In seiner Serie „Die Letzten“ porträtiert der Autor Robert Schneider Menschen, die einem alten Handwerk oder einer alten Kulturtechnik nachgehen. Neulich hat er den Steinmetz Stefan Summer besucht:
Es ist ein nasskalter Frühlingstag. Auf den Bergen ist wieder reichlich Schnee gefallen. Der Steinmetz Stefan Summer hat mich in sein Haus in Koblach eingeladen, um mir die Nahtstelle zwischen altem und neuem Steinmetzhandwerk zu erklären. Der Fotograf ist schon da, hat sein Setting bereits aufgebaut. Die beiden unterhalten sich. „Bin ich wieder zu spät?“, entschuldige ich mich. „Wir sind zu früh“, sagt Herr Summer und lacht. Mir fällt ein Stein vom Herzen, um gleich ins Thema zu fallen.
Was der Unterschied zwischen einem Steinmetz und einem Steinbildhauer ist, will ich wissen, als wir uns begrüßen. „Der Steinmetz ist der Handwerker. Er hat immer einen Winkel bei sich, misst und schabloniert. Während ein Bildhauer visuell arbeitet, mit dem Meißel wegschlägt, was nicht zur Figur gehört.“
Man hat den Felsen studiert, ihm sozusagen zugehört, denn jeder Stein hat seine Seele.
Stefan Summer
Ein starker Mann
Man sieht ihm an, dass er ein Leben lang körperlich hart gearbeitet hat. Er ist ein starker Mann mit kräftigen Oberarmen und verschafften Händen. Stefan Summer hat sich gründlich auf meinen Besuch vorbereitet und sich viel angetan. Meißel unterschiedlicher Härtegrade, Spitzeisen, Zahneisen, gezackte Krönel- und Stockhämmer hat er bereitgelegt. Werkzeug, das heute nur noch selten verwendet wird. „Früher, lange vor der Erfindung der hochkomplexen CNC-Fräsanlagen, wurden die Blöcke noch mit Stahlsand oder Korund gesägt. Das war eine langwierige Arbeit“, erzählt Herr Summer, und man spürt ein wenig Wehmut in den Worten. Das Handwerk hatte damals noch seine Zeit. „Es begann schon damit, dass man sich den Block im Steinbruch genau angesehen hat. Wie ist er gelagert? Wo sind die Schichten, zum Beispiel bei verdichtetem Marmor? Man hat den Felsen studiert, ihm sozusagen zugehört, denn jeder Stein hat seine Seele. Dann wurden Löcher gebohrt, unendlich mühsam. Diese Löcher wurden mit Wasser gefüllt. Und im Jänner, wenn das Wasser gefroren war, machte es plötzlich ’Klick’. Der Block hatte sich losgelöst.“
Alles eine Frage der Hebelwirkung
Stefan Summer erzählt mit großer Leidenschaft. Mein Blick fällt auf eine wuchtige Marmorplatte. Ich sehe nirgendwo eine Hebebühne oder Kranschiene. Lediglich eine blaue, große Sackkarre lehnt vergessen an der Wand. „Ich versetze diesen Stein mausallein mit der Sackkarre dort drüben“, sagt Herr Summer und grinst. „Ma muass halt da Fortl kenna.“ Es sei alles eine Frage der Hebelwirkung.
Ein anderes Schlagen auf den Stein
Mein Blick fällt wieder auf das alte Steinmetzwerkzeug. Ein hölzerner, kegeliger Hammer aus Buchenholz erweckt mein Interesse. Stein mit Holz bearbeiten? Ich wundere mich. „Den Hammer nennt man Knüpfel. Damit wird eine Steinfläche eingeebnet, scharriert. Es entstehen diese typischen Rillen im Sandstein, die man Scharrierhieb nennt. Das Arbeiten mit dem Knüpfel ist ein ganz anderes Schlagen auf den Stein, viel weicher. Eigentlich sollte jeder Lehrling im ersten Lehrjahr nur mit Hammer und Meißel arbeiten. Das Gefühl für einen Stein kriegt man nicht durch die Flex. Die schneidet überall durch, gleich ob hart oder weich.“
Moderne Technik statt erfahrene Hände
Wir reden über die rasante Entwicklung, die das Steinmetzhandwerk genommen hat. Herr Summer will das Wort Handwerk nicht mehr gebrauchen. „Heute sind es Steinmetztechnicker, die die CNC-Technik beherrschen müssen. Außerdem besteht die Gefahr, dass man gegen den Stein arbeitet, ihm, so komisch es klingt, Gewalt antut. Man muss sich in einen Stein hineinfühlen. Wie verhält er sich? Wo wird er widerspenstig? Nimmt man ihm die Eigenheit, ’bricht’ man sozusagen seinen Charakter, ist er nach einem Jahr kaputt.“
Er kommt ins Philosophieren, dieser starke Mann, dem man die Feinfühligkeit auf den ersten Blick nicht ansieht. Eines der eindrücklichsten Erlebnisse seines Lebens sei der Besuch des Petersdoms in Rom gewesen. Was da an Steinmetzkunst geschaffen worden sei, grenze an ein Wunder, an Übermenschliches. Eine Kunst, die einen überwältige und einfach stumm mache vor Staunen.
Kein Restaurieren nach Tschernobyl
Ob er sich auch an ein unliebsames Erlebnis in seiner jahrzehntelangen Beschäftigung mit Stein erinnern könne, will ich in Erfahrung bringen. Er denkt lange nach. Dann kommen die Sätze zögerlich. „Das war die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl im April 1986. Ich war damals Restaurator und hauptsächlich im Freien tätig. Die Wolke kam auch zu uns und hat sich auf meinem Arbeitsplatz abgelagert, auf die Sandsteinsimse, die ich behauen oder restaurieren sollte. Vielleicht war ich zu ängstlich, aber ich wollte das nicht einatmen. Also habe ich das Restaurieren, das ich wirklich sehr geliebt habe, aufgegeben.“
Apropos einatmen. Ob die „Staublunge“ immer noch eine Folge des Arbeitens mit Stein sei, frage ich. Herr Summer bejaht es und fügt hinzu, auch wenn der Stein mit Wasser gebunden werde, selbst bei der CNC-Technik, atme man noch immer allerfeinste Partikel ein. Dennoch wollte und will er nichts anderes sein als Steinmetz.
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