Erschütternder Brief

„Beten, weil ich sonst nichts mehr tun kann“

Österreich
03.05.2021 06:00

„Ihr Menschen da draußen!“ In einem Brief an die „Krone“-Leser berichtet Intensivschwester Gabriele Praßl vom täglichen Kampf ums Überleben der Patienten.

Meine Lieben! Ich habe etwas auf dem Herzen. Seit April arbeite ich auf einer Corona-Intensivstation. Von Freitag auf Samstag hatte ich Nachtdienst, und weil am Samstag herrliches Wetter war, bin ich zum Wiener Belvedere. Die Menschen dort zu sehen, wie sie spazieren, laufen, auf der Bank sitzen, das kommt mir so surreal vor.

(Bild: APA/GEORG HOCHMUTH)

Alles scheint so normal zu sein und obwohl ich weiß, dass auch für diese Menschen nichts normal ist, weiß ich auch, dass sich niemand von ihnen auch nur annähernd vorstellen kann, was sich auf den Intensivstationen gerade abspielt.

Ich weiß nicht, wer morgen noch leben wird
Als ich am Freitag in den Nachtdienst kam, waren drei von zehn Patienten verstorben, drei standen wieder auf der Kippe. Wir haben sie über die Nacht gebracht und sind stolz auf unsere Arbeit. Aber ich weiß nicht, wer morgen noch leben wird.

(Bild: APA/HELMUT FOHRINGER)

In meinen ersten Tagen auf dieser Abteilung habe ich einen Mann (52) betreut, der mir ans Herz gewachsen ist. Er hatte sehr viel Angst und oft Panikattacken.

An meinem letzten Tag von einer Reihe an Diensten, konnte er kaum mehr essen. Er sagte mir, dass Äpfel sein Lieblingsobst wären und dass es so schön wäre, wenn er einen haben könnte. Ich konnte ihm an dem Tag keinen mehr organisieren. Ich habe ihm bei meinem nächsten Dienst einen mitgebracht, aber da war er schon intubiert. Er konnte ihn nicht mehr essen. Und zu Dienstende stand es leider sehr schlecht um ihn.

Beten, weil ich sonst nichts mehr tun kann
Ich bin weder besonders religiös noch bin ich fromm, aber ich bin gläubig. Das hilft mir gerade. Ich war im Stephansdom, weil ich für diesen Mann beten wollte, damit er friedlich hinübergehen kann, weil ich sonst nichts mehr für ihn tun kann. Als ich fünf Minuten in der Kirche gesessen bin, hatte ich das Gefühl, dass das gar nicht notwendig ist, denn Gott hat ihm seine Angst längst genommen. Dann war mir nicht mehr so schwer ums Herz, traurig bin ich aber immer noch.

(Bild: APA/HELMUT FOHRINGER)

Frontsoldaten in einem schrecklichen Krieg
Diese Menschen, die auf Intensiv- und Covid-Stationen so abgeschottet von der Außenwelt um das nackte Überleben kämpfen, sind für mich wie Frontsoldaten in einem schrecklichen Krieg. Sie kämpfen tapfer um jeden Atemzug, liegen stundenlang auf dem Bauch, sind geduldig und machen jede Therapie mit, so gut sie können, versuchen, ihre Angst zu überwinden.

Ihr Menschen da draußen, die ihr mit euren Masken spazieren geht und von all dem, was sich im Krankenhaus abspielt, nichts mitbekommt: DANKE, dass ihr es tut, und bitte macht es weiter, aus Respekt vor jenen, die seit Wochen auf der Isolierstation liegen und tapfer kämpfen - und aus Respekt vor denen, die so tapfer gekämpft und verloren haben.

Es wird viel darüber gesprochen, wie anstrengend es für Pflegepersonal und Ärzte ist, in Schutzkleidung zu arbeiten. Das ist es, doch viel anstrengender ist es für mich, mit dem Schmerz umzugehen, der mich jetzt trifft. Und ich bin freiwillig dort, wenn ich nicht mehr kann, kann mich niemand zwingen, weiterzumachen. Aber es geht um die Menschen, die dort liegen! Für die haltet ihr euch an die Maßnahmen und dafür, dass es nicht noch mehr werden.

(Bild: APA/OÖG)

Es ist nicht irgendwo, nur hinter der Mauer
Seit fast 25 Jahren bin ich Krankenschwester, habe auf einer Intensivstation gearbeitet, diese Arbeit war noch nie einfach. Aber was sich gerade auf den Intensivstationen ereignet, das kann sich draußen niemand vorstellen. Ich muss es hier sagen, denn die Welt da draußen trennt von jenen drinnen in ihren Intensivbetten nur eine Mauer. Es ist nicht irgendwo, es ist nur eine Mauer dazwischen. Drinnen ist Krieg, draußen ist Frieden! Ich kann euch durchs Fenster sehen!

Danke, dass ihr uns nicht vergesst!

Kronen Zeitung

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