Am 29. April wurde in Wien eine Krankenpflegerin von dem Vater ihrer beiden Kinder erschossen. Der grauenhaften Tat war ein jahrelanges Beziehungsmartyrium vorausgegangen. „Ich hatte schon lange Angst um Marija“, sagt nun die Mutter der Getöteten in der „Krone“.
Die Atmosphäre ist bedrückend, in der Wohnung der Eltern von Marija M. Überall, in Kästen, Regalen, auf Tischen stehen Grabkerzen; neben Bildern der Verstorbenen. Von früher, als sie noch ein Baby war, aus ihrer Kindheit und Jugend. Und von später. Mit ihrer Tochter und dem Sohn, mit ihren Eltern und Brüdern; in Vergnügungsparks, bei Ausflügen, bei Urlauben am Meer und in den Bergen. Die Fotos - sie zeigen einen Menschen, der glücklich gewesen zu sein scheint. Der viel gelacht hat.
„Er hatte ihr auch davor schon Böses angetan“
„Ja, meine Tochter war eine fröhliche Frau“, sagt ihre Mutter Slobodanka leise, und dicke Tränen laufen über ihre Wangen, „denn sie wollte immer nur das Gute sehen. Sogar in Ali (Albert L.), der ihr doch so viel Böses angetan hatte, so oft schon.“
Die grauenhafte Tat von Albert L. (42) am 29. April, „sie war das Ende eines jahrelangen Martyriums, dem mein Kind durch ihn ausgesetzt gewesen ist“. Erst kurz davor hatte sich die junge Frau von dem Mann wieder einmal getrennt, „diesmal, das wusste er, würde es ein endgültiger Schritt sein. Weil Marija ihm nie hätte verzeihen können, was er ihrem Papa angetan hatte.“
„Beinahe hätte er meinen Mann getötet“
Mitte April, als die Eltern der 35-Jährigen auf deren beiden Kinder aufgepasst hatten, während sie, Krankenpflegerin von Beruf, einen Zwölf-Stunden-Dienst im Spital versah.
Slobodanka und Borivoje M. waren also in ihrer Wohnung im Winarskyhof in Wien-Brigittenau, kochten für die zwei Enkel und spielten mit ihnen, „als Ali uns plötzlich ,überfiel‘, wie ein Irrer in Läden und Säcken nach seinem Handy suchte und dann seine Tochter in ihr Zimmer zerrte und dort - vor ihren Augen - Pfefferspray versprühte“. Das 13-jährige Mädchen begann daraufhin zu weinen, ihr Bruder - er ist erst zwei - laut zu schreien. „Mein Mann bat Ali zu gehen, im Vorraum kam es dann beinahe zu einem Drama.“
Albert L. holte eine Pistole aus seiner Hosentasche, lud sie und gab zwei Schüsse ab. Eine Kugel schlug in der Decke ein, eine zweite verfehlte Borivoje M. nur knapp. „Und natürlich erzählten wir Marija über den entsetzlichen Vorfall.“ Von einer Anzeige sah die Familie jedoch ab: „Weil wir fürchteten, dass Ali in der Folge noch gefährlicher werden könnte.“
„Er hat uns alle oft mit Mord bedroht“
Ali - Albert L., der seit dem Teenageralter immer wieder bei der Polizei wegen Gewalt- und Drogendelikten aufgefallen war. Jener „Bierwirt“, der Sigrid Maurer, die Klubobfrau der Grünen, mit obszönen Nachrichten belästigt haben soll. „Und seit einer kleinen Ewigkeit hat er ja auch meinen Mann, mich, unsere beiden Söhne und Marija mit Mord bedroht - sollte sie ihn verlassen.“
Nachdem Marija Ali verlassen hatte, wollten mein Mann und ich, dass sie mit ihren Kindern bei uns untertaucht.
Die Mutter des Opfers
„Wir wollten sie doch beschützen“
„Darum“, schluchzt die 56-Jährige, „waren wir freilich um ihre Sicherheit besorgt, als sie das tatsächlich getan hatte. Dauernd versuchten wir deshalb, sie dazu zu überreden - zumindest für ein paar Monate -, mit ihren Kindern bei uns unterzutauchen. Aber sie wollte das nicht. ,Ali ist der Papa meiner Kleinen. Er wird mir nichts antun‘, meinte sie.“
Marija M. hatte sich getäuscht: Am 29. April, gegen 20 Uhr, verschaffte er sich Zutritt zu ihrer Wohnung - und schoss auf sie, in den Oberschenkel, in den Kopf. Während der gemeinsame Bub in der Badewanne saß und das Mädchen im Hof mit Freunden tratschte. Rasch erfuhren die Eltern von dem Geschehenen, sie rasten zum Tatort, „wir konnten nicht zu unserer Tochter, die Gegend war großräumig abgesperrt“.
„Ich kann nicht schlafen, nicht essen“
Ein Kriseninterventionsteam teilte ihnen schließlich mit, dass Marija bereits im AKH wäre, „ihre Brüder fuhren dorthin“. Gegen Mitternacht die Todesnachricht. „Bis zum Schluss hatte ich geglaubt, mein Kind würde überleben. Als ich erfuhr, dass es gestorben war, brach ich zusammen.“
Slobodanka M., sie kann seitdem nicht mehr schlafen, nicht mehr essen, „ich kann einfach nur noch weinen. Denn wie soll ich überwinden, dass Marija nicht mehr lebt? Wie? Wie?“, fragt die Frau immer wieder - und erwartet keine Antwort.
„Ich denke rund um die Uhr an sie“
Rund um die Uhr denke sie an ihre Tochter, an schöne Erlebnisse mit ihr, an die Vergangenheit; als sie noch ein Kind gewesen ist.
Marija M.s Eltern stammen aus Serbien. Früh waren sie nach Österreich ausgewandert und hatten es schnell geschafft, sich hier eine gesicherte Existenz aufzubauen. Die Frau arbeitete fleißig als Reinigungskraft, der Mann in Lagern, als Behindertenfahrer, seit elf Jahren ist er Hausmeister beim Magistrat. Die zwei Söhne und die Tochter wuchsen in behüteten Verhältnissen auf.
„Sie war unsere Prinzessin“
„Marija - wir nannten sie unsere Prinzessin.“ Brav habe sie gelernt, nach der Schule eine Ausbildung zur Zahnarzthelferin, später zur Kinderkrankenschwester gemacht. Von klein an sei sie „besonders gutmütig und empathisch“ gewesen. „Sie liebte Tiere sehr, rettete verletzte Vögel und pflegte sie daheim gesund.“
Albert L. kannte sie, seit sie acht gewesen ist - seine Schwester war bis zuletzt ihre beste Freundin. Mit etwa 20 verliebte sie sich in Ali: „Von Anfang an waren wir gegen diese Beziehung“, weil der Mann „überhaupt nicht zu unserer Tochter passte. Sie war ordentlich, strebsam, extrem gutmütig. Er aggressiv, faul. Machte krumme Geschäfte, wollte nie geregelten Jobs nachgehen. Nahm Drogen, trank viel Alkohol. Unterstützte sie kaum bei der Betreuung der Kinder. Während sie in ihrer kargen Freizeit sogar seine kranke Oma versorgte.“
„Du verdienst einen besseren Partner, löse dich von Ali, er bringt dir Unglück“, versuchte Slobodanka M. Marija ständig einzubläuen. Vergeblich. „Sie sagte dann stets: Wenn ich ihn fallen lasse, geht er völlig unter. Das will - und kann - ich ihm nicht antun.“
Es ist wichtig für den Seelenfrieden der Familie des Opfers, dass der Täter gerecht - also hart - bestraft wird.
Anwältin Astrid Wagner
Und die junge Frau verzieh ihm, wenn er sie wieder einmal im Suff verprügelt hatte; sie verzieh ihm, wenn er, manchmal tagelang, nicht nach Hause kam. Sie war froh, als er vor zwei Jahren ein Lokal pachtete, „sie dachte, er würde dadurch vielleicht verantwortungsbewusster werden“. Sie fand einfach für jeden seiner „Ausraster“ Entschuldigungen. Weil sie nie die Hoffnung verlor, er würde irgendwann „ruhiger“ werden - „und weil sie ihren Kleinen nicht den Papa nehmen wollte“.
„Im Himmel werden wir wieder zusammen sein“
Die zwei Kinder sind jetzt bei den Großeltern untergebracht. „Für sie“, sagt Slobodanka M., „muss ich stark sein, obwohl ich schwach bin. Denn ich schulde es meiner Tochter, für die beiden - die ein Teil von ihr sind - das Beste zu geben. Für sie da zu sein, sie zu trösten.“ Aber wie soll das möglich sein? „Mit meinem tiefen Glauben an Gott und damit daran, dass wir alle mit Marija im Himmel wieder zusammen sein werden.“
Ich muss jetzt stark sein, obwohl ich schwach bin. Denn ich bin Marija schuldig, dass ich mich um ihre Kinder kümmere.
Slobodanka M.
Die Empfindungen der Frau, dem Täter gegenüber? „Ich kann ihn nicht hassen. Weil in meinem Herzen nur ein Gefühl Platz hat: der unendliche Schmerz um meine geliebte Tochter.“
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