In seiner neuen Serie „Die Letzten“ porträtiert der Autor Robert Schneider für die „Krone“ Menschen, die einem alten Handwerk nachgehen. Jüngst hat er die Goldstickerin Marianne Bischof besucht:
Es ist ein erster, vertrauenswürdiger Frühlingstag, dem man zutraut, dass er am Abend nicht wieder mit Graupelschauern maßlos enttäuscht. Ich bin unterwegs nach Dornbirn und treffe dort die Goldstickerin Marianne Bischof, eine der letzten ihrer Zunft. Frau Bischof wohnt in einem unscheinbaren Häuschen. Im Garten steht ein Tischchen mit lose verteilten Stühlen. Auf einem Stuhl liegt ein Kissen, darauf steht „Lieblingsplatz“.
Die niedrige Haustüre öffnet sich. Heraustritt eine zierliche Frau mit schwarzem, glattem Haar und schwarz gekleidet. „Ich trage immer Schwarz. Das ist meine Farbe, auch wenn es gar keine ist“, sagt sie mir später im Gespräch. Und tatsächlich umweht diese kleine, unauffällige Person eine leise Melancholie. Zuerst einmal sind wir beide abwartend. Aber es dauert nicht eine Minute, und wir schimpfen schon wie Rohrspatzen über Impfdrängler, aber auch über Ignoranten. Die Mitte in dieser Debatte fehlt uns beiden. Früher war es das Wetter, was einen näher gebracht hat. Jetzt ist es eben dieses Thema.
„Bleatz“ und „Bändel“
Marianne Bischof ist Mutter von inzwischen drei erwachsenen Kindern, die alle ihren Weg gehen und beruflich blendend aufgestellt sind. Aber die Ehe hat leider nicht gehalten, weshalb Marianne - wir duzen uns bereits - von Mellau wieder nach Dornbirn gezogen ist. „As ischt nit ufgrummt“, entschuldigt sie sich, als sie mich in ihr Wohnzimmer führt. Dort zeigt sie mir ihre unglaublich filigranen Arbeiten, die Goldstickereien, die sie im Lauf der Jahre gefertigt hat. Prachtvolle „Bleatz“ und „Bändel“, die so typisch für das Dekolleté einer Frauentracht sind. Am Fenster hängt das Taufkleid ihrer Kinder mit den goldgestickten Namen, dem Geburtsjahr und dem Tag der Taufe. Auf dem Sofa liegt eine Rundmütze mit schwarzer Quaste, eine Kopfbedeckung für Männer, die man „Schtubatekäpple“ nannte.
Das ist nicht Rosenkranz beten oder Spinnen am Spinnrad. Das ist Kopfarbeit.
Marianne Bischof
Zwölf Stunden am Tag gestickt
Ich frage, ob ich so einen „Bleatz“ in die Hand nehmen darf. „Freilich“, sagt Marianne. Ich hebe die Kostbarkeit auf, betrachte sie genauer. Alles verschwimmt mir vor den Augen. Ich frage nach einer Lupe, und als ich das Kunstwerk unter die Leselichtlupe halte, erkenne ich erst, mit welcher Präzision der doppelte Goldfaden, das „Gespinst“, dahin mäandriert.
„Ist das Goldsticken nicht auch eine Art Meditation?“, will ich wissen. Marianne verneint das resolut. „Das ist nicht Rosenkranz beten oder Spinnen am Spinnrad. Das ist Kopfarbeit.“ Früher habe sie, die ursprünglich die Textilschule besucht hat, bisweilen zwölf Stunden am Tag gestickt. Dann sei sie so fertig gewesen, dass sie ein paar Tage frische Luft gebraucht habe. Ob sie bei dieser unendlich stillen Arbeit Musik höre, frage ich weiter. „Klar. Jetzt nicht gerade Black Sabbath oder AC/DC. Am liebsten Hörbücher. Ich habe mir einmal eine sündteure Thomas-Mann-Edition auf CD gekauft. Die hat sich hundertfach bezahlt gemacht. Ich habe die Buddenbrooks oder den Zauberberg rauf und runter gehört. Ganz besonders liebe ich die Nacherzählungen von Michael Köhlmeier. Die sind einfach wunderbar.“
Für Seide bis nach Peking geflogen
Dann zeigt mir Marianne Bischof die Materialien, die sie für ihre Stickereien verwendet. Goldkügelchen, so klein, dass man sie beinahe nur mit Lupe und Pinzette aufheben kann. Diese winzigen Goldperlen sagt sie, werden seit Jahrzehnten nicht mehr hergestellt. Nach dreijähriger Recherche hat sie sie zufällig in Paris entdeckt und ist sofort dahin gefahren, hat groß eingekauft. Auf der Suche nach den besten Seidenfäden ist sie sogar nach Peking geflogen, hat überall herumgesucht, aber leider nichts gefunden. Dennoch hat sie ihre Adressen, wo sie das beziehen kann, was es eigentlich nicht mehr gibt, wie etwa die „Posamenterie Maurer“ in Wien, ein Laden, in dem es aussieht, als sei die Zeit um 1920 stehen geblieben. Marianne erzählt mir das alles mit großer Leidenschaft, und ich glaube ihr, dass sie auf der Suche nach hochwertigen Materialien um die ganze Welt fahren würde. So besessen ist sie von ihrem Beruf.
Lehrerin aus Andelsbuch
„Genauigkeit ist Gottesdienst“, hat Giordano Bruno einmal geschrieben. Ich muss an die gotischen Kathedralen denken, wo die Steinmetze noch in schwindelerregender Höhe die Hand eines Apostels bis ins kleinste Detail ausgeführt haben, was doch unten kein Mensch mehr erkennen konnte. Aber Gott sieht es, dachten diese Künstler. Im Mikrokosmos der Goldstickerei von Marianne Bischof ist es dieselbe Haltung. „Ich sehe sofort, ob ein Stichbild stimmt oder nicht, ob eine Stickerin Talent hat oder eben nicht. Das habe ich meiner Lehrerin Laura Fink aus Andelsbuch zu verdanken, die mir ganz große Inspiration war.“ Sie zeigt eine Taufmütze, auf der stirnseitig mit allerfeinstem Goldgespinst das Nomen sacrum „IHS“ gestickt ist. Wie haben unsere Vorfahren noch Zeit auf das Wunder einer Geburt „vergeudet“!
Wir gehen in den Garten und trinken Kaffee. Marianne setzt sich auf den Stuhl mit dem „Lieblingsplatz“-Kissen. Wir schimpfen wieder über Corona. Dann verabschiede ich mich. Das Große wird erst im Kleinsten sichtbar.
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