Staatenlose Staatsmeister für Österreich. Das Projekt „Freedom Fighters“ von Kampfsport-Legende Ronny Kokert muss sich viel Kritik gefallen lassen. Kampfsporttraining mit Kriegsflüchtlingen - diese Idee gefällt nicht jedem. Ein Besuch bei den Kickboxern zeigt, wie kreativ Integration sein kann.
„Meister Ronny“, wie die Burschen zwischen 18 und 23 ihn ehrfurchtsvoll nennen, ist Kampfsport-Weltmeister und gründete „Shinergy“ - eine Mischung aus verschiedenen Kampfkünsten. Nun trainieren sie täglich gemeinsam. Als Spitzensportler können sie auch während Corona indoor trainieren, mit Tests und Masken. Sie kommen aus Afghanistan, Syrien und dem Irak. Schon 2015 engagierte sich Kokert sozial und half im Lager Traiskirchen. Er hat auch Flüchtlinge in Moria auf Lesbos im Kickboxen trainiert und schlich sich sogar ins neue Lager Kara Tepe, um dort persönlich Spendengelder zu verteilen.
Dazwischen gründete er die „Freedom Fighters“ ein Team aus Flüchtlingen, die er für Kickbox-Meisterschaften fit gemacht hat. Erstmals konnten „Nicht-Österreicher“ durch eine Ausnahmeregelung für unser Land - als Staatenlose - antreten. „Wir haben in den letzten fünf Jahren sicher schon über 70 Medaillen gewonnen“, erklärt Kokert stolz.
„Kämpfen zu können, bedeutet nicht kämpfen zu müssen.“ So lautet der Leitsatz des Champions. Alle wiederholen ihn hier wie ein Mantra. Schon nach einem Jahr zeichneten sich die Erfolge der Aktion ab. Zwei Staatsmeistertitel, World Cup Medaillen, Internationale Turniere, bis hin zu einem Weltmeister und Vize-Weltmeister. In Wien-Alsergrund befindet sich die Trainingsbasis. Trainiert wird mehrmals in der Woche.
Gemeinsame Ziele sind Turniertitel, Lehrgänge, Arbeitsplätze
„Als ich herkam, habe ich verstanden, wie ich mit Stress umgehe und wie ich ein besseres Leben aufbauen kann. Wir lernen hier, wie wir miteinander umgehen sollen, und Respekt.“ Sagt Hussein Evazali, 18, ein HTL-Schüler, der „ein guter Bauingenieur“ werden will. Seine Siege: K1 Staatsmeister 2020, Weiz Open Sieger 2019. Hier sind alle zielstrebig - der Fokus liegt nicht beim Stressabbau durch Schläge und Tritte, sondern auf gemeinsamen Zielen wie Turniertitel, Lehrgänge und Arbeitsplätze. Kokert hilft, wo er kann, sei es mit Empfehlungsschreiben oder einfach nur mit einem guten Rat. Mittlerweile sind alle eng miteinander verbunden und Freunde geworden. Angst vor Abschiebung und Sorge um die Familie sind die Themen, die sie verbinden, die besser gemeinsam als alleine zu bewältigen sind.
„Mein Ziel ist es, Weltmeister zu sein“, stellt Ismail Noori, 22, fest. Dabei ist er bereits österreichischer Staatsmeister 2017 und 2018 und World Cup Sieger 2019 im Kickboxen sowie gelernter Koch im traditionsreichen Hotel Sacher. Ein fundiertes Rindsgulaschrezept hat er seit seinem ersten Lehrjahr intus. Auch wie man mit Fremdenfeindlichkeit oder Angriffslustigen umgeht, lernte er in diesem Turnsaal von „Meister Ronny“. Wenn jemand mit „Herst Oida, was is?“ auf Angriff geht, reicht es, gelassen, friedlich und freundlich weiterzugehen. „Das habe ich hier gelernt.“
Nicht alle haben die schwierige Phase von Erstgesprächen und diversen Anträgen bei den Asylverfahren bereits überstanden. Offen und mutig beschreibt Zubairuddin Hussaini seine Situation. „Ich gehe alle zwei Wochen zur Psychotherapeutin und zur Therapie, sie beobachtet, wie es mir geht, und verschreibt mir Medikamente.“ Auch „Isi“ erinnert sich an seine Therapie. „Ich war damals sogar zweimal die Woche.“
Es geht darum, „nicht mehr kämpfen zu müssen“
Kokert hat Verständnis dafür, dass nicht alle blitzartig die positiven Aspekte des Trainings durchschauen. Er bilde keine Kampfmaschinen aus, sondern bietet den Flüchtlingen mit Übungen ein Ventil für persönliche Verzweiflung - und mit den Wettkämpfen obendrauf Ziele. „Wenn man genau hinschaut, wird man sehen, dass es uns ums ,Nicht mehr kämpfen zu müssen‘ geht. Angst, Aggression und Wut einen Raum zu geben und konstruktiv damit umzugehen.“ Sein Resümee: „Wenn man diese Burschen näher kennenlernt und mit ihnen ins Gespräch kommt, wird man merken, welch wunderbare Menschen da auch herkommen, man wird das Potenzial erkennen und seine Vorurteile abbauen.“
Kickbox-Training ersetzt Wertekurs
Sharif Ali Zadah ist 23 und Vize-Staatsmeister 2018 sowie World Cup Sieger 2017 und Tischler: „Wir haben Frauenprojekte unterstützt, auch beim Projekt „FiP“ („Frühstück im Park“) für Obdachlose helfe ich mit und verteile Frühstück. Seit ein paar Monaten habe ich meinen positiven Asylbescheid.“ „,Meister Ronny‘ hat uns viel geholfen und uns viel Kultur beigebracht. Ich habe jetzt einen Job bekommen und meinen Schulabschluss nachgeholt und freue mich, dass ich in Österreich leben kann.“ Abdullhalegh Nurzai, 26, ist Staatsmeister 2020, Weiz Open Sieger 2019 und jobbt nun als Security. Bei Ali Reza Kazimierz, 29, hat die „Shinergy“-Ausbildung nicht nur zwei Staatsmeister- und einen K1 Vizeweltmeistertitel gebracht, sondern auch zur Hochzeit geführt. Er arbeitet als „Shinergy“-Trainer und lernte hier auch seine große Liebe kennen. „Wir haben alles aus dem Wertekurs hier gelernt. Auch das gemeinsame Trainieren mit Frauen.“
Staatenlos im Nationalteam
Im Mai findet voraussichtlich die nächste österreichische Staatsmeisterschaft statt. Ziel ist es, wieder einige „Freedom Fighters“ ins Nationalteam zu bringen. „Das war eine Sensation, dass der Kickboxverband damals eine Ausnahmeregelung ins Leben gerufen hat. Die ,Freedom Fighters‘ waren staatenlos und durften für Österreich antreten“, sagt Kokert. „Das Schönste bei der WM war der Umgang miteinander, wie die Burschen auf ihren Gegner geachtet haben, wie respektvoll sie miteinander umgegangen sind.“
Manche Burschen waren „zu aggressiv, zu rücksichtslos“
Vor und nach dem Training trifft man sich gemeinsam auf einer Parkbank im nahe gelegenen Alten AKH. Kokert zeigt sein Buch, das er über seine Zeit mit den „Burschen“ geschrieben hat. „Der Weg zur Freiheit“ erzählt von den Höhen und Tiefen der Begegnungen zwischen ihm und den Flüchtlingen. Kokert wurde durch sie mit mehr Sinnhaftigkeit im Leben belohnt. „Ich bin nur der Geschichtenerzähler, das ist eure Geschichte“ - und diese Geschichte beschreibt, wie Kokert zur Freiheit und inneren Ruhe fand. „Nicht alle“, erzählt Kokert, hat er in sein Projekt aufnehmen können. „Es gab auch viele Rückschläge und Scheitern. Ich konnte nicht alle Burschen trainieren, ich habe in den letzten Jahren um die 300 Teilnehmer gehabt. Wir konnten nicht alle aufnehmen, manche waren zu aggressiv, zu rücksichtslos, zu sehr in ihrer Prägung gefangen mit religiösen Dogmen und wollten sich vor anderen nicht verbeugen. Aber alle, die geblieben sind, haben ihren Weg gefunden.“
Eventuell expandiert Kokert, falls es die Zeit nach Corona erlaubt. Sein Kampf für Gerechtigkeit geht dafür in die nächste Runde und so wird er demnächst wieder einmal Flüchtlingen auf Lesbos 10.000 Euro an Spenden überbringen - denn auch das sieht er als seine Aufgabe. Und vielleicht boxen einige der Jugendlichen dort bald in Wien um Medaillen mit.
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