man stolpert, muss aber immer aufstehen. Das macht uns zu denen, die wir sind.
Der Titeltrack ist wohl eher unbewusst aktueller denn je, denn Durchhalteparolen sind in Zeiten wie diesen durchaus sinnvoll.
Es ist verrückt, weil ich den Song lange vor dem Lockdown geschrieben habe. Ich habe sehr viele Freunde in der Gastro, die unheimlich viel Geld investiert haben, um ihren Traum vom eigenen Café oder Restaurant in Berlin zu ermöglichen. Seit einem Jahr sitzen sie nun da und haben keine Ahnung, wie und ob es weitergeht. So viele von uns haben sehr viel Geld ausgegeben, die Kunst und Kultur im Allgemeinen muss man hoffentlich nicht extra thematisieren. Ich freue mich, dass ich jetzt Interviews geben darf, aber Kunst ist divers und nicht viele von uns haben eine Stimme - das alles ist derzeit extrem bedroht.
Hat die Musik für dich als Hörer aus der Fanperspektive seit Corona einen anderen Stellenwert?
Im Song „Nur die Musik“ geht es um all meine Lieblingssongs aus meinem Leben. Mein Papa war Oberarzt und nicht so oft da, aber ich hatte als Kind alleine zuhause in der Musik einen treuen Begleiter. Später spielte ich Fußball und ich erinnere mich an Hallenturniere, wo brasilianische Pop-Nummern liefen. Wir spielten dann automatisch besser und ästhetischer. Zu jedem Moment im Leben habe ich den richtigen Soundtrack und nur die Musik hat die Möglichkeit, uns in der Zeit reisen zu lassen. Ich habe auch Festival- und Konzerterlebnisse mit Wanda oder Bilderbuch, die ich nie vergessen werde. Nur die Musik kann uns solche Momente ins Hirn fräsen.
Die Texte auf „Willkommen Goodbye“ sind teilweise sehr schwer und machen nachdenklich. Die Musik dafür nur recht selten, sie versucht vielmehr Leichtigkeit und Optimismus zu verbreiten.
Es gibt sehr viele lockere Momente auf dem Album, wie den „No Drama Song“, der sehr ironisch und humorvoll ist. Ich selbst bin ein sehr optimistischer und lockerer Typ, aber es gibt auch viele Songs, die schwerer sind und wichtige Themen beinhalten. Etwa der Closer „Game Over“ wo ich darüber nachdenke, was passiert, wenn wir mal gehen. Was bleibt dann von uns?
Im Eröffnungstrack „Sturm und Drang“ geht es um die Unschuld der Kindheit, die man sich als Erwachsener unbedingt erhalten sollte. Fällt dir das manchmal schwer?
Natürlich. Wann immer ich Nachrichten sehe fällt es mir schwer daran zu glauben, dass wieder alles in Ordnung kommt. Die Pandemie wirft so viele Fragen auf. Beim ersten Lockdown hatte ich das Gefühl von „Independence Day“ und dachte mir, wir alle halten gegen dieses imaginäre böse Alien zusammen. In der Realität wurden nach etwa einem Monat die Grenzen geschlossen und jeder schaute nur auf sich. Dann zweifle ich kurz, aber als Musiker kenne ich auch die andere Seite. Beim Donauinselfest kommen 100.000 Menschen zusammen und haben eine gute Zeit. Egal woher sie sind, wie sie aussehen oder wer sie sind. So schwer kann es eigentlich nicht sein, eine Gemeinschaft zu sein.
Auch der „No Drama Song“ befasst sich mit dem Thema Gemeinschaft und Erwachsenwerden. Die zwei Tracks hängen offenbar zusammen.
Auf jeden Fall, aber das ganze Album hängt zusammen. Dieser Track ist aber sehr wichtig für mich, weil ich mich daran erinnere, wie ich mit meiner Musikkarriere loslegte, während immer mehr meiner Freundinnen und Freunde heirateten, Kinder bekamen oder sich ein Haus kauften. Das passt alles überhaupt nicht zu mir und ich dachte, alle würden immer ernster werden. Ich sah das Leben eher als Party. Nun habe ich vor zwei Jahren aufgehört zu rauchen und merke selbst, dass ich offenbar älter werde. Aber bei weitem noch nicht erwachsen. (lacht) Man muss das Ganze mit einem Lächeln nehmen, dann sind die Dinge schöner, die mit mehr Erfahrung einhergehen.
Nimmst du dich manchmal selbst zu ernst?
So oft. Viel zu oft. Ich verkrampfe mich oft und denke mir bei der Musik, alles muss ganz anders klingen. Da muss ich mich dann selber runterholen und mir wieder gewahr werden, dass mein Leben ein Luxus ist. Bei „Sing meinen Song“ habe ich mit DJ Bobo darüber geredet und der ist seit Menschengedenken auf der Bühne. Er war mit Michael Jackson auf Tour und hatte N*Sync und die Backstreet Boys als Vorband. Er hat sich niemals zu ernst genommen und das hat er auch beim Dreh bewiesen. Da kann sich von ihm jeder Mensch eine Scheibe abschneiden.
Auch wenn bei uns in punkto Impfstoffbesorgung etc. nicht alles gut läuft - sollten die Menschen allgemein wieder etwas lockerer werden? Das Leben an sich leichter nehmen?
Das ist eine schwierige Frage, die man nur falsch beantworten kann. Meine Intention ist natürlich zu sagen, dass man sich bei Themen, die man zu ernst und verkopft angeht, entspannen soll. Man soll sich aber genauso anspannen, wenn es um Themen wie die Klimakrise, „Black Lives Matter“ oder die Gleichbehandlung von Mann und Frau geht. Es gibt zu viele Bereiche in der Gesellschaft, die nicht in Ordnung sind, aber man kann sich immer wieder bewusst machen, wie gut es einem bei uns geht. Wie viele Menschen einen lieben oder einem zuhören.
Du machst dir bekanntlich sehr viele Gedanken über gesellschaftliche Strömungen, Sozialkritisches und Politik. Auf „Willkommen Goodbye“ sparst du all das aber stark aus? Eine bewusste Entscheidung?
Das würde ich so nicht unterschreiben. In meinem täglichen Denken gibt es sehr viele Schnittmengen. Auf dem letzten Album „Schrei es raus“ war dahingehend viel Platz, aber „Willkommen Goodbye“ ist kein wahnsinnig politisches Album. Es ist aber auch nicht mein größtes Interesse, diese Themen immer in meiner Musik zu bebildern. Ich bin Botschafter für SOS Kinderdorf, engagiere mich stark gegen Rechts und spielte in Chemnitz und nach dem Terroranschlag in Halle. Es ist eine Aufgabe des Joris als Plattform und Künstler, der in der Öffentlichkeit steht, zu demokratischen Grundwerten Stellung zu beziehen, nicht aber zur Parteipolitik. Es gehört zur Demokratie dazu, dass man sich aushalten muss und den Diskurs sucht. In der Musik muss das nicht zwangsläufig Niederschlag finden, kann es aber. Ansonsten benutze ich dafür meine öffentliche Wirksamkeit.
Über private Dinge zu schreiben ist manchmal wohl noch schwieriger. Du hast ja schon deinen Beziehungssong „2017“ angesprochen. Wie schwierig ist es, an so einem Track zu basteln und ihn dann wirklich in die Öffentlichkeit freizulassen?
Den Song „Glück auf“ vom letzten Album habe ich für meinen Papa geschrieben. Ich sagte aber immer, der Song wäre für jemanden, der mir sehr nahesteht und der durch schwere Zeiten geht. In der Reflektion habe ich gemerkt, dass das extrem beliebig klingt. Wenn ich gleich gesagt hätte, der Song ist für meinen Papa, mit dem ich allein aufgewachsen bin, dann hätte jeder sofort gewusst, was er mir bedeutet. Ich habe meiner Familie gegenüber eine gewisse Verantwortung, dass sie ihr Leben leben kann, ohne dass jemand der Papa oder die Mama von Joris ist. Die haben ihre eigene Geschichte zu erzählen und dieser Fokus wird von außen oft genommen. Für „Sing meinen Song“ habe ich mit meinem Papa telefoniert und dort geht es um die Geschichten hinter den Songs. Wenn also jemand „Glück auf“ wählen sollte, wollte ich diese Geschichte auch erzählen. Er fand es okay, solange ich nicht erzähle, was genau ihn belastete.
Das macht die Sache dann aber oft so kompliziert über Dinge zu schreiben, die aktuell sind. Alles, was ich einmal erzähle, ist für immer da draußen. Ich habe meinen ersten Song für Emma Watson geschrieben und damit bin ich auch cool, aber ich werde immer darauf angesprochen. „Steine“ dreht sich darum, dass das Telefon klingelt und man die Botschaft bekommt, jemand wäre verstorben - dieses schreckliche Gefühl kennen wir alle. Man kann aber dann füreinander da sein. Ich kann dir nicht den Schmerz abnehmen, aber ich kann dich auffangen. Wenn 2017 also vergangen ist, dann belaste ich nicht meine Ex-Freundin und muss nicht aufpassen, dass der Boulevard ihr hinterherläuft. Ich erzähle einfach eine Geschichte, die vergangen ist.
Für viele Songwriter ist das Songschreiben Therapie oder Heilung. Bei dir hat man das Gefühl, dass du bewusst Wunden aufreißt.
Ich hatte die Musik schon immer an meiner Seite und sie ist ein Medium, durch das ich viel offener und ehrlicher sprechen kann als es vielleicht im echten Leben der Fall ist. Musik bedeutet aber auch, dass meine Geschichte für dich deine Geschichte sein kann, weil du die Songs auf dich anwenden kannst. Die Musik ist eine Sprache, die jeder verstehen kann. Sie übersetzt. Es ist gleichermaßen schwer und wunderschön bestimmte Songs zu schreiben - je nachdem, welche es sind. „Nur die Musik“ habe ich übrigens in Dornbirn geschrieben und da war so viel Spaß dabei, dass ich bei jeder Aufnahme lachen musste. Das gehört alles zum Berufsrisiko dazu.
In „Untergang“ gehst du zurück in deine alten Jugendzeiten und singst darüber, dass du immer bei den Uncoolen warst. Reißt das auch alte Wunden auf oder kannst du mittlerweile darüber lachen?
Im Song kommt das Wort „Loser“ vor und das ist doch viel zu negativ. Auf der Nicht-Gewinner-Straße zu stehen kennt aber jeder und da muss jeder mal durch. Ich habe immer sehr polarisiert und meine Freunde und ich gehörten nie zu den Schickimicki-Kids, die beim Feiern fein herausgeputzt waren. Wir waren eher „Uncool & The Gang“. (lacht) Natürlich gibt es Situationen im Leben, die nicht zum Lachen sind, aber es kommt immer darauf an, die Dinge so gut wie möglich mit Humor zu nehmen. Ein bisschen Monty-Python-mäßig durchs Leben zu gehen. Man kann auch eine gute und schöne Zeit haben, wenn man zum „Klub der Verlierer“ gehört. Es ist immer eine Frage der Perspektive und ich habe mir meine immer positiv gestellt.
Bist du ein grenzenloser Optimist oder stößt du mit dieser Einstellung auch mal an?
Ich bin in meinem Freundeskreis für meinen Realismus bekannt. Allein schon als SOS-Kinderdorf-Botschafter ist mir sehr wohl bewusst, wie viel Scheiße in der Welt passiert. Dass es das Kinderdorf geben muss bedeutet schon, dass es sehr viele Dinge gibt, die Kinder, das Schützenswerteste unserer Gesellschaft, gefährden. Sie erfahren oft sehr früh in ihrem Leben schlimme Dinge und wenn man das weiß, kann man nicht nur Optimist sein. Wer mich kennt weiß, dass es nicht immer nur mit dem Herzen geht, sondern manchmal auch der Kopf dabei ist.
Inwieweit fördert oder verändert deine Teilnahme an „Sing meinen Song“ deine Perspektive auf Musik?
Wir werden es sehen. (lacht) Ich hatte 2016 die erste Anfrage, aber da hatte ich erst das erste Album draußen und fühlte mich nicht bereit dazu. Es gibt im Fernsehen so wenige Sendungen, wo es wirklich um Musik und die Geschichten hinter den Songs geht. Ganz oft geht es mehr darum, wer unter dem Tigerkostüm steckt oder welchen Buzzer man dreimal drücken muss, damit was passiert. Ich finde dieses Format wirklich schön und wollte diese Möglichkeit mit dem dritten Album ausnutzen. Mittlerweile können die Leute mehr Songs spielen als nur „Herz über Kopf“. (lacht) Nach einem knappen Jahr endlich wieder zwei Wochen lang Musik zu machen war wirklich genial. So divers diese Truppe mit DJ Bobo, Gentleman und Co. auch ist - wir haben sehr viel Kontakt miteinander und uns wirklich liebgewonnen. Das wird man in der Ausstrahlung dann gut merken.
Diese Diversität ist im Endeffekt auch gut für deine eigene musikalische Kreativität.
Ich hatte schon immer alle Genres um mich herum. Auch, weil ich Festivalkünstler sein darf. Wann immer Musik aus dem Herzen kommt, kann sie mich begeistern. Ob das jetzt Pop oder freakige Mucke wie Bilderbuch oder Rap ist, ist egal. Wenn die Leute etwas aus dem Herzen machen und sehr viel Energie reinstecken, dann bin ich schnell großer Fan.
Zwischen dem letzten und dem aktuellen Album lag 2019 auch dein 30er. War der mit ausschlaggebend dafür, dass du das Zwischenspiel Kindheit und Erwachsenwerden so stark behandelst?
Es kam mit dem Alter jedenfalls erstmals zur Sprache, dass ich jetzt nicht nur noch auf Partys abhänge, sondern auch mal weiterdenke. Ich hörte mit dem Rauchen auf, die Beziehung ging in die Brüche und ich habe angefangen, mir über Ernährung Gedanken zu machen. Natürlich ist einiges im Wandel, aber optisch tat mir der 30er gut. (lacht) Ich hatte jedenfalls keine Midlife-Crisis. Ich habe um mich herum so viele wunderschöne Dinge, hatte mit der Musik in den letzten Jahren auch so viel Glück und so viele schöne Momente, dass es dafür keinen Grund gab.
Live in Österreich
Mit seinen neuen Songs und den Klassikern kommt Joris 2022 auch für zwei Shows nach Österreich. Am 19. März ist er im Linzer Posthof zu Gast, am 20. März im Wiener WUK. Weitere Infos und Tickets erhalten Sie unter www.oeticket.com.
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