Sobotka zu Mauthausen:

„Irrsinn, sich heute mit NS-Opfern zu vergleichen“

Politik
05.05.2021 11:34

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka besuchte letzte Woche das Konzentrationslager Mauthausen. Am 5. Mai, dem Tag der Befreiung des Lagers, in dem Zigtausende Menschen ums Leben kamen, wird auch im Parlament gedacht. Ein Gespräch über Erinnerungskultur und Antisemitismus.

„Krone“: Am 5. Mai gedenkt Österreich wieder der Befreiung des Konzentrationslagers in Mauthausen. Wie wird diese Erinnerung weitergetragen, wenn die Zeitzeugen nicht mehr leben?
Wolfgang Sobotka: Es braucht immer eine Verknüpfung des persönlichen Narrativs mit den Daten der Geschichte. Wenn es keine Zeitzeugen mehr gibt, die darüber erzählen können, dann braucht es ein Erfahrungsgedächtnis. Es gibt verschiedenste Zugänge. Einer, der mir sehr zusagt, ist der von Luigi Toscano, der die Zeitzeugen fotografiert hat. Das adressiert sehr stark emotional. Es kann die Kunst sein oder eine Tätigkeit, die den Bogen zur Gegenwart schlägt. Die Geschichtslinie kann auch in ihrer Länge weitererzählt werden, die man mit persönlichen Erlebnissen der zweiten, dritten, vierten Generation verschneidet. Ich bin dritte Generation nach dem Holocaust, meine Kinder die vierte. Mein Vater war im 2. Weltkrieg und wurde verwundet, war nationalsozialistisch erzogen. Wie er sich entwickelt hat danach, das erzeugt wieder eine neue Dynamik. Es muss eine Staffel erzeugt werden. Das kann den Erfahrungshorizont vorantreiben.

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) bei Besichtigung des ehemaligen KZ Mauthausen (Bild: Parlamentsdirektion/Johannes Zinner)
Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) bei Besichtigung des ehemaligen KZ Mauthausen

Was bedeutet die Digitalisierung für die Erinnerungskultur?
Die größte Herausforderung aktuell ist eine zunehmend digitalisierte Welt. Man kann auf Bilder und Filme aus dieser Zeit zurückgreifen, andererseits gibt es auch die Gefahr von Verkürzungen. Wichtig ist, dass wir unser Geschichtsbild verändert haben, dass wir weggekommen sind vom Opfermythos. Es gab lange Zeit kein Bekenntnis zur Täterschaft. Der 5. Mai ist dadurch immer sehr frisch.

Wie findet das Gedenken in Zeiten von Corona statt?
Aufgrund von Corona gibt es einen neuen Impuls. Wir können bei den Gedenkfeiern kein richtiges Programm einspielen. Diesmal fand ein moderiertes Gespräch im neu restaurierten Küchentrakt der Gedenkstätte Mauthausen statt, das in die Gedenkveranstaltung am 5. Mai im Parlament einfließen wird. Mit den Bildern von Luigi Toscano. Der Ort hat so eine Kraft, Besinnung und Würde. Vielleicht halten wir das in Zukunft auch so. Das Gedenken ist dort authentischer als die Hofburg oder das Parlament mit ihren imperialen Strukturen.

Gelingen die Aufarbeitung und der Kampf gegen Antisemitismus?
Wir haben 1970 pro Jahr in der Gedenkstätte Mauthausen 6000 Besucher gezählt, heute sind es 300.000. Die Jungen wollen heute mehr wissen. Junge gebildete Menschen verwenden weniger Stereotype, wie sie Jahrhunderte lang transportiert wurden. Bildung ist daher auch in diesem Bereich extrem wichtig, um dem Antisemitismus begegnen zu können. Und es braucht eine klare Positionierung der Regierung, die es seit Jahren auch gibt. Etwa mit der Shoa-Namensmauer. Der Dehumanisierung durch die Nummernvergabe durch die Nationalsozialisten wurde mit der Namensnennung ein wichtiger Bezugspunkt entgegengesetzt. Ebenso wichtig ist das Angebot von Staatsbürgerschaften an Vertriebene.

Video zu Mauthausen-Gedenken: Jeder Name zählt!

Ist damit genug getan?
Es braucht auch ein ganz deutliches gesellschaftliches Signal. Damit Stereotype und Vorurteile verschwinden. Die „Ostküste“, „die werden es sich richten“. Ein zivilgesellschaftliches Engagement gegen die Stereotype, das muss in die Köpfe der Menschen. Das braucht es, um den Jahrhunderte alten, epigenetischen Antisemitismus zu bekämpfen.

Heute haben wir verschiedene Arten von Antisemitismus …
Wir haben früher immer nur auf einen Antisemitismus geschaut, nämlich den rechten. Das war anfangs auch gut so. Aber mittlerweile gibt es auch einen linken, antiisraelischen und einen importierten Antisemitismus. Es gibt Studien. Wir glaubten immer, es ist nur der rechte Rand. Nein, es ist die Mitte, und dann poppt er an den Rändern auf. In der Mitte kursieren die althergebrachten Stereotype wie „Die Juden richten es sich schon“, das ist das Gefährliche. Da wird einem übel.

Im Zuge von Corona-Protesten tauchen auch wieder antisemitische Codes und zweifelhafte Vergleiche auf ...
Da gibt es Leute, die das aufgreifen und bei Demonstrationen sagen „Wir sind die neuen Juden“, spazieren mit dem David-Stern herum und vergleichen sich mit NS-Opfern. Das ist Irrsinn.

Sie erwähnten auch den importierten Antisemitismus. Damit meinen sie jenen aus muslimischen Regionen?
Man muss differenzieren. Syrien, Iran etc., dort kommt der anerzogene importierte Antisemitismus her, bei Bosniern zum Beispiel ist das ganz anders, oder auch bei Türken. Numerisch gibt es eben mehr Menschen aus arabischen Gegenden als die klassischen Rechten bei uns. Daher gibt es auch mehr von diesem importierten Antisemitismus als den klassischen. Da bedarf es umfassender Aufklärungsarbeit. Fest steht: Alle Arten von Antisemitismus müssen bekämpft werden.

Wie kann man dagegen ankämpfen?
Mit Besuchen der Gedenkstätte Mauthausen, und Geschichten in Parallelitäten setzen. Es sind Studien im Gange, die wir im Herbst präsentieren wollen. Den Antisemitismus werden wir so schnell nicht beseitigen können. Mir ist lieber, es gibt einen Bodensatz und in der breiten Gesellschaft kommt er nicht an, als er nimmt seinen Ausgang von der Mitte.

In den letzten Jahren gab es immer wieder antisemitische und NS-affine Entgleisungen im FPÖ-Umfeld. Wie problematisch ist das?
Jede Partei muss ihre Geschichte aufarbeiten, das haben die ÖVP und die SPÖ getan. Die FPÖ ist noch immer nicht fertig damit, trotz großer Ankündigungen. Das ist ganz entscheidend, man muss sich auch mit den negativen Aspekten seiner Vergangenheit auseinandersetzen. Wenn mit versteckten Codes operiert wird, dann habe ich da eine klare Haltung. Ich trete auch ganz vehement dagegen auf. Meine Rede zum Simon-Wiesenthal-Preis, als ich während der Debatte im Parlament das Wort ergriffen habe, ist ein Beispiel dafür. Weil sich alle Parteien einig waren, nur die FPÖ wollte stattdessen, dass der Preis Bruno-Kreisky-Preis heißen soll. Da macht man den Bock zum Gärtner. Man hat in den Jahrzehnten alles unter den Tisch gekehrt, das ist zum Glück vorbei. Und das lassen wir uns nicht mehr zerstören. Es geht auch um das Verhältnis zu Israel, den Jüdinnen und Juden und unsere internationale Reputation. Unter Bundeskanzler Sebastian Kurz haben wir ein sehr gutes Verhältnis zu Israel aufgebaut, in allen Bereichen.

Der jahrzehntelang gepflegte Opfermythos ist ja nicht mehr existent. Spielte jedoch eine große Rolle für Österreichs Identität der Nachkriegszeit. Wie ist das heute zu beurteilen?
Was mir sehr wichtig ist, ist auch aufzuzeigen, wie ist Österreich mit dem Längsschnitt umgegangen. Woher gründet sich unsere Identität? War es die Kultur, Fußball, Lipizzaner? Es reicht nicht zu sagen, die sieben Jahre Krieg waren katastrophal. Sondern auch zu fragen, warum hat es so lange gedauert hat, bis wir uns mit diesem Kapitel der Geschichte kritisch auseinandergesetzt haben. Da können wir uns von den Deutschen etwas abschauen. Wir waren da immer ein bisschen bequem, und haben uns hinter dem Opfermythos versteckt. Die Jugendlichen von heute fragen sich warum. Warum hat man damals weggeschaut, nicht geholfen? Alles vor Kurt Waldheim war Schweigen. Ich zitiere da gerne Viktor Frankl. Er hat gesagt: Es gibt keine Kollektivschuld, aber eine Kollektivverantwortung.

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