Sich im Streaming-Zeitalter und fehlender Liveshows zu einer Sechs-Mann-Band aufzublasen ist vielleicht die Fuck-You-Attitüde des Jahres. Großspurigkeit ist freilich erlaubt, wenn sie auch qualitativ umgesetzt werden kann. Die Buben im Pelz sorgen auf ihrem Drittwerk „Geisterbahn“ für dystopische Wien-Romantik. Im Interview ging es aber auch um Schullandwochen, zermürbende Leistungsgesellschaften und die Disziplin der Kreativen.
Der Grat zwischen Größenwahn, Selbstvertrauen und Mut ist ein schmaler. Wenn man sich zum Beispiel das unsterbliche Debütalbum der noch unsterblicheren Velvet Underground zu Eigen macht und mit einer beneidenswerten Chuzpe „einwienert“, dann wandelt man unweigerlich ohne Netz und doppeltem Boden auf dem dünnen Seil der kunstvollen Frivolität. Umso beeindruckender ist es freilich, wenn das wagemutige Experiment gelingt und man zwei Jahre später mit „Katzenfestung“ ein Album nachlegt, das ausschließlich aus eigenen Songs besteht und souverän beweist, dass man nicht nur als Kopist zu bestehen weiß, sondern auch der Innovationsgeist ein gelungener ist. Die Buben im Pelz sind nun vom anfänglichen, durch FM4 und zig kunterbunte Bands bekannten Duo Christian Fuchs und David Pfister zu einem waschechten Sextett gewachsen. Name-Dropping-technisch heißt das so viel wie: hier paaren sich Scarabeusdream, Destroyed But Not Defeated, The Devil And The Universe, Black Palms Orchestra und Neigungsgruppe Sex, Gewalt & gute Laune zu einer bunten Gemengelage der dystopischen Morbidität namens „Geisterbahn“. Werk drei. Das erste in einer unökonomischen Massivbesetzung.
Eine kleine Welt
„Ein Mitglied löste das andere ab und so entstand aus dieser Band in den letzten Jahren eine Art Prog-Rock-Manifestation“, erklärt Pfister im Gespräch mit der „Krone“, „aber es hat uns allen so viel Freude bereitet, dass wir gemeinsam weitergeschwommen sind und das Album entwickelten. Wir haben als Gruppe mit dieser Platte eine kleine Welt entwickelt und das fühlt sich großartig befriedigend an.“ Die gerne in Schwarz posierenden Herren haben durch andere Brotjobs und Projekte den großen Vorteil der völligen Zwanglosigkeit. Bei adoleszenten Sturm-und-Dranglern würde das in (be)rauschenden Nächten enden, im Buben-Korsett wurden die zehn Songs mit eifriger Disziplin und Hingabe geschnürt. „Bei sechs Leuten mit dichten Plänen muss man sehr effizient und organisiert sein“, erläutert Fuchs, „sobald einer ein Bier aufreißen und zu lange überlegen würde, wäre der Abend verloren.“ Keyboarder Bernd Supper streicht aber sofort das Positive hervor: „Bei all dieser Effizienz und Logistik gab es aber immer viele Freiheiten. Es hat sich nie nach Stress angefühlt und wir hatten viel Freude daran, wenig zu schlafen.“
Schlaf wäre auch überbewertet bei den dunklen Nachtgespenstern, denn eine Geisterbahn wirkt tagsüber bekanntlich nur halb so gut. Dass die einzelnen Bandmitglieder einen Hang zum Unheilvollen haben ist Szenekundigen bekannt, doch die apokalyptische Stimmung der einzelnen Songs hat nur peripher mit der Corona-Pandemie zu tun. Geschrieben wurden die Songs nämlich schon lange vorher, aufgenommen ebenso. Bei Alexander Lausch in Wien und der Einstürzenden-Neubauten-Legende Alexander Hacke in Berlin-Wedding. Schrottplatzatmosphäre inklusive. Alle sechs reisten für knapp zwei Wochen in die Metropole und waren mit einer interessanten Mischung aus Arbeitsatmosphäre, Legendenverehrung und Schullandwoche konfrontiert. „Für uns war es auch ein Test, ob wir so zusammen funktionieren. Wir sind ja irgendwie über das Livespielen und den Proberaum als Band zusammengewachsen. Ganz organisch, ohne Plan. Es war fast wie ein kleines Wunder. Und dass wir uns auch auf engem Raum so gut verstanden, inspirierte das Songwriting stark.“
Gerechte Aufteilung
David Pfister ergänzt das „match made in heaven“ folgendermaßen: „Die Neubauten sind nicht nur von ihrer Ästhetik her, sondern auch in ihrem Umgang mit Texten ein wichtiger Baustein für das eigene Tun. Wir wollten mit ,Geisterbahn‘ ein diffuses Gefühl abbilden und dafür war Alexander Hacke der Richtige. ,Katzenfestung‘ sollte eine Parallele zwischen den New Yorker Spät-60ern und der damaligen Gegenwart sein. Jetzt wollten wir ein loses Konzept vermischt aus der aktuellen Wiener Gegenwart mit den Berliner Beat-80ern vor dem Mauerfall skizzieren.“ Die Textaufteilung war dieses Mal klarer als je zuvor. Pfister sorgte vornehmlich für die düsterromantischen Liebeslieder, Fuchs hatte ebenjene laut Eigenbekunden schon davor verschossen und erstmals versucht die Außenwelt zu beobachten. Auf sarkastische Art und Weise freilich, was dem Wiener Lokalkolorit nur zuträglich ist. So ist der Titeltrack programmatisch für eine Gegenwart, die beim Songwriting noch gar nicht vorhersehbar war. „Wenn man an manchen Demosamstagen im ersten Bezirk herumspaziert und die Leute in seltsamen Verkleidungen sieht hat das schon was von einer Geisterbahn“, lacht Fuchs, „die Realität hat die Fiktion längst eingeholt.“
Neben der musikalischen Romantik sind die doppelbödigen Texte freilich ein Trumpf im Pelzbuben-Camp. So spricht Fuchs in seinem Song „Gott straft das Internet“ ein unmissverständliches Machtwort. Wer solle all die Trolle im World Wide Web denn zum Schweigen bringen, wenn nicht der Gott aus dem Alten Testament? „Ein extremer Troll ist meistens jemand, der mental nicht topfit ist. Da ist ein Abstandhalten und Ignorieren dem Gegenüber manchmal besser. Ich finde ja interessant, welchen Wandel die Rolle des Internets mittlerweile schon gemacht hat. Je berühmter und intelligenter Menschen sind, umso seltener halten sie sich dort auf. In diesen Kreisen wird es schon mit Rauchen und ungesundem Essen gleichgesetzt. Es ist als toxisch verschrien.“ Keinesfalls toxisch ist die Rückschau zu „VHS, Super-8 und Nokia“ im wundervollen „Kodachrome“ oder das elegische „Sterben am Strand“. Wien verpflichtet sozusagen. Die Hoffnung darf nie den Optimismus überragen - zumindest nicht in der Kunst.
Süße Frucht Freiheit
Wie sehr die Buben im Pelz trotz aller Allgemeingültigkeit den Zeitgeist treffen, zeigt nicht zuletzt der Track „Einsame Gammler“ Eine Ode an all jene, denen die Systemgesellschaft und der Leistungsdruck zunehmend am Geist gehen. Meistens ist ein bisserl weniger doch viel mehr. „Mein perfekter Tag wäre aufzuwachen und keinen einzigen Termin zu haben“, lacht Pfister, „eine süße, lockende und kostbare Frucht, die leider nie eintritt.“ Supper hingegen braucht bei aller Freiheitsliebe eine gewisse Grundstruktur. „Ich denke aber schon viel darüber nach, inwieweit man sich in ein Korsett zwängen oder sich einem Wettbewerb wiederfinden muss, ohne sich bewusst dafür zu entscheiden. Der Mensch hamstert doch sehr schnell wo mit. Erwachsenwerden und Vernunft bedeuten oft dem Geldbörserl mehr Recht zu geben als seinen eigenen Bedürfnissen. Diese Aussage ist natürlich sehr privilegiert, aber sie trifft doch sehr oft zu.“
Die Buben im Pelz oszillieren zwischen Punk und Pop, zwischen düsterer Romantik und hoffnungsfroher Dystopie, zwischen Wiener Lokal-Chic und breitflächigem Austriazismus. „Wir leben in einer sehr privilegierten Geisterbahn in einem Luxusprater“, erklärt Pfister noch einmal den Albumtitel im Detail, „uns geht’s ja doch nicht so schlecht hier. Christian und ich haben 2019 beide ein Gefühl der Unsicherheit empfunden und dieser Geist ist der Spannungsbogen für das Album, der sich durch die einzelnen Texte zieht.“ Eine gesellschaftliche Befindlichkeit hätten die Buben im Pelz schon beim Vorgänger vor vier Jahren angedeutet, wie Fuchs ergänzend erklärt: „Das Lied ,Katzenfestung‘ ging mitunter darum, dass sich manche Leute lieber daheim einsperren und mit ihren Katzen spielen oder sich Katzenvideos ansehen. Diese Leute gehen heute eh wieder gerne raus, um zu demonstrieren.“
Kein Leid nötig
Die Buben im Pelz funktionieren als Kollektiv und in grenzenloser Ungezwungenheit. „Wir alle sind Liebhabermusiker und können uns gut einteilen, wie viel Zeit wir in welches Projekt stecken, ohne das auch nur eines wesentlich darunter leidet oder sich vernachlässigt fühlt“, so Supper, „wir spielen ja zum Glück nicht gleichzeitig bei Guns N‘ Roses und Bon Jovi.“ Da die Musiker vom Fach sind und das blinde Verständnis im Bandcamp floriert, spart man sich auch häufige Proben. „Ich finde es selbst extrem faszinierend, wie reibungslos das hier verläuft“, so Fuchs freudig, „normal tüftle ich monatelang an Liedern herum. Das war hier aber nie der Fall.“ Nur bei einer Kleinigkeit ließ das Sextett seine Konsequenz vermissen. Auf den Vorschlag von Hacke, das Album doch „Menschen ohne Freunde“ zu nennen, ging man aufgrund der Corona-Situation doch nicht ein. Schade eigentlich.
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