Briten gegen Franzosen
Ein tausendjähriger Familienstreit
Sie nennen sich „Roastbeef“ und „Frösche“ und fallen sich diplomatisch in den Rücken, wenn sich die Gelegenheit ergibt. Der aktuelle Streit um die Fischereizonen zwischen Frankreich und Großbritannien, der sogar dazu führte, dass Kriegsschiffe in den Ärmelkanal entsendet wurden, ist eine weitere Ausgeburt dieser historisch gewachsenen Familienfehde.
Es gibt einen bekannten Sketch des britischen Star-Komikers Rowan Atkinson („Mr. Bean“), in dem er den Teufel mimt und allerlei Verbrecher in der Hölle willkommen heißt. Am Ende der Durchzählung fragt er laut in die Runde, ob „die Franzosen auch schon da sind“. Auch in seiner zweiten Paraderolle - nach Mr. Bean - als britischer Adeliger in der Serie „Blackadder“ wird der Komiker nicht müde, die Abneigung seiner britischen Charaktere gegenüber den Franzosen zu suggerieren. Gewiss, hier geht es um Humoresken. Doch es steht sinnbildlich für das Verhältnis zwischen Briten und Franzosen.
Dem ein tausendjähriger Familienstreit zugrunde liegt. Der Normannenkönig Wilhelm der Eroberer erobert 1066 England. Also ein Franzose. Das französisch-stämmige Haus Anjou-Plantagenet, dem unter anderem Richard Löwenherz angehörte (der angeblich kein Wort Englisch, sondern nur Französisch sprach), führte bis in den sogenannten Hundertjährigen Krieg mit Frankreich auf dem Thron Englands. Hintergrund: England hatte großen Einfluss auf den französischen Hof und große Besitzungen in Frankreich, wurde aber zusehends aus dem Land gedrängt.
Obwohl der französische König gleichgestellt war, forderte der englische König Edward III. den französischen Thron. Immerhin waren ja alle irgendwie miteinander verwandt. Das gefiel den Franzosen nicht, die zudem die widerspenstigen Schotten in deren Unabhängigkeitskrieg unterstützten. 1337 gilt gemeinhin als Auftaktjahr zum Hundertjährigen Krieg - der eigentlich ein großer Familienstreit war - , an dessen Ende 1453 vor allem eines stand: zwei vor Selbstbewusstsein strotzende Nationen.
Frankreich war frei von ausländischen Mächten und entwickelte ein starkes Nationalbewusstsein, ebenso wie England, wo die adelige Oberschicht sich zudem von der französischen Sprache verabschiedete. Der Grundstein für eine dauerhafte Rivalität war gelegt. Frankreich und England standen auch oft auf derselben Seite, wie im Krimkrieg, beiden Weltkriegen und der Suezkrise. Recht grün war man sich jedoch nie. Im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (1775-1783) unterstützten die Franzosen die aufständischen Amerikaner, die Koalitionskriege gegen Napoleon (1792-1815) besserten das Verhältnis auch nicht von Dauer.
Im Zeitalter des Imperialismus wetteiferten Briten und Franzosen immer wieder in Afrika und im Nahen Osten. Bei ihrem jeweiligen Bestreben, zusammenhängende Kolonialgebiete zu erschließen, standen sich beide plötzlich in Faschoda 1898 gegenüber. Als Deutschland sich noch dazu auf die Seiten Englands stellte, führte das beinahe zum Weltkrieg.
Eine gerade Linie im Sand
Mit Beginn des 20. Jahrhunderts waren es jedoch nicht mehr direkte militärische Konflikte, in die sich die Briten und Franzosen verstrickten, sondern diplomatische Intrigen. Wie Geschwister, die Gefallen am gegenseitigen Sekkieren haben. 1916 einigte man sich durch die „Linie im Sand“, wie man das Sykes-Picot-Abkommen nannte, über die Aufteilung im Nahen Osten. Ein gerader Strich von Akko im heutigen Israel bis Kirkuk im heutigen Irak. Der Norden gehörte den Engländern, der Süden den Franzosen. So recht passte das den Briten nicht und so knöpften sie den Franzosen das erdölreiche Gebiet rund um Mossul im heutigen Irak ab und besetzten Palästina.
Als dort 1936 ein Aufstand ausbrach, verweigerten die Franzosen den Briten die Unterstützung. Die Briten befriedeten die aufgebrachten Araber durch einen Einwanderungsstopp und dem Versprechen baldiger Unabhängigkeit und verärgerten dadurch die Juden in Palästina, die sich nun mit französischer Unterstützung gegen die Besatzer wandten. Mit Ende des 2. Weltkrieges gewährte England dem Libanon und Syrien die volle Unabhängigkeit - gegen den Willen der Franzosen hinweg, die gezwungen waren, ihre Truppen aus dem Nahen Osten abzuziehen. Nun waren alle Länder des Nahen Ostens frei - außer Palästina. Die Franzosen waren bis 1956 der wichtigste Waffenlieferant Israels, das sich als Staat etablieren konnte.
Misstrauisch: Charles De Gaulle
Charles de Gaulle, eine der wichtigsten französischen Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts, hatte eine tiefe Abneigung gegen „les rosbifs“, wie er die Briten nannte. Und ähnelte damit seinem Bündnispartner in zwei Weltkriegen: Winston Churchill. De Gaulle musste vor den Nazis nach London fliehen, Churchill erlaubte ihm, über die Radio BBC Ansprachen nach Frankreich zu senden. Er wusste um seine Bedeutung für die Resistance, mochte seine herrschsüchtige Art jedoch nicht. Eine Abneigung, die auf Gegenseitigkeit beruhte. De Gaulle misstraute den Engländern. 1958 wurde De Gaulle Präsident Frankreichs und schrieb die noch heute gültige Verfassung der fünften Republik, die dem Staatspräsidenten viel Macht verleiht.
Kurz zuvor wurde mit Frankreich, Deutschland, Italien und den Benelux-Ländern die EWG gegründet, der Vorläufer der EU. Ohne Großbritannien. De Gaulle legte gegen den Beitritt ein Veto ein. England sei eine Insel und die„maritime“ Kultur Großbritanniens bedeutete, dass es nicht wirklich europäisch war und außerdem seien die Briten ein Trojanisches Pferd der USA. De Gaulle fürchtete in Wahrheit um die französische Hegemonie in der Gemeinschaft, falls die Briten beitreten sollten. Also legte er sich systematisch quer. Er wusste allerdings auch, dass einem Beitritt der Briten nach seinem Tod niemand mehr im Wege stehen würde.
De Gaulle starb 1970. 1973 trat Großbritannien der EU bei. Die Sticheleien blieben. Von der aggressiven EU-Politik Margaret Thatchers einmal abgesehen, bezeichnete Frankreichs Premierministerin Edith Cresson ein Viertel der Engländer als homosexuell und das sei doch wohl ein Zeichen von Schwäche. Präsident Jacques Chirac betonte, man könne nun mal Menschen nicht trauen, die so schlecht kochten wie die Briten.
Sarkozys Schadenfreude
Der französische Ex-Präsident Nicolas Sarkozy machte seiner Schadenfreude Luft, als 2009 ein Franzose Binnenmarktkommissar wurde. Es sei beruhigend, dass nun die französischen Vorstellungen von einer Regulierung der Finanzmärkte in Europa die Oberhand gewännen. Der Name des Kommissars: Michel Barnier. Dieser führte bis zum Abschluss nach dem Brexit der Briten 2016 die Verhandlungen und ließ in seinem kürzlich erschienen „Geheimen Brexit-Tagebuch“ kein gutes Haar an den Briten. Er nannte die britische Politik unvorbereitet und schlampig, Premierminister Boris Johnson einen maliziösen Bulldozer.
Und nun der Streit um die Fischereizonen. Rund um die Insel Jersey, die in britischem Kronbesitz ist, obwohl 100 Seemeilen weg von der britischen Küste, jedoch nur 20 von der französischen (siehe Grafik oben). Der Brexit-Vertrag sieht eine fünfjährige Übergangslösung vor, in der die französischen Fischer Auflagen für eine Genehmigung zum Fischfang in britischen Gewässern vorweisen müssen. Die Franzosen sehen darin bürokratische Schikanen. 344 Anfragen sind eingegangen, nur 41 bekamen eine Fangerlaubnis. Die französischen Fischer drohten mit einer Blockade des Hafens auf Jersey, die Briten schickten Kriegsschiffe, die Franzosen ebenso.
Frankreich drohte sogar, das Unterwasserstromkabel zu kappen. Der „Daily Telegraph“ zitiert eine Quelle der Regierung von Jersey, die feststellt, dass „zumindest als die Deutschen einmarschierten, sie das Licht nicht ausschalteten“ - ein Bezug auf die Besetzung der Insel durch die Nazis während des Zweiten Weltkriegs. Am Ende beruhigte sich die Lage wieder. Die französischen Fischer zogen sich zurück, ebenso alle Kriegsschiffe. Die „Daily Mail“ spottete von der „großen, französischen Kapitulation“. Bis zur nächsten Gelegenheit, dem tausendjährigen Familienstreit ein weiteres Kapitel hinzuzufügen.
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