Noch zwingt die Corona-Pandemie viele Beschäftigte ins Homeoffice, doch wer jetzt schon über die Rückkehr ins Büro nachdenkt, sollte dabei vielleicht einen prüfenden Blick auf den eigenen Sitzplatz werfen - zumindest wenn sich dieser in einem Großraumbüro befindet. Denn wie britische Wissenschaftler nun herausgefunden haben, ist für zufriedenes, produktives und teamorientiertes Arbeiten in solchen Büros unter anderem wichtig, was sich im eigenen Sichtfeld befindet.
Großraumbüros gelten seit einiger Zeit als Übel der modernen Arbeitswelt: Sie würden Beschäftigte nicht nur unkonzentriert und unzufrieden machen, sondern sogar gesundheitsschädlich sein, ergaben früherer Studien. Allerdings sei nicht jede Ecke im Großraumbüro gleich, betonen nun Forscher des britischen University College London in einer Studie: Bisher fehlten Erkenntnisse darüber, welche Bedeutung das Layout solcher Großraumbüros habe und welche Unterschiede es mit Blick auf die verschiedenen Schreibtischplätze gebe.
Je mehr Schreibtische im Blick, desto schlechter
Das Team um die Architektin Kerstin Sailer analysierte 2018 vier Stockwerke der Londoner Zentrale eines internationalen Technologieunternehmens. Zum einen wurden dessen Mitarbeiter zur Zufriedenheit mit ihren Arbeitsplätzen und Besprechungsräumen befragt, zum anderen wurden spezifische Informationen über die Sitzpositionen aller Teilnehmer erhoben. Die Auswertung der Daten ergab, dass Mitarbeiter mit einer höheren Anzahl von Schreibtischen in ihrem Blickfeld ihre Arbeitsplatzumgebung weniger positiv bewerteten. Ein Grund dafür, so die Autoren der Studie, könne sein, dass die verstellte Sicht ablenkend wirke und es schwieriger sei, mit Kollegen zu sprechen, ohne andere zu stören.
Kollegen im Rücken
Ebenso empfanden es die Mitarbeiter als negativ, wenn ihre Schreibtische vom Hauptraum abgewandt standen und sich in ihrem Rücken viele Kollegen befanden. Hier vermuten die Wissenschaftler, dass eine solche Sitzposition zu einem Gefühl mangelnder Kontrolle über die Umgebung führen könnte. Befragte aus diesen beiden Gruppen neigten insgesamt auch dazu, Aspekte der Teamarbeit wie den Austausch von Informationen mit anderen, die Teamidentität und den Zusammenhalt negativ zu bewerten.
Produktiver am Fenster
Im Gegensatz dazu schätzten sich jene Mitarbeiter, die dem Raum zugewandt saßen und relativ wenige Schreibtische in ihrer Sichtlinie hatten, als konzentrierter und produktiver ein und ihre Teams als besser verbunden. Ebenso positiv wirkte sich ein Fensterplatz aus: Die entsprechenden Mitarbeiter fühlten sich produktiver und konzentrierter als diejenigen, die an Wänden saßen.
We found that staff in smaller open-plan spaces with fewer desks in direct sight reported higher satisfaction with team cohesion, sharing info, concentration and working productively pic.twitter.com/L4V6HybbQa
— Dr Kerstin Sailer (@kerstinsailer) April 28, 2021
Allerdings hatte die Studie nur eine Rücklaufquote von 16 Prozent. Zudem, so schränken die Autoren selbst ein, leiteten sich die Erkenntnisse lediglich aus einer einzigen Firma ab. Entsprechend seien weitere Untersuchungen nötig, um zu überprüfen, ob sich die Ergebnisse verallgemeinern ließen.
Mitarbeiter in kleineren Büros zufriedener
Insgesamt berichteten Mitarbeiter in kleineren Großraumbüros über eine höhere Zufriedenheit mit dem Zusammenhalt im Team, dem Austausch von Informationen mit Kollegen, der Konzentration und dem produktiven Arbeiten. Gerade in der Technologiebranche sei der Trend indes ein ganz anderer: „In den letzten Jahren haben viele große Technologieunternehmen ‘Kathedralen‘ der Interaktion geplant oder gebaut, hauptsächlich im Silicon Valley“, schreiben die Autoren.
Unsere Ergebnisse werfen wichtige Fragen in Bezug auf die derzeit gängige Praxis der großen Großraumbüros für Tech-Unternehmen auf - größer ist nicht immer besser.
Dr. Kerstin Sailer
Solche Entwürfe würden sich mit großen, offenen Grundflächen rühmen, um Begegnungen und Zusammenarbeit zu unterstützen, die für Wissensarbeit unerlässlich seien: „Unsere Ergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass ein nuancierterer Ansatz in Bezug auf Offenheit vorzuziehen sein könnte.“ Konkret empfehlen die Wissenschaftler die Gestaltung kleinerer und intimerer Bereiche.
Reizüberflutung und Privatsphäreverlust
Insgesamt zeichnet die Studie so ein differenzierteres Bild vom Großraumbüro, das in den vergangenen Jahren durch andere Untersuchungen eher in Verruf geraten ist: So kamen etwa Forscher der Harvard Universität 2018 zu dem Schluss, dass das Großraumbüro für die direkte Kommunikation eher schädlich denn nützlich ist. Eine australische Überblicksstudie stellte schon 2008 fest, dass die Mehrheit der Beschäftigten in Großraumbüros über Reizüberflutung, niedrigere Produktivität, geringere Zufriedenheit und einen Verlust an Privatsphäre klagen.
Und auch eine Befragung der Hochschule Luzern von 2010 mit rund 1200 Büroangestellten ergab mehr Unzufriedenheit und Ablenkung, ebenso stieg die Krankheitsrate mit der Zahl der Mitarbeiter, die in einem Büro arbeiten. Bereits damals waren die Autoren zu dem Schluss gekommen: „Im Sinne der Nachhaltigkeit wäre es deshalb wünschenswert, wenn Unternehmen in Zukunft nicht nur die Flächenkosten in Franken pro Arbeitsplatz in ihre Wirtschaftlichkeitsberechnungen einbeziehen, sondern auch die indirekten Kosten, die durch negative Umgebungsbedingungen entstehen und zu Einschränkungen der Produktivität und zu Absenzen (Abwesenheiten) führen.“
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.