In punkto Natürlichkeit und Authentizität kann der Schweizerin Stefanie Heinzmann im Musikbusiness kaum jemand was vormachen. Neben ihren beeindruckenden Auftritten bei „Sing meinen Song“ begeistert die Walliserin dieser Tage auch mit ihrem sechsten Album „Labyrinth“, auf dem fröhliche 80er-Disco-Klänge mit nachhaltigen, empowernden Texten vermischt. Im Interview sprach die 32-Jährige außerdem über die Tücken der Leistungsgeschellschaft und Social Media und warum wir uns manchmal ein Vorbild an unseren Hauskatzen nehmen sollten.
„Krone“: Stefanie, vor zwei Jahren hast du das Album „All We Need Is Love“ veröffentlicht. Eine Ansage, die in Zeiten der Zwangsisolierung heute mehr zutrifft als damals…
Stefanie Heinzmann: Ich wusste schon immer, dass ich ein Mensch bin, der viel Nähe braucht, aber jetzt wird mir extrem bewusst, wie sehr wir das alle brauchen. Langsam reicht’s dann ja wirklich. (lacht)
Würde dein neues Album „Labyrinth“ jetzt erhältlich sein, wenn die Pandemie nicht eingetroffen wäre?
Das ist eine sehr gute Frage. Der ausschlaggebende Punkt war die Sendung „Sing meinen Song“. Wir wollten ein Album parat haben, wenn ich dort dabei bin, aber ohne die Pandemie hätte ich das wohl nicht geschafft. Wir haben den kompletten Sommer 2020 ins Blaue hinaus Songs geschrieben und im Herbst, als die Bestätigung für „Sing meinen Song“ kam, war das Album schon fertig und musste nur mehr produziert werden. Es wäre ohne Pandemie aber sicher nicht das Album, das es jetzt ist.
Sind die Songs eigentlich alle im Laufe der Pandemie entstanden?
Der einzige Song, der vorher entstand, war der Titeltrack. Den wollte ich auf „All We Need Is Love“ draufhaben, aber obwohl ich ihn so liebte, hat er einfach nicht reingepasst. Damals war ich todtraurig, aber jetzt hat es Sinn gemacht und er passt ohne große Absicht rauf. Mir passiert so etwas nicht oft, aber der Song „Bigger“, der auf „All We Need Is Love“ zu hören ist, wurde schon 2014 geschrieben. Er tauchte in den Untiefen meines Dropbox-Ordners auf. Dann gibt es noch einen Song, den gibt es schon gleich lang wie „Diggin‘ In The Dirt“ und den werde ich nicht los. Der wird irgendwann auch noch mal rauskommen. (lacht)
Du hast dir schon vor „All We Need Is Love“ eine längere Auszeit gegönnt, weil du nicht ausbrennen wolltest. Jetzt gab es eine unfreiwillige Auszeit - war dir das dann schon zu viel?
Das ist schwer zu beantworten, weil ich in einer extrem privilegierten Lage bin. Ich war viel im Studio, öfters im TV und es kam das Unplugged-Album raus. Ich durfte viel arbeiten und bin nicht vor Langeweile gestorben, aber ich spüre natürlich die Pause für die Branche. Die Musiker, die Crew, alle Techniker - es ist einfach nichts los. Ich war unlängst in der Hamburger „Fabrik“, wo ich 2008 erstmals spielte und 2022 wiederkommen möchte. Es ist so traurig, denn der Club hat dieses Jahr sein 50-jähriges Jubiläum und er ist seit einem Jahr zu. Die Branche wird stiefmütterlich behandelt und das tut mir im Herzen weh.
In Hamburg gab es große Aufregung um ein paar Clubs wie etwa die „Große Freiheit“, weil die Betreiber Verschwörungstheorien nachhängen und fast alle Künstler ihre Gigs storniert haben. Dazu gab es unlängst noch die Aufregung um #allesdichtmachen. Zersplittert die Branche wegen Corona?
Das ist sehr heikel und es ist schwer, mir eine Meinung darüber zu bilden. #allesdichtmachen von den Schauspielern war in dem Sinne keine Leugnung, sondern sehr starke Satire, die aber zum falschen Zeitpunkt kam. Die Sache mit den Clubs ist schwierig. Wer mir jetzt nach einem Jahr Pandemie noch sagen will, Corona gäbe es nicht, dem könnte ich wirklich in den Nacken klatschen. Die Clubs sind seit einem Jahr zu und mein halbes Umfeld steht vor existenziellen Problemen - wie kann man also so etwas behaupten? Ich bin überhaupt kein aggressiver Typ und gehe nicht laut auf die Straße, aber wir haben das geplante Konzert von der „Großen Freiheit“ woanders hin verlegt. Mir ist das zu heiß. Ich wäre aber gerne Teil der Lösung und nicht Teil des Problems. Ich halte mich an alle Regeln und will, dass wir bald wieder alle zusammenkommen.
Du hast dein Leben schon vor Corona reflektiert und neu angeordnet. Hat die Pandemie da noch ein bisschen was verändert oder konntest du damit leichter umgehen, weil sich bei dir schon vorher einiges veränderte?
Es hat schon noch einmal viel ausgelöst. Meine freiwillige Auszeit hat sich sehr stark um mich gerichtet und im letzten Jahr hat man gesehen, was mit der ganzen Welt passiert. Die Depressionsraten schießen in die Höhe, weil viele Leute alleine sind. Wir merken, dass wir nicht dazu gemacht sind, allein zu sein. Aber es ist war auch notwendig, dass Leute wieder lernen, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Unser Trott ging automatisch dahin, dann schlug die Natur zu und der Mensch musste Pause machen. Man muss sich aber immer vor Augen halten, wie gut es uns eigentlich geht. Wir müssen ein bisschen zuhause bleiben und die Füße stillhalten, aber wir halten das fast nicht mehr aus. Ich kann gut und gerne allein sein und habe festgestellt, wie wichtig mir mein Job ist. Ich habe über Zoom und Skype Songwritingsessions gemacht, was mir sehr guttat. Es hat mir sicher geholfen, dass ich diesen Auszeitprozess für mich vorher schon einmal durchgemacht habe. (lacht)
„Labyrinth“ ist ein im positiven Sinne selbstreflektierendes Album, das mit seiner Botschaft zu sich zu stehen und selbstbewusst zu sein natürlich auch alle Hörer draußen trifft. Dass das Album diesen fröhlichen 80er-Disco-Vibe hat, ist wahrscheinlich nicht dem Zufall geschuldet?
Natürlich nicht. Ich konnte mich 2020 auch nicht immer von meiner Lethargie und Melancholie befreien, aber als wir Songs geschrieben haben, merkte ich, dass Balladen überhaupt nicht in Frage kamen. Ich hätte da viel zu oft heulen müssen. Ich wollte unbedingt dagegensteuern und hatte das Bedürfnis, den Leuten eine Hand zu reichen. Ja, es ist alles gerade wirklich übel, aber wir halten durch und tanzen jetzt ein bisschen.
Angelehnt an den gleichnamigen Song - was macht für dich ein „Best Life“ aus?
Jetzt gerade, mehr denn je, sind es die kleinen Sachen, die zählen. Hier in Mitteleuropa geht es uns einfach gut, so ehrlich müssen wir schon sein. Ich habe ein Dach über dem Kopf, etwas zu Trinken und zu Essen, kann in Ruhe Musik hören und an die frische Luft rausgehen. Uns geht es wirklich gut und ich erinnere mich ganz oft daran, dass die Lage zwar schwer ist, aber es nicht nur die Pandemie auf dieser Welt gibt. Man muss das Beste aus dem Leben rausholen und im Moment sein. Man muss sich etwas gönnen und sich wertschätzen.
Der Titeltrack „Labyrinth“ spricht darauf an, dass man in erster Linie die Wirrungen im eigenen Kopf entknoten sollte.
Das Thema beschäftigt mich sehr. Der Song ist eine Fortsetzung von „All We Need Is Love“. Dort ging es um die Selbstliebe und wie ich mit mir selbst und meiner Umwelt klarkomme. Jetzt stellte sich mir die Frage, was ich nun damit mache. Es geht um Übernehmen von Verantwortung, über mein Handeln und Denken und meine Sprache. Ich habe eine Allergie gegen den Satz „so bin ich halt“ entwickelt. Das glaube ich so nicht. Jeder hatte eine andere Kindheit und wurde von anderen Dingen geprägt, aber ich habe keine Lust mehr darauf, ein Opfer meiner selbst zu sein. Wenn mich etwas nervös macht oder triggert, dann nehme ich das nicht mehr einfach so hin, sondern versuche darauf zuzugehen und es zu ändern. Das ist genau dieses Labyrinth, aus dem man auch einmal rauskommen muss.
Mine hat singt ihrem aktuellen Album „Hinüber“ die Zeile „Bleib bitte nicht wie du bist“ - ist das eine Sichtweise, mit der du dich gut anfreunden kannst?
Das kling schön. Das spiegelt auch das Bild mit dem Labyrinth wider. Es wäre langweilig, würde das Leben immer geradeaus gehen. Würde ich immer dieselbe bleiben, wäre ich jetzt noch immer vier Jahre alt. Ich will ja lernen, schlauer werden und mich entwickeln und deshalb gefällt mir Mines Song sehr gut.
Auch wenn man sich entwickeln sollte und weiterkommen will, ist es doch auch wichtig, sich die kindliche Naivität zu bewahren. Gelingt dir das?
Es ist extrem wichtig, sich diese Naivität zu bewahren. Wir alle sind im Labyrinth des Lebens. Man muss sich ständig entscheiden, ob man rechts oder links gehen will und landet dazwischen auch mal in Sackgassen. Es geht aber darum, wie ich in dem Labyrinth herumlaufe. Habe ich permanent Angst, was hinter der nächsten Ecke lauert oder bin ich ein bisschen Kind und einfach neugierig, was mich erwartet? Das kann man üben und an dieser Einstellung kann man arbeiten. Man muss sich das Kind auch zurückholen. Zum Beispiel mit Legospielen. (lacht)
„Knocking Down The Wall“ ist das Krach-Statement auf dem Werk. Da spürt man nicht nur im Titel die Frustration heraus, die so eine Pandemie mit sich bringt.
Wir versuchen uns so oft zu verstecken und viele trauen sich nicht über ihre Lage zu sprechen. Man schämt sich und will seine Unzulänglichkeiten nicht zugeben. Jeder will geliebt werden und dazugehören, aber das heißt nicht, sich hinter irgendwelchen Mauern zu verstecken. Ich suche mir nicht aus, wie ich aussehe, was ich gerne mache, welche Musik und welche Kleidung ich mag. Das ist einfach so, ohne dass ich es erklären kann und will. Man muss einfach leben. Ich mag Leute, die echt und bei sich sind. Die können auch mal sehr weird oder langweilig sein, aber wenn ich merke, dass sie sich nicht verstellen, dann fühle ich mich wohl.
Du stehst seit Anbeginn deiner Karriere auch nach außen für Individualität und Authentizität des jeweiligen Menschen ein. Merkst du das bei jüngeren Generationen vermehrt? Dass die als Person viel eher bei sich sind und sich nicht so leicht davon abrücken lassen?
Das kann ich mit ja und mit nein beantworten. Einerseits die Demos. Sieh du nur mal an, wie stark junge Leute gegen Rassismus, Sexismus, Homophobie und dergleichen auf die Straße gehen. Wie sehr sie sich kümmern, dass sich in der Welt etwas ändert. Sie haben keinen Bock mehr auf die alten Schubladen, sie wollen leben. Auf der anderen Seite schaue ich in mein Smartphone und sorge mich um die Kids. Wir sehen nur gefilterten Fake. 14-jährige Mädels hauen Fotos mit den krassesten Filtern raus und wollen angehimmelt werden. Insgesamt sind wir bei diesem Thema in einem sehr komischen Ungleichgewicht. Jedes Kind versteht heute das Thema Diversity und dass jeder das gleiche Recht verdient, in Frieden zu leben. Aber gleichzeitig stehen die Kids unter einem sozialen Druck, in die Welt der sozialen Medien zu passen.
Darauf spielt nicht zuletzt dein Song „Would You Still Love Me“ an. Du hast ja selbst ein sehr gespaltenes Verhältnis zu den Social-Media-Kanälen, aber so ganz ohne geht’s als Person der Öffentlichkeit halt nicht.
Ich bin da in einem sehr starken persönlichen Zwiespalt. Ich glaube, wenn ich nicht Sängerin wäre, hätte ich all diese Apps längst gelöscht. Wenn ich Zug fahre, scrolle ich mich oft zwei Stunden lang wie ein Hirntoter durch und am Ende geht es mir nicht gut und ich fühle mich leer. Als Sängerin kann ich dafür mit den Leuten in Kontakt bleiben, meine Musik teilen und Feedback annehmen und zurückgeben. Es ist doch ein wichtiges Element für uns alle, aber wir haben noch nicht gelernt, richtig damit umzugehen.
Wir befinden uns nicht nur in einer Bewertungsgesellschaft, sondern auch in einer Leistungsgesellschaft. Die sprichst du auf „Believe“ an. Kann man sich dem Leistungsdruck der Moderne denn überhaupt entziehen?
Ich glaube schon, aber es erfordert sehr viel Arbeit. Es ist nicht leicht, sich dagegen zu wehren, weil man selbst seinen Wert haben möchte. Man darf aber nicht vergessen, dass schon die reine Existenz sehr viel Wert ist und wir alle uns viel Mühe geben. Jeder versucht seinen Weg zu gehen und wenn man sich damit beschäftigt, dann realisiert man, dass es nicht um die Menge des Erfolgs oder die Leistung geht. Meine Mutter hat zum Beispiel eine Katze, die den ganzen Tag herumhängt, dann wieder etwas frisst, vielleicht eine Maus jagt, dann frisst und sich wieder hinlegt. Auch die hat ihre Daseinsberechtigung auf diesem Planeten. Da denke ich mir doch auch nicht: „Du faules Stück Scheiße, jetzt mach doch mal was“. (lacht) Ich habe einen Job, den ich gerne mache, deshalb macht es Sinn zu arbeiten. Wir Menschen brauchen eine Aufgabe, aber nicht zu jedem Preis. Wenn das Album jetzt floppen sollte, dann ist das so. Ich hatte Spaß dabei, habe gemacht, was ich liebe und werde trotzdem weitermachen. Egal, was die Leute draußen denken. So leicht werdet ihr mich nicht los. (lacht)
„Life Goes On“, wie schon der abschließende Song heißt. Am Ende wird doch immer alles irgendwie gut. Oder doch nicht?
Es geht immer weiter. Solange die Sonne morgens aufgeht und abends untergeht, dreht sich die Welt weiter. In meinen 32 Jahren habe ich alles überlebt und ich hatte auch einige Situationen, in denen ich dachte, das würde ich niemals schaffen. Aber am Ende ging es doch immer. Ich appelliere an das Selbstvertrauen. Das Vertrauen in dich selbst. Es macht alles Sinn, was du machst. Auch wenn du es im Moment vielleicht nicht siehst.
Inwiefern verändert oder erweitert „Sing meinen Song“ eigentlich deinen Zugang zur Kreativität und Musikalität in deinem herkömmlichen Job als Künstlerin?
Ich finde diese Sendung in mehreren Punkten nachhaltig. Auf der einen Seite ist sie sehr spannend für die Zuseher, aber auch ein großartiges Format für Künstler. Man kann Kollegen persönlich kennenlernen und auch ihre Kunst mit den neuen Songs noch einmal neu kennenlernen. Ich musste mir Songs von Nura oder DJ Bobo ansehen und überlegen, was ich damit mache. Ich habe zudem Freundschaften fürs Leben mitgenommen. Das beeinflusst mich nicht nur als Mensch, sondern auch meine Musik. Vielleicht macht man dann mit einer oder einem der anderen wirklich einmal etwas. Das weiß ich noch nicht genau, aber mir ist es wichtig, dass diese Menschen nun Teil meines Lebens sind.
Live in Wien
Stefanie Heinzmann kommt 2022 - hoffentlich - auch wieder nach Österreich. Am 31. März ist ein Auftritt in der Szene Wien geplant. Weitere Infos und Karten gibt es unter www.oeticket.com.
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